#FEMALE PLEASUREDichter Innenteil

Mein Körper gehört mir!

Votivkino im November. Da kann ich nicht vorbeigehen, wenn ich in der Ankündigung lese: #Female Pleasure. Fünf Frauen, Fünf Kulturen, Fünf Geschichten. Ein großartiger Dokumentarfilm von Barbara Miller, der auf dem Festival von Locarno ausgezeichnet wurde.

Grafik: Jella Jost nach Christina Goessl

Die wunderschöne Klitoris, wie ein rosa Vögelchen, sich in die Lüfte hebend Richtung Freiheit!

Am Ende des Films applaudieren alle im Kinosaal trotz der Schwere des Themas: weibliche Genitalverstümmelung, Zwangsehe, Vergewaltigungen, Missbrauch, religiöse Doppelmoral und die Verteufelung der weiblichen Lust. 200 Millionen Frauen und Mädchen werden nach wie vor zerschnitten, verstümmelt, traumatisiert oder umgebracht, weil sie verbluten oder an Wundstarrkrampf sterben. Mit einem Messer wird die Haut oder der Kopf der Klitoris einfach abgeschnitten. Da gibt es keine Narkose oder Betäubung. Oft wird auch viel mehr als das abgeschnitten. Im Film verdeutlicht dies die übergroße Plastik aus Plastilin. Tief hinein fährt das Messer der Aktivistin Leyla Hussein, um den umstehenden jungen Männern und Frauen zu zeigen, was wirklich passiert. Alle fassen es nicht. Sie greifen sich vor den Mund und reißen die Augen auf. Es rollen dicke Tränen. Da stehen junge Männer aus muslimischen Gesellschaften, die weinen. Und sie fragen, wieso so etwas immer noch passieren darf. Sie waren unaufgeklärt. Bis jetzt. Und das ist gut so. Leyla Hussein wurde selbst als 7-jähriges Mädchen einer strenggläubigen muslimischen Familie genital verstümmelt. Obwohl der Koran diese Praxis nicht kennt. In Sure 95,4 steht: «Wahrlich, wir haben den Menschen in bester Form erschaffen.» Seit vielen Jahren kämpft Leyla Hussein für körperliche Unversehrtheit und sexuelle Selbstbestimmung muslimischer Frauen in fundamentalistischen Ländern, aber auch in Europa. Sie ist Psychotherapeutin und Aktivistin gegen FGM in Europa, dem Nahen Osten, Asien und Afrika und tritt vor der UNO oder dem englischen Parlament auf, um die Situation gefährdeter Mädchen aufzuzeigen und zu verändern.

Das Recht aller Kinder auf unversehrte Genitalien

Was versteht man unter FGM (Englisch: Female Genital Mutilation)? Noch bis in die 80er-Jahre war in weiten Kreisen tatsächlich noch von weiblicher Beschneidung die Rede. Beschneidung erinnert sehr an die männliche Praxis, bei der die Vorhaut abgetrennt wird. Bei Mädchen und Frauen wird jedoch zum Teil das gesamte äußere Genital entfernt. Der wichtigste Teil des Lustempfindens wird, nennen wir das Kind beim Namen, herausgeschnitten: die Klitoris. Die Klitoris ist ein relativ großer nach innen verzweigter Körperteil, der etwa in seiner Breite und Höhe 10 cm misst. Allzu lange wurde die Klitoris selbst in medizinischen Fachzeitungen nicht erwähnt, geschweige denn bildhaft dargestellt: die wunderschöne Klitoris, wie ein rosa Vögelchen sich in die Lüfte hebend. Das sollten wir uns mal auf der Zunge zergehen lassen. Was jedoch tagtäglich in Wirklichkeit passiert, entspricht einer Verletzung der Grundrechte des Menschen auf Unversehrtheit. Oft sind es noch kleine Mädchen, denen ohne jegliche Betäubung unter größten Schmerzen mit nicht sterilisierten Messern oder Glasscherben weitflächig der Genitalbereich abgeschnitten wird. Die Wunde wird beispielsweise mit Akaziendornen oder Pferdehaar vernäht. Übrig bleibt eine kleine Öffnung für die Körperflüssigkeiten, die beispielsweise mit einem dünnen Zweig geschaffen wird. Den Opfern werden etwa einen Monat lang die Beine verbunden, damit die Wunde heilt. Allerdings gibt es auch ganz andere scheinmoderne Formen: In Ägypten, wo 87 Prozent der Frauen beschnitten sind, werden fast die Hälfte aller Eingriffe von Ärzt_innen vorgenommen. Dieser sogenannte medizinische Eingriff reduziert zwar das Sterberisiko und vermindert die Nebenwirkungen für die Mädchen und Frauen, eine Menschenrechtsverletzung bleibt diese Form der Genitalverstümme¬ung aber dennoch. Neben den körperlichen Beschwerden haben die Frauen ein Leben lang mit psychischen Problemen und mit großen körperlichen Problemen zu leiden, lese ich auf der Seite der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung. Klarer sagen es die Terre des Femmes: So lange Kinderrechte (also Buben und Mädchen) relativiert und nach Gutdünken ausgelegt werden, kann es keinen wirksamen Schutz vor Genitalverstümmelung geben. Wie soll man Eltern erklären, sie dürften über die Genitalien ihrer Jungen (Beschneidung) verfügen, über die ihrer Töchter jedoch nicht? Organisationen wie Terre des Femmes haben dies erkannt und sprechen sich kompromisslos für das Recht aller Kinder auf unversehrte Genitalien aus. Jeder Versuch, die Rechte eines Geschlechts gegen die des anderen auszuspielen, kann nur scheitern. Kinderrechte sind unteilbar. Jede Verletzung kindlicher Genitalien ist Unrecht. Gewaltformen wie Zwangsheirat, Ehrverbrechen, weibliche Genitalverstümmelung, Brautraub, Polygamie, Jungfräulichkeitstests oder Säureangriffe sind international zu verurteilen. Sie basieren auf kulturell und sozial verwurzelten patriarchalen Traditionen und Normen. Da auch in Deutschland und Österreich immer mehr Frauen davon betroffen sind, hat Terre des Femmes eine umfassende und informative Broschüre herausgegeben, die gratis auf der Website bestellt werden kann (Link am Ende des Artikels).

