«Feministin» bis zum SchafottArtistin

Zwei Frauen aus Wien bekämpfen das «Kurtisanen»-Klischee von Olympe de Gouges

Noch heute, über 200 Jahre nach ihrem Tod, ist Olympe de Gouges, die während der Französischen Revolution für ihr politisches Engagement am Schafott hingerichtet wurde, weitgehend unbekannt. Eine umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung ihrer schriftlichen Hinterlassenschaft fehlt. Die Philosophin Viktoria Frysak hat sich in französischen Archiven im Zuge ihrer Dissertation auf die Suche nach bisher unbekannten Schriften von Olympe de Gouges gemacht und ihren Roman «Der philosophische Prinz. Erzählung aus dem Osten» (1792) gemeinsam mit Corinne Walter ins Deutsche übersetzt.Damit haben beide Frauen von Wien aus einen essenziellen Beitrag zur Bekanntwerdung einer der wichtigsten feministischen Vorkämpferinnen in der Geschichte geleistet. Olympe de Gouges ist nach wie vor Gegenstand wilder Spekulationen. Als Frau, die selbstbewusst Standes- und Geschlechtergrenzen überwand und in aller Öffentlichkeit ihre oppositionellen (gesellschafts-)politischen und humanistischen Überzeugungen kundtat, war sie bereits zu Lebzeiten mit Diffamierungen ihrer Person konfrontiert. Ein Augustin-Gespräch mit Corinne Walter und Viktoria Frysak.

Schon zu Lebzeiten wurde sie hartnäckig als Kurtisane bezeichnet; ihr unangepasster Lebensstil wurde mehr besprochen als ihr politisches Engagement. Wer war de Gouges wirklich?

C. W. Olympe de Gouges wurde als Marie Gouze am 5. Mai 1748 in der südfranzösischen Stadt Montauban geboren. Sie war die Tochter des kleinbürgerlichen Ehepaares Anne-Olympe und Pierre Gouze. Ihr leiblicher Vater war jedoch vermutlich der Marquis Jean-Jacques Le Franc de Pompignan. Olympe de Gouges litt lebenslang daran, dass er ein gefeierter Literat und Mitglied der hochangesehenen Académie française seine Vaterschaft nie anerkannte.

Im Alter von 17 Jahren wurde de Gouges wahrscheinlich gegen ihren Willen verheiratet. Im August 1766 kam ihr Sohn Pierre zur Welt. Im selben Jahr verliert sich die Spur seines Vaters, er dürfte verstorben sein. Sie war allerdings froh, aus dieser Ehe entkommen zu sein. Sie bezeichnete später die Ehe als «Grab der Liebe und des Vertrauens» und verweigerte jede Wiederverheiratung. Um etwa 1770 bezeichnete sie sich als Witwe und legte den Ehenamen ab. Ab da nannte sie sich (Marie-)Olympe de Gouges. Über die Zeit nach der Geburt ihres Sohnes bis ca. 1784, dem Erscheinen ihrer ersten Publikation, ist kaum etwas über ihr Leben bekannt. Man weiß, dass Jacques Biétrix de Rozières ein begüterter adeliger Unternehmer im königlichen Heeresdienst, de Gouges Lebensgefährte wurde. Er räumte ihr notariell eine Leibrente ein, die ihr ein gutbürgerliches Leben ermöglichte.



Was kann der Diffamierung, dass sie als femme galante [Kurtisane] in Paris lebte, heute entgegengehalten werden?



C. W. Olympe de Gouges muss die frühen Pariser Jahre zu intensivem Selbststudium genutzt haben. Sie lernte Französisch, die offizielle Amtssprache und Sprache der Gelehrten, denn ihre Muttersprache war Okzitan. Auch hatte sie in ihrer Kindheit nur rudimentär lesen und schreiben gelernt und sicherlich kaum Schulbildung genossen. Ihre Werke jedoch zeugen von profunden Kenntnissen der französischen Geschichte, der römischen und griechischen Antike sowie der politischen Philosophie, insbesondere der Werke Jean-Jacques Rousseaus. Man weiß, dass Olympe de Gouges literarische Salons sowie Intellektuellenzirkel frequentierte. Sie stand in Kontakt mit zeitgenössischen Schriftstellern, Wissenschaftern, Politikern und Publizisten, besuchte politische Clubs und die Zuhörertribune der Nationalversammlung. Sie hegte eine große Liebe zum