Ex-Finanzminister Ferdinand Lacina im Gespräch:tun & lassen

Kosmetiker & Populisten

Ferdinand Lacina war ca. 20 Jahre lang Angehöriger verschiedener, von Sozialdemokraten geführten, Regierungen. Zuletzt neun Jahre lang Finanzminister. Danach wurde er Spitzenbanker. „Gott sei Dank verwirklicht ja der jetzige Finanzminister nicht alles, was zuvor angekündigt wurde, denn das wäre dramatisch“, meint der Ex-Minister im Gespräch mit Gerald Grassl über Sparpaket, Nulldefizit und andere Themen.Die derzeitige Regierung kontert auf Vorwürfe einer unsozialen Steuerpolitik immer damit, dass die steuerschonenden Modelle für Reiche, also die Möglichkeit für Industrielle, sich mittels Stiftungen Steuern zu ersparen, bzw. die Abschaffung der Vermögenssteuer, von den Sozialdemokraten eingeführt wurde, konkreter, dass Sie, Herr Lacina, dies erst verwirklicht haben?

Ferdinand Lacina: Ich würde großen Wert darauf legen, das in seiner Gesamtheit zu sehen. Und man soll nicht vergessen, dass wir ja in einer Koalitionen Politik machten, wodurch natürlich eine rein sozialistische Steuerpolitik aus Rücksicht auf unseren Partner nicht möglich war. Doch meine ich, dass unsere Politik schon auch starke sozialistische Elemente beinhaltet hat. Denn die Einführung der Kapitalertragssteuer brachte ja ein Vielfaches dessen ein, was die Vermögenssteuer eingebracht hat. Zur Einführung der Stiftungen muss man sehen, dass Kapital in einer globalisierten Welt zu den flüchtigsten Gütern zählt. Wie soll man also verhindern, dass große Kapitalvolumen in sogenannte Steueroasen abwandern? Die Attraktivität des Stiftungsmodell in Österreich war eine Reaktion darauf, dass eine vernünftige Kapitalbesteuerung auf europäischer Ebene nicht durchzusetzen war. Wir haben damit versucht, als kleines Land auch für ausländische Unternehmer als Standort attraktiv zu werden. Das hat zwar aus verteilungspolitischer Sicht eine schlechtere Optik, ist aber volkswirtschaftlich von Vorteil. Wir erreichten damit ganz sicher viele Vorteile, die wir sonst nicht gehabt hätten. Wobei ich schon hinzufügen möchte, dass der Steuersatz dafür jetzt unbedingt anzuheben notwendig wäre. Aber grundsätzlich ist Verteilungspolitik über Steuerpolitik schwierig zu gestalten. Das muss in erster Linie über die Form der Staatsausgaben geschehen. Auch deshalb, weil jede neue Steuergesetzgebung direkt oder indirekt von denen, die sich dabei auskennen, unterlaufen werden kann.

Österreich ist ein Steuerparadies für Reiche und multinationale Konzerne. Durch Steuerbegünstigungen in Steueroasen wie Österreich, entgehen laut einer Untersuchung, den Ländern der 3. Welt ca. 50 Milliarden Dollar jährlich an Steuereinnahmen. Länder wie Österreich üben durch die Steuerbegünstigung für die Reichsten, eine Art Dumpingfunktion aus. Sie zwingen dadurch auch andere Länder, mit ihren Steuersätzen für das Großkapital hinunterzugehen.

Ferdinand Lacina: Ein kleines Land hat kaum Spielräume, wirklich steuergestaltend zu wirken, und ist immer in der Situation im Wettbewerb gegen die Großen bestehen zu müssen. Die hätten auch Macht und Mittel diesbezüglich eine globale einheitliche und gerechte Steuerpolitik durchzusetzen. Österreich hat immer versucht, mit den Großen einen steuerpolitischen Konsenes diesbezüglich herzustellen. Wenn sich nun Großkonzerne wegen Steuerbegünstigungen hier niederlassen, kann das auch dazu führen, dass bei den mächtigen Ländern ein Umdenken beginnt, damit Steueroasen eben nicht mehr möglich sind, und dass es deshalb zu einer Steuergerechtigkeit kommt. Man kann sich natürlich auch ganz „brav“ verhalten und zuschauen, wie große Teile des Finanzkapitals in für sie günstigere Länder einfach abwandert.

Bitt’schön – was bringt das wem?!

Ferdinand Lacina: Zusätzliche Einnahmen für den Staat. Wenn der Herr Flick sein Vermögen in Österreich anlegt, bekommen wir Steuern praktisch geschenkt, die wir sonst nicht erhalten hätten. Und glauben Sie ja nicht, dass der deutsche Finanzminister über diesen Einkommensentgang glücklich war.

Zur aktuellen Steuerpolitik: Die Regierung propagiert das Nulldefizit. Die Opposition ebenfalls, aber mit anderen, „sanfteren“ Mitteln. Viele Wirtschaftswissenschaftler halten die Forderung nach einem Nulldefizit für einen Unfug, sogar eine wirtschaftspolitische Katastrophe. Warum eigentlich? Als Privater mache ich dann Schulden, wenn Aussicht besteht, dass ich sie wieder begleichen kann. Doch im Staatshaushalt wurden in den letzten Jahrzehnten die Schulden permanent progressiv erhöht. Was soll daran vernünftig sein?

