Fast eine Hafenspelunkevorstadt

Der Tschocherl-Report (5. Teil)

Fantasiebegabte Nostalgiker_innen mögen bei einem Lokal wie dem Donaubeisl an einen Ort denken, wo Wien zur Weltstadt wird: Zu einem Treffpunkt von vollbärtigen Kapitänen und tätowierten Matrosen, die sich im verrauchten Hinterzimmer Geschichten über die Donau und die sieben Weltmeere erzählen, dabei allerlei Seemannsgarn spinnen und bei Meinungsverschiedenheiten gern mal die Fäuste sprechen lassen.

Doch ganz so geht es im Donaubeisl nicht zu. Zwar zählt Herr Leopold Rehm, seit 17 Jahren Wirt, auch einen Kapitän zu seinen gelegentlichen Gästen wenn auch «nur» einen Kapitän eines Ausflugsschiffs am Donaukanal. Und auch beim Betrachten der Wanddekoration keimt ein Anflug von Hafenromantik auf: ein Anker über dem Sparvereinssammelkasten, daneben ein Schaubild mit diversen nautischen Knoten, und wieder daneben, hoch über dem «Cheftisch», ein überlebensgroßes Porträt eines grobschlächtigen Seemanns.

Doch das Hinterzimmer ist ein Nichtraucherbereich, der ab etwa 11 Uhr von älteren Damen zwecks Mittagessen in Beschlag genommen wird. Und auch sonst geht es in seinem Lokal «sehr gesittet» zu, sagt Rehm. In 17 Jahren sei nur ein Mal die Polizei gekommen, wegen einer Haschgeschichte, als sich «dieser Depp» in sein Lokal verirrt hätte.

Heute verirrt sich am Vormittag, wie gesagt, gern eine Runde reiferer Damen ins Donaubeisl. Und zwar aus mehreren Gründen, wie es eine auf den Punkt bringt: «Wir kriegen jeden Tag was Frisches, jeden Tag was Gutes, und es ist immer genug. Und: die Wirtsleit san freundlich.» Herr Rehm, der Wirt, soll aber nicht nur freundlich sein. Er soll auch überhaupt bei den Damen sehr beliebt sein. Eine andere: «Die Damen haben ihn gern den Chef, der gfoit erna. Überhaupt, es gibt da gewisse Damen, die kommen nur wegen dem Chef, jüngere, wissen Sie. Wir san jo scho oid, uns is des wurscht.» Doch auch bei den Älteren muss man auf der Hut sein. Über eine der Anwesenden heißt es: «Passen Sie auf bei ihr, sonst werden Sie vernascht!» Eine Bemerkung, die in der gut gelaunten Runde, in der man sich trotz aller Vertrautheit noch immer vorwiegend mit «Sie» anspricht, für Gelächter sorgt.

Auch bei den männlichen Gästen, die im Hauptraum vorwiegend die Bar und die Tische am Fenster belegen, dominieren die älteren Semester. Einer von ihnen ist Gottfried. Der 65-Jährige definiert den Begriff «Stammkunde» neu. Er war nämlich schon Stammkunde, als es das Lokal noch gar nicht gab. Seit fünfzig Jahren kommt er ins Lokal, aber schon im Zuckerlgeschäft, das vorher da war, ging er regelmäßig ein und aus. Überhaupt ist Gottfried nicht nur ein Urgestein des Donaubeisls, sondern des Grätzels. Um die Ecke, in der Wehlistraße geboren, war er zuerst Lehrbub, begann seine Arbeit dann bei der Tramway am ehemaligen Bahnhof Vorgarten. Und so wie damals kommt er auch, seit er in Pension ist, fast täglich in sein Stammlokal. Er nennt es «eine Art Frühschoppen». Während die Gattin zuhause mit diversen Haushaltsarbeiten beschäftigt ist, macht er Einkäufe und: «natürlich gehst du dann auch auf ein Getränk, das gehört dazu.»

