Palm macht Urlaub von Mozart und zelebriert James Joyce
Die freie Kunstrepublik „AugartenStadt“ hat den 16. Juni zu ihrem ersten offiziellen Feiertag erklärt. Den weltweit als Bloomsday bekannten Termin erklärt sie zum Tag der Freiheit der Kunst. James-Joyce-Kenner, Autor, Regisseur und Aktionist Kurt Palm skizziert im Folgenden die Entstehung und Bedeutung des Feiertages. Palm ist einer der Zeremonienmeister der Bloomsday-Rituale, die an den Schauplätzen Gaußplatz 11 (Wien 20) und Bunkerei (Augarten, Wien 2) gepflegt werden.James Joyce legte großen Wert auf die Zeremonisierung von Kalendertagen. Als sein im Entstehen begriffenes Buch „“A Portrait of the Artist““ nicht die erwartete Resonanz fand, entschied er sich an seinem Geburtstag, dem 2. Februar 1904, es unter dem Titel „“Stephen Hero““ neu zu schreiben. Auch dass der „Ulysses“ am 2. Februar 1922 (= 2. 2. 22), seinem vierzigsten Geburtstag, erschien, kann genauso wenig als Zufall gewertet werden wie die Tatsache, dass „“Finnegans Wake““ am 2. Februar 1939 veröffentlicht wurde. Bei dem Exemplar, das Joyce an diesem Tag von der Druckerei erhielt, handelte es sich zwar um ein ungebundenes Umbruchexemplar, aber immerhin hatte er sein Ziel, dieses Buch an seinem 57. Geburtstag herauszubringen, erreicht.
Bei Joyces Hang zur Ritualisierung von Festtagen wäre es denkbar, dass er sogar den Geburtstag seiner Tochter genau plante, diese aber dann doch einen Tag früher zur Welt kam als von ihrem Vater vorgesehen. Lucia wurde nämlich am 26. Juli 1907 geboren, während Sohn Giorgio zwei Jahre zuvor am 27. Juli das Licht der Welt erblickte.
Nichts dem Zufall überlassen
War Joyce im Falle des Geburtstages seiner Tochter machtlos gegenüber den Kräften der Natur, so versuchte er im Bereich der Literatur sein Werk nach einem genauen Plan zu gestalten. Gerade der „Ulysses“ ist ein gutes Beispiel für dieses Arbeitsprinzip. In diesem Buch hat der Autor nichts dem Zufall überlassen, was möglicherweise auch einer der Gründe ist, weshalb der „Ulysses“, -auf den ersten Blick zumindest, -schwer zu lesen ist. Hinter (oder unter) den Wörtern verbirgt sich eine zweite (oder dritte oder vierte) Ebene.
Auf der anderen Seite war Joyce, als er den „Ulysses“ schrieb, bereits selbstbewusst genug, um auch sein eigenes Leben in diesen Roman hineinzuverweben. So gesehen ist es natürlich kein Zufall, dass der „Ulysses“ ausgerechnet am Donnerstag, dem 16. Juni 1904 – einem Schaltjahr-, spielt.
Der Grund dafür ist einfach: Am 16. Juni 1904 hatte der 22-jährige James Joyce in Dublin das erste Rendezvous mit dem 20-jährigen Stubenmädchen Nora Barnacle aus Galway. Joyce hatte Nora sechs Tage zuvor auf der Straße angesprochen und sie um ein Treffen gebeten. Als Joyce elf Jahre später im selbst gewählten Exil in Triest mit der Niederschrift des „Ulysses“ begann, entschloss er sich, den Roman in Erinnerung an diese Begegnung an eben diesem 16. Juni 1904 in Dublin spielen zu lassen. Erst die Begegnung mit Nora gab Joyce nämlich die Kraft, das verhasste Irland für immer zu verlassen.
Kurioserweise hat er seinen Bruder Stanislaus ausgerechnet am 16. Juni 1915 darüber informiert, dass er soeben mit der Niederschrift seines neuen Werkes begonnen hatte. Aus Triest schrieb er: „Ich habe etwas geschrieben. Die erste Episode meines neues Romans ,Ulysses‘ ist geschrieben.“ Die eigenartige Orthographie hängt damit zusammen, dass Joyce an Stanislaus auf Deutsch schreiben musste, da sich dieser zum damaligen Zeitpunkt als Kriegsgefangener in einem Internierungslager in Österreich aufhielt. Stanislaus Joyce hat dem „Ulysses“ übrigens noch im Tod die letzte Ehre erwiesen, indem er am „Bloomsday“ des Jahres 1955 in Triest starb.
Ein weltweiter Ulysses-Feiertag
Da dem 16. Juni 1904 im „Ulysses“ eine beinahe mythische Dimension zukommt, war Joyce viel daran gelegen, dieses Datum nach dem Erscheinen des Romans als „Bloomsday“ im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. Dass Joyce allerdings starke Zweifel hatte, ob sich dieser inoffizielle „Ulysses“-Feiertag überhaupt durchsetzen würde, zeigt eine Eintragung, die er am zwanzigsten Jahrestag von Blooms Odyssee durch Dublin vornahm: „Heute, 16. Juni 1924, zwanzig Jahre danach. Wird man sich auch noch später an dieses Datum erinnern?“ An diesem Tag hatten ihm Freunde in die Pariser Klinik, in der er sich einer Augenoperation unterziehen musste, aus Anlass des „Bloomsday“ einen Strauß Hortensien geschickt. Und das, obwohl Joyce Blumen nicht mochte.
Wie sich später herausstellte, waren Joyces Zweifel unbegründet, denn im Laufe der Jahre entwickelte sich der 16. Juni tatsächlich zu so etwas wie einem weltweiten „Ulysses“-Feiertag. Aus Anlass der 25. Wiederkehr des „Bloomsday“ wurde beispielsweise 1929 in Les Vaux-de-Cernay, einem kleinen Ort in der Nähe von Versailles, im dortigen „Hôtel Léopold“ ein großes Fest organisiert, an dem neben Joyce und Nora auch Samuel Beckett, Paul Valéry, Sylvia Beach und viele andere Künstler teilnahmen. Und selbst im Jahr 1938, als Joyce nach sechzehnjähriger Arbeit an „Finnegans Wake“ bereits in einer ganz anderen Welt lebte, freute er sich immer noch, wenn Freunde und Bekannte des „Bloomsday“ gedachten. Seit 1954, dem 50. Jahrestag des „Bloosmday“, finden jährlich am 16. Juni weltweit die unterschiedlichsten Veranstaltungen im Gedenken an Leopold Blooms Odyssee durch Dublin statt. Dass dabei viel Guinness und Whiskey getrunken wird, versteht sich wohl von selbst.
102. Bloomsday
Teil 1: Joyce-Kochtheater mit Kurt Palm
Ab 13 Uhr, Aktionsradius Augarten, Gaußplatz 11
Teil 2: Mollys Afternoon
Mit Anne Bennent, Kurt Palm und Rudi Hübl
Ab 15.30 Uhr, Bunkerei (AWAWA-Gastgarten) im Augarten
Teil 3: Irish Nigerian Bastard Music
Captain Nemo Music Band, Joao de Bruco, Matthias Jakisic, Gernot Strauß
Ab 20 Uhr, Bunkerei
Tel.: (01) 332 26 94
www.augarten-kultur.at