Ferdinand Lacina: Wie es derzeit gehandhabt wird, ist es der reine Blödsinn. Nehmen wir zum Vergleich die Firma Siemens. Niemand wird die Wirtschaftlichkeit und Erfolg dieses Unternehmens anzweifeln, obwohl die Verbindlichkeiten dieses Betriebes in den Bilanzen von Jahr zu Jahr steigen. Das ist bei jedem expansiven Unternehmen so. Denn immer müssen neue Investititionen fremdfinanziert werden. Und niemand käme in einem solchen Unternehmen auf die Idee, dass bis zu einem gewissen nahen Termin alle Verbindlichkeiten um jeden Preis bezahlt werden müssen. Damit würde man natürlich das Gesamtunternehmen in seiner Existenz bedrohen. Es geht bei Investitionen immer um eine gesunde Mischung von Eigenmitteln und Fremdfinanzierung. Das kann man aber natürlich nicht so ohne weiteres auf den Staat übertragen. Der Staat hat unter anderem die Aufgabe Nachfrage zu schaffen. Je nach dem, wie die wirtschaftliche Situation ist. In einer wirtschaftlich guten Situation ist es durchaus sinnvoll, weniger Defizite zu machen, aber es besteht derzeit überhaupt keine Notwendigkeit, nur aus Populismus ein Nulldefizit zu verlangen. Budgetpolitik ist ein Instrument der wirtschaftlichen Gestaltung, aber kein Ziel. Ein absoluter Blödsinn ist natürlich alles das, was da aus populistischen Gründen unter dem Slogan „soziale Treffsicherheit“ verkauft werden soll. Aber Gott sei Dank verwirklicht ja der Finanzminister nicht alles, was zuvor angekündigt wurde, denn das wäre dramatisch. Viele Maßnahmen erwirken einmalige Effekte, die keine gravierende Folgen hinterlassen werden. Und vieles fällt ja unter den Begriff der Budgetkosmetik. Wenn zum Beispiel die Krankenanstalten ausgegliedert werden, dadurch dieser große Posten optisch nicht mehr im Budget aufscheint, aber dann halt in anderer Form trotzdem aus öffentlichen Mitteln finanziert werden muss. Was mich aber schon verstört, ist wenn beispielsweise bei den Abeitslosen gespart wird, während der Kauf von Aktien steuerlich begünstigt wird.

Bereits unter sozialdemokratischen Finanzministern hat eine Politik der Entstaatlichung der Betriebe begonnen. Warum eigentlich? Was soll ein privater Unternehmer besser können als der Staat? Wobei auffällt, dass alles was Gewinne verspricht, wie Banken, Fluglinie, Post, Tabak usw. privatisiert wird, während alles was Kosten verursacht, also Soziales oder Kultur, selbstverständlich in der Verantwortung des Staates bleibt.

Ferdinand Lacina: Also Banken unter staatlicher Kontrolle haben aus Wettbewerbsgründen nicht anders agiert, als die Privaten.

Schon. Aber die Gewinne sind – hoffentlich – der Allgemeinheit zugutegekommen.

Ferdinand Lacina: Zu diesem gesamten Komplex habe ich im Laufe der Jahre meine Meinung geändert. Früher war ich der Meinung, dass ein starker Anteil des Staates im Betriebsbereich auch eine Stärkung der Arbeiterbewegung bedeutet. Doch andererseits gibt es auch eine starke erfolgreiche Arbeiterbewegung in den skandinavischen Ländern, ohne dass es dort einen wesentlichen verstaatlichen Sektor gibt. Und dann sind mir zwei Dinge aufgefallen: Wenn ein Privater schlecht wirtschaftet, geht er in Konkurs. Wenn ein verstaatlichter Betrieb Verluste macht, werden die dadurch entstehenden Kosten in irgend einer Form durch die öffentliche Hand, also von allen abgedeckt. Weiters fiel mir auf, dass sich allmählich zwei verschiedene Gruppen von Arbeitnehmern entwickelten. Die in staatlichen Betrieben arbeiteten waren meistens in vielerlei Hinsicht bevorzugt gegenüber denen in der Privatwirtschaft. Es entstanden verschiedene Standars für Arbeitnehmer in gleicher Qualifikation. Bei staatlichen Betrieben geschah es auch oft, dass sie Offerte bei Aufträgen einfach gegenüber Privaten unterboten und gleichzeitig in der Verlustzone waren. Für die Kollegen im privaten Bereich schaute das dann oft so aus, dass da mit Steuergeldern die Arbeitsplätze in der privaten Wirtschaft kaputt gemacht werden. Es herrschte also eine krasse Wettbewerbsverzerrung, was dazu führte, dass auch Akademiker und hochqualifizierte Facharbeiter in die verstaatlichten Betriebe drängten.

