Radu Plămădeală hilft Arbeitnehmer_innen, deren Rechte oft mit Füßen getreten werden.
TEXT: UWE MAUCH
FOTO: MARIO LANG
Wir treffen uns bei Mihai Eminescu. Nein, der ist kein Vorstadtwirt und auch kein rumänischer Saisonarbeiter. Sein Denkmal steht auf dem kleinen Platz vor der rumänisch-orthodoxen Kirche an der Simmeringer Hauptstraße. Es soll an den Goethe seiner Landsleute erinnern.
«Er wird von uns in Moldawien ebenso verehrt wie in Rumänien», sagt Radu Plămădeală – und blickt dabei mit einem höflichen Lächeln über unsere Bildungslücke hinweg. Plămădeală? Nun lächelt er freundschaftlich: «Ach, sag’ einfach Radu oder Sauerteig zu mir!» – «Sauerteig ist die Übersetzung meines Familiennamens aus dem Rumänischen.» Schnell wird hier in Simmering klar: Mit dem Philologen, mehrsprachigen Juristen, Diplomaten und Sohn eines moldawischen Freistilringermeisters hat der hiesige Gewerkschaftsbund ein Ass im Ärmel.
Diplomat.
Vom Denkmal des Mihai Eminescu ist es zu Fuß nicht weit zu den Simmeringer Landwirtschafts- und Gärtnereibetrieben. Der muttersprachliche Rechtsberater, der weiterhin von der öffentlichen Hand bezahlt werden kann, kennt den Weg: «Ich war schon bei einigen Feldaktionen dabei.» Vielen Landsleuten konnte er dabei helfen.Sein eigener Weg ist ein längerer: Im Mai 1966 als Kind der Sowjetunion geboren, erlebt Radu zunächst unbeschwerte Tage in einem kleinen Dorf im Norden Moldawiens.Früh in seinem Leben wird er gezwungen zu übersiedeln: Mit sieben in die moldawische Hauptstadt Chisinău («den Berufen meiner Eltern folgend»), mit 18 in die russische Hauptstadt Moskau («der Wehrpflicht der Roten Armee geschuldet»). Später wird er an die moldawischen Botschaften nach Bonn, Berlin und Wien berufen.
Personalvertreter.
«Die Menschen waren mir immer wichtiger als meine Karriere», sagt einer, der weiß, wovon er spricht. Radu Plămădeală hatte nicht kandidiert, dennoch wurde er mit überwältigender Mehrheit zu einem Personalvertreter im moldawischen Außenministerium gewählt. Dieses Mandat nahm er derart ernst, dass sich seine Arbeitslosigkeit schmerzhaft anfühlte. Im Frühjahr 2016 holte ihn jedenfalls ein österreichischer Gewerkschafter mit Weitsicht nach Wien zurück. Seine Aufgabe beschreibt er so: «Rumänisch- und russischsprachige Arbeitnehmer_innen beraten und bei Bedarf vertreten.» Zum Beispiel in den Betrieben am Ostrand der Stadt. Die größten Berufsgruppen, mit denen Radu Plămădeală zu tun hat: «Neben den Saisoniers in der Landwirtschaft sind es die Beschäftigten auf Baustellen, in der Reinigung, in der Gastronomie und Hotelerie, einige auch in der Pflege sowie in der 24-Stunden-Betreuung.»
Als Botschaftssekretär hat er Wien schätzen gelernt, nicht zuletzt wegen der «kreativen Diplomatie». Als Rechtsberater im Auftrag des ÖGB kennt er nun auch die Schattenplätze in einem der reichsten Länder der Welt: «Es ist schon obszön, wie wenig manche Unternehmen meinen Landsleuten bezahlen wollen, im Wissen, dass diese nicht kündigen, weil sie hier in jedem Fall mehr verdienen als in ihrer
Heimat.» Dazu nennt Radu Plămădeală auch eine Referenzzahl: «In Moldawien müssen Menschen mit 50 Euro Pension Monat für
Monat über die Runden kommen.»
Der Sohn eines der besten Freistilringer im Sowjet-Sportkosmos hat von seinem Vater gelernt, niemals als Erster und vor allem nicht unbegründet sein Gegenüber zu attackieren und selbst im Notfall «fair zu bleiben». Deshalb bemüht er sich auch um möglichst faire arbeitsrechtliche Lösungen: «Wenn ich bemerke, dass jemand Rechte einfordert, die ihm nicht zustehen, muss ich ihn bremsen, auch aus Respekt vor seinem Arbeitgeber.» Stößt er jedoch nachweislich auf Sozialdumping, dann ist das ausbeutende Unternehmen gut beraten, das Geld für die Rückzahlung schon einmal zur Seite zu legen. Es könnte nachträglich teuer werden.
Fairmittler.
Immer noch ist Radu Plămădeală über die positiven Reaktionen überrascht, die ihm mündlich und schriftlich zugetragen werden: «Manche bedanken sich sogar dafür, dass ich ein Schriftstück für sie übersetzt habe. Dabei habe ich doch nur gemacht, was ein Teil meiner Arbeit ist.» Hilfreich sind auch die Prospekte, die der Rechtsberater gemeinsam mit der PRO-GE (Produktionsgewerkschaft) für die «Sezonieri» ins Rumänische übersetzt hat. Dort erfahren sie über die gesetzlichen Regelungen bezüglich Mindestlohn, Arbeits- und Pausenzeiten, Überstunden, Quartier bzw. Arbeitsmaterial. Zum Ringer habe ihm das Talent und die Kraft seines Vaters gefehlt, bedauert Radu manchmal. Halb so schlimm: Dafür ist er als Mentor auf der Seite der Schwächsten absolute Weltklasse.
Mehr Infos: www.sezonieri.at