Unter Gottfried kennt ihn im Lokal aber keiner. Hier ist er der Gogi. Und Gogi steht auch auf seinem Bierglas. «Ehre, wem Ehre gebührt», sagt Rehm. Die goldenen Ehrennadel hätte er sich auch schon längst verdient, sagt der Wirt, aber so was wird in Lokalen nicht verliehen. Eine andere Nadel hat der «Gogi» dafür schon, die silberne für 50 Jahre Gewerkschaft, erst kürzlich vom Bürgermeister im Rathaus verliehen.

Der Bürgermeister muss leiwand sein

Über Häupl, den Gottfried als seinen Chef bezeichnet, kommt weder ihm noch Rehm was Schlechtes über die Lippen. Vor allem die Verlegung und Erweiterung der U2 durch den 2. Bezirk sei super für den Bezirk. Was für Gottfried außerdem zählt ist Bürgernähe, Zugänglichkeit, dass sich einer wo dazusetzt. Und mittrinkt, was ja nichts Schlechtes sei. «Außer dem Jonas, der war der einzige Abstinenzler, hot no jeder Bürgermeister der 2. Republik bleddert.» Ob rot oder schwarz sei außerdem egal: «Wenn ers guat macht, ghört er mir.» Und: «Leiwand muas er sein.»

Abgesehen davon, ob es jetzt ein Verdienst Häupls ist oder nicht, der Bezirk habe sich gut entwickelt. Überhaupt gibt es wohl in ganz Wien wenig Gegenden, die so einem steten und radikalen Wandel unterworfen waren wie der Mexikoplatz. Als der Gogi hier aufwuchs, war gegenüber noch ein Kuhstall und ein Hufschmied. Bald begann man, das Viertel als Wohngebiet zu erschließen, ein Prozess, der auch heute nicht beendet ist und der mit der Entwicklung des ehemaligen Nordbahnhof-Areals auch die nächsten fünfzehn Jahre andauern wird.

Ein Ereignis, das nicht nur für den Bezirk weitreichende Folgen hatte, ist hier jedenfalls noch lebhaft in Erinnerung. Angesprochen auf den 1.8.1976 sagt Leopold Rehm: «Niki Lauda, Reichsbrücke» und zwar in dieser Reihenfolge. Ein Schicksalstag nicht nur für Wien, sondern für ganz Österreich, eine schwarzer Tag für das Selbstbewusstsein einer kleinen Nation: In den frühen Morgenstunden der Einsturz der Reichsbrücke, die damals mit ihrer Konzeption als Kettenbrücke als drittes Wiener Wahrzeichen galt. Und nur wenige Stunden später dann der schwere Unfall des Doppelweltmeisters und auch in diesem Jahr haushoch in der Weltmeisterschaft führenden Niki Lauda am Nürburgring beim Großen Preis von Deutschland.

Gottfried, der an diesem Tag Dienst hatte, konnte die Meldung vom Brückeneinsturz zuerst nicht glauben. Er hatte einen Bumperer gehört, «aber das hätte irgendwas sein können». Als er dann zur Donau ging, um sich zu überzeugen, dass die Gerüchte nicht stimmten, hat auch er sich gefragt: «Herst, wo is die Kettn?»

Die neue, dritte Reichsbrücke, eröffnet 1980, mit ihrer längeren Rampe, spaltete den Mexikoplatz daraufhin in zwei Teile, von denen einer bald in Verruf kam. «Es gab die wilde und die ruhige Seite», sagt Rehm. «Bei uns war es aber immer ruhig.» Mittlerweile ist auch die Schwarzmarktzeit Geschichte und fast schon so wenig bekannt, wie der Grund dafür, warum der Mexikoplatz eigentlich Mexikoplatz heißt: Weil Mexiko als einziges Land vor dem Völkerbund gegen die Annexion Österreichs durch Hitler-Deutschland protestiert hat.

DONAUBEISL
Speisen: Hausmannskost, Tagesteller 4,90 außer Freitag (Fischtag)
Flasche Bier: 2,90
Kleiner Mokka: 1,50
Spritzer Weiß: 1,50
Kreditkarten: Nein
Schanigarten: Ja
Ambiente: Maritimes Dekor, Donauromantik
Adresse: Mexikoplatz 27, 1020 Wien
Tel: (01) 218 03 46
Öffnungszeiten: 622 Uhr (Winter)