Das atemberaubende Lachen der Rokudenashiko

Der Dokumentarfilm #Female Pleasure nähert sich den weiblichen Themen mit ungestillter Freude, Optimismus, Kraft, brillanter Kameraführung und bravourösem filmischen Know-how. Neben Leyla Hussein als eine der fünf Frauen, betreten wir auch die Welt der Deborah Feldman. Sie wuchs isoliert in einer ultraorthodoxen jüdischen Familie im New Yorker Stadtteil Williamsburg auf. Mit 17 Jahren wurde sie an einen jungen Mann (zwangs-)verheiratet. Sie hatte ihn zuvor nur einmal gesehen. Und erst unmittelbar vor der Hochzeitsnacht wurde sie «aufgeklärt». Man erklärte ihr ihre ehelichen Pflichten. Das war es dann. Bald kam ein Sohn, mit dem sie so rasch wie nur möglich ihre bedrückende Gemeinschaft verließ. Das war ein mutiger Schritt. Man ächtete sie und wünschte ihr einen baldigen Tod. Deborah hat ihren Lebenswillen, ihre Autonomie und ihre Würde als Frau sichtbar und hörbar niemals aufgegeben und sich dies hart erarbeitet. Sie erzählt ohne Reue, ohne Schuldzuweisung, ohne Bitterkeit, ohne Nachgeschmack in aller Klarheit. Das ist im Übrigen die Essenz dieses wunderbaren Films: Keine dieser Frauen verurteilt, denn sie haben alle fünf bereits Wege und politische Mittel gefunden, mit dem überwundenen Schmerz konstruktiv umzugehen, sie haben ihre Vergangenheit, soweit es geht, verstanden und etwas daraus gemacht, um anderen Frauen zu helfen. Sie sind klug und gereift daraus hervorgegangen und erzählen ihre Erfahrungen patriarchal inszenierter Unterdrückungen innerhalb religiös kultureller Dogmen ohne Furcht und Scham. Es sind hier fünf Frauen porträtiert, die ihre Leben sichtlich genießen können und sich ihrer gesellschaftlichen Aufgabe im feministischen Sinne völlig bewusst sind. Dazu zählt auch Vithika Yadav, die in Indien in einer traditionellen hinduistischen Familie in Rajastan aufwuchs. Sie arbeitet mit Performances, mit Theater in den Straßen Indiens. Es ist beeindruckend zu sehen, wie ihre Akteur_innen emotional in das Thema sexuelle Übergriffe, Vergewaltigung einsteigen und sich dramatisch für eine Bürgerbeteiligung und Zivilcourage stark machen. Das rüttelt wach! Vithika Yadav gewann 2013 den Preis für ihre Internet-Plattform Love Matters, auf der alles behandelt wird, was wir hier in den 70ern thematisch emanzipatorisch durchgemacht haben: Schwangerschaft, Körper, Verhütung, Ehe, Safer Sex.

Doris Wagner ist die Nummer vier der fünf Frauen und stammt aus Bayern. Sie wuchs in einer strenggläubigen protestantisch-katholischen Familie auf, trat mit 19 Jahren in den Orden ein, erlebte sexuellen Missbrauch und erzählt mit bezaubernd intelligentem Schmunzeln über die Freuden und Glücksmomente ihres jetzigen befreiten Lebens. Ein Leuchten, ein Strahlen fährt durch ihr Gesicht. Als Philosophin und Theologin kämpft sie für ein Umdenken in den katholischen und kirchlichen Sekten. Mit ihrer ironischen Art, über die Doppelmoral der Kirche und die Janusköpfigkeit in den höchsten Ämtern zu sprechen, gewinnt sie eindeutig das Kinopublikum. Und um nichts weniger Rokudenashiko und ihre gebündelte expressive Ausdruckskunst. Rokudenashiko ist eine japanische Künstlerin, die in einem traditionell-buddhistischen-schintoistischen Elternhaus lebte. Sie explodiert förmlich als Manga- und Aktionskünstlerin! Ihre Vitalität, ihre Freude an, mit und in ihrem Körper und ihrem Dasein drückt sie mit Vagina-Performances aus. Weil sie einen 3D-Abdruck ihrer Vagina vergrößerte und auf ein Kanu setzte, mit dem sie auf dem Meer fuhr, wurde sie verhaftet und angeklagt. Was lernen wir daraus? Der Peniskult mit riesigen Penissen, die durch die Straßen transportiert werden und junge Männer und Frauen die penisförmiges-Eis lutschen (in der Tat!) ist in Japan an der Tagesordnung. Vaginas aber sind das Böse. Das klingt wie aus dem Mittelalter. Adam und Eva. In welcher Zeit leben wir? Es gibt noch viel zu tun. Das atemberaubende Lachen der Rokudenashiko gibt uns die Kraft dazu.

www.femalepleasure.org

Terre des Femmes: www.frauenrechte.de

FEM Süd Gesundheitszentrum Wien: www.fem.at