Na gut, das hätten Private durch bessere Anstellungs- und Arbeitsbedingungen ausgleichen können.

Ferdinand Lacina: Indem sie ebenfalls überall nahezu pragmatisierte Verhältnisse schaffen? Das ist doch nicht realistisch.

Es gibt in vielen Berufen zwingende Gründe, weswegen das sehr notwendig ist. Aber bleiben wir beim Beispiel Austria-Tabak: Hier hat der Staat ein Monopol, und das ist gut so. Immerhin ist Nikotin extrem gefährlich für die Gesundheit. Mir ist unbehaglich, wenn so etwas in privaten Händen liegt. Außerdem bringt Tabak überall in der Welt hohe Gewinne. Warum soll ich das Privaten überlassen und nicht dem Staat zukommen lassen? Der Verkauf bringt einen einmaligen Effekt an Einnahmen, doch langfristig entgehen dem Staat dadurch hohe Einnahmen.

Ferdinand Lacina: Die Gewinne hier sind nicht so ausschlaggebend. Hier ist die wesentliche Einnahmequelle die Tabaksteuer und die bleibt ja aufrecht. Aber das Problem ist dabei, dass ja jede neue Zigarettensorte, die Werbemaßnahmen usw. erst der Regierung vorgelegt, in den Parlamentsgremien beraten und dann vom Hohen Haus beschlossen werden musste. Das kann doch nicht die Aufgabe von Regierung Parlament sein.

Apropos: Sie rauchen ja gar nicht mehr. Ist das Ihr stiller Protest gegen die derzeitige Regierung?

Ferdinand Lacina (lacht): Nein, ich habe bereits aufgehört, wie ich noch Finanzminister war. Zurück zum Problem: Ein Monopol – mit dem es nebenbei auch gegenüber der EU zu Problemen kommt – birgt immer auch die Gefahr, dass es nicht so flexibel ist. Ich werde Ihnen ein anderes Beispiel nennen. Es gab eine Zeit, da Sie sehr, sehr lange warten mussten, um überhaupt einen Telefonanschluss zu bekommen. Oder Sie haben Ihre gesamte Verwandtschaft und Bekanntschaft durchforstet, ob nicht jemand einen Dritten kennt, der Leiter eines Bautrupps der Telegraphendirektion ist, damit die Installation eines Telefons beschleunigt werden kann. Und das war das Absurde: Sie wollen Kunde bei einem Unternehmer werden, waren aber in der Rolle eines Bittstellers bei einem Amt. Sie wollen dem Unternehmen Geld bringen, und die sagen, dass sie erst einmal ein Jahr oder länger warten müssen, bis Sie diese Dienstleistung beanspruchen können.

Sofort nach Antritt der neuen Regierung schrieb ich einen höflichen Brief an Bundeskanzler Schüssel. Immerhin hatte er zum „Dialog“ eingeladen. Ich argumentierte, dass Grasser als Finanzminister u.a. auch deshalb ungeeignet sei, weil da eine Unvereinbarkeit herrscht. Er kündigte an, dass er nach seinem Ausscheiden zum Stonach-Konzern zurückkehren werde. Stronach besitzt auch ein Wettbüro-Unternehmen. Gleichzeitig ist Grasser Verwalter des österreichischen Glückspielmonopols. Für wen wird er nun in Zukunft auf diesem Sektor seine Politik machen? Für Stronach oder für die Republik Österreich? Auf meinen Brief erhielt ich übrigens bis heute keine Antwort.

Ferdinand Lacina: Es ist für jeden Finanzminister eine problematische Situation ein Rückkehrrecht in den früheren Betrieb zu haben. Das ist nicht nur eine Frage des Glückspiels. Stellen Sie sich vor, welche Situation entsteht, wenn plötzlich bei Stronach eine Steuerprüfung angesagt wäre? Da ist er – egal wie redlich er selbst ist, und die Bücher bei Stronach korrekt geführt werden – befangen. Man kann das auch anders lösen. Ich war, bevor ich Finanminister wurde, bei der ÖIAG. Ich bin ausgeschieden ohne Rückkehrrecht, denn ich hätte das für unvereinbar gehalten.

Vielen Dank für das Gespräch.


Dipl.-Kfm. Ferdinand Lacina

Geb.: 31.12.1942, Wien

Bundesminister für Finanzen

Volksschule, Realschule, Matura, Studium an der Hochschule für Welthandel in Wien.

Eintritt in den Dienst der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien 1964, Leiter der Wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung dieser Kammer 1973, Leiter der Abteilung für Finanzplanung der Österreichischen Industrieverwaltungs-Aktiengesellschaft 1978, Kabinettschef im Bundeskanzleramt 1980, Generaldirektor der GiroCredit seit 1996.

Abg. zum Nationalrat (XIX. GP)

SPÖ

7.11.1994-14.12.1994

Staatssekretär im Bundeskanzleramt

1.11.1982-10. 9.1984

Bundesminister für Verkehr

10. 9.1984-31.12.1984

Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr

1. 1.1985-16. 6.1986

Bundesminister für Finanzen

16. 6.1986- 6. 4.1995

teilen: