Cornelia Travnicek neuester Roman kommt «ganz ohne arge Sachen» aus
Zwei Romane, ein Film, ein Teilzeitjob in der Informatik-Forschung und eine Masterarbeit in Sinologie: Die Autorin Cornelia Travnicek lebt und arbeitet in erstaunlich vielen Welten. Helmut Neundlinger hat sie besucht.
Foto: Volker Weihbold
Im Jahr 2001 war der Film «2001 – A Space Odyssey» des amerikanischen Regisseurs Stanley Kubrick schon längst Teil der Filmgeschichte und der Filmtitel eine Metapher für Zukunft schlechthin. Davon wusste ein damals 14-jähriges Mädchen namens Cornelia Travnicek vielleicht gar nichts, aber eines wusste sie ganz genau: Sie wollte die HTL für Elektronik besuchen. «Wir waren drei Prozent Mädchen damals», erinnert sich die 1987 geborene Niederösterreicherin. «Die Inspiration für meine Entscheidung kam aus der Literatur. Ich habe phantastische Autoren wie Isaac Asimov gelesen und mich für Roboter, Raumfahrt und solche Dinge interessiert, also für technische Phantasiewelten, die jedoch machbar erschienen.»
Star Trek in der Donau City
Heute, 2015, führt Cornelia Travnicek eine Art berufliches Doppelleben, in dem sie ihre beiden frühen Leidenschaften mit großer Konsequenz weiterverfolgt. Wer die mittlerweile hochgelobte und bepreiste Autorin mit den markanten dunklen Dreads zum Gespräch treffen möchte, begibt sich am besten zum Tech Gate auf die Donau-City-Platte, dem quasi-futuristischen transdanubischen Pendant zur Altstadt mit ihrem Gründerzeitgepräge. Ein Ambiente, das wie geschaffen scheint für die von Cornelia Travnicek nahezu ansatzlos aufgeworfene Frage, wie viel Zukunft eigentlich in der Gegenwart steckt – und umgekehrt. «Schriftsteller und Filmemacher haben die Zukunft immer schon ein bisschen miterfunden», gibt sie zu Protokoll. «Ein Buch oder einen Film zu schaffen, ist für mich auch eine Art von Erfindertum. Und wenn man sich diverse technische Gadgets und Devices aus unserem täglichen Gebrauch anschaut, dann erinnern sie an Sachen, die vor zwanzig Jahren in der Fernsehserie ‹Star Trek› schon zu sehen waren.»
Dass Travnicek als Literatin dennoch keine Science Fiction verfasst, könnte damit zu tun haben, dass sie ihr Faible fürs Innovative auf technischem Gebiet in ihrem Teilzeit-Brotjob auslebt: Als Bachelorette der Informatik arbeitet sie in einem Forschungszentrum für virtuelle Realität und Visualisierung, angesiedelt in der Donau City. «Viele unserer Mitarbeiter publizieren Papers, fahren auf Konferenzen, schreiben Dissertationen. Und alle unsere Projekte haben einen innovativen Aspekt», erzählt Travnicek. Weil das alles noch nicht genug ist, hat sie parallel zur Informatik auch noch Sinologie studiert und vor kurzem mit einer Masterarbeit über einen chinesischen Autor abgeschlossen. «Ich nehme mir die Freiheit, mich für viele Dinge zu interessieren», sagt Travnicek. «Ich habe scheinbar ein Talent für viele Dinge, aber ich bin sicher nicht die Expertin für die einzelnen Aspekte.»
Sterben für Anfängerinnen
Das bringt uns wieder zu Travniceks zweitem Ich zurück: dem Autorinnen-Ich, dem man zumindest ein «Expert_innentum für alles Mögliche» attestieren könnte. Travnicek besticht als Autorin bislang durch die Kunst, komplexe Situationen in einer vergleichsweise schnörkellosen und sehr subtilen Erzählweise darzustellen. Das Erwachsenwerden samt seinen inneren wie äußeren Zumutungen, das In-Beziehung-Treten, das Sich-Lösen, das Sterben, die Suche nach dem Selbst — die Themenpalette von Travniceks 2012 erschienenem Debütroman «Chucks» reicht aus, um ein ganzes Seminar an Germanistik-Studierenden mit Aufträgen für Bachelor-Arbeiten zu versorgen. Die aufwühlende Geschichte um das ebenso sensible wie kratzbürstige Mädchen Mae entfaltete ihre Wirkung nicht zuletzt über den rhythmisch präzisen Wechsel zwischen Maes atemloser Flucht vor sich selbst und ihrem schmerzlichen Zu-sich-Kommen beim todkranken Paul und rief geradezu nach einer Verfilmung, die unter der Regie von Sabine Hiebler und Gerhard Ertl nun auch ins Kino gelangte. In der Hauptrolle glänzt die junge Schauspielerin Anna Posch, die die inneren Konflikte der ungestüm mit dem Kopf gegen jede Wand rennenden Mae körperlich sicht- und spürbar macht. In den stärksten Momenten fühlt man sich an Franka Potentes fulminante rothaarige Unrast im Kultfilm «Lola rennt» (1998) erinnert. Leider kann das Drehbuch gegen Schluss nicht ganz mit der lebendigen Performance seiner Hauptdarstellerin mithalten und verliert sich zuweilen in Katalog-Tableaus und -Dialogen zum Thema «Sterben für Anfänger und Fortgeschrittene».
Für Cornelia Travnicek, die zu Beginn und am Ende des Filmes zwei Gastauftritte à la Alfred Hitchcock bzw. Wolf Haas hat, bot der Film die Gelegenheit zu einer Wiederbegegnung mit ihrer eigenen Romanfigur. «Ich habe Mae im Buch ja nie so genau beschrieben, sondern mehr durch ihre Charaktereigenschaften und Handlungen gezeichnet», sagt sie. «Vielleicht wirkt sie ruppiger als im Buch, weil man diese innere Widerständigkeit im Film nur schwer ohne Äußerungen transportieren kann.» Ausgelöst durch die Verkörperung der Geschichte im Film durchlief Travnicek einen emotionalen Prozess der Wiederbegegnung und Loslösung von ihrem erfolgreichen Erstling. «Nach vielen Lesungen aus ‹Chucks› sind Leute zu mir gekommen, die mich und vor allem sich selbst emotional mit der Geschichte identifiziert haben. Da habe ich oft das Gefühl gehabt, ich kann ihnen auf der Ebene nichts geben, weil ich das alles ja nicht wirklich selbst erlebt habe. Als Kunst kam es mir fast ein bisschen geschummelt vor, dass ich die Leute diese Arbeit an den großen Emotionen selbst machen lasse.»
Keine argen Sachen
Nicht zuletzt ausgelöst durch diese Selbstreflexion stellte sich Travnicek für ihr zweites Buch eine geradezu konträre Aufgabe. «Wenn ich noch zwei Bücher mit wütenden jungen Frauen geschrieben hätte, dann wäre ich wohl schnell in ein bestimmtes Eck gestellt worden», sagt sie. «Deshalb wollte ich diesmal etwas schreiben, das ganz ohne arge Sachen wie Krankheit und Tod auskommt.» Johanna, die Hauptfigur ihres nunmehr erschienenen zweiten Romans, «Junge Hunde», verhält sich tatsächlich in vielen Facetten wie eine Art Anti-Mae: Mit Bedacht und verlässlich bis zur Selbstaufgabe versucht sie ihren Alltag zu meistern – und schlittert allmählich in eine vollkommene Einsamkeit hinein, obwohl sie sich stets und mit größter Hingabe um alle anderen gekümmert hat. Am meisten schmerzt sie der Aufbruch ihres Kindheitsfreundes Ernst, dessen Selbstfindungsreise nach China den zweiten Strang der Erzählung bildet.
«Ernsts Figur geht ganz konkret auf eine Sammlung Interviews mit adoptierten asiatischen Kindern zurück, die ich gelesen habe», erzählt Travnicek. «Manche waren sehr zufrieden mit ihren Eltern, manche haben feindselige Erfahrungen gemacht, je nachdem eben, wo und unter welchen Bedingungen sie aufgewachsen sind.» Dennoch sei es nicht ihr Anspruch, mit der Figur etwas einer wissenschaftlichen Untersuchung vergleichbares Allgemeines über adoptierte Kinder aus fremden Kulturen zu schreiben. 80 bis 90 Prozent in ihren Texten seien Fiktion, so Travnicek, aber der nicht-fiktive Rest solle so exakt wie möglich dargestellt sein. «Mit Empathie und Vorstellungskraft kann man weit kommen, aber auch ganz viel falsch machen. Deshalb wollte ich vorher ein Gefühl für die Basis dieser Figur kriegen.» Wie schon in «Chucks» ist Travnicek auch diesmal wieder ein Stück Prosa geglückt, das seine Figuren mit großer Wärme auf der einen und der notwendigen Distanz auf der anderen Seite begleitet.
Junge Hunde. DVA-Verlag 2015, 240 Seiten, 15,50 Euro
Cornelia Travnicek schrieb im Augustin Nr. 171/2005 den Text «Wie der Augustin nach St. Pölten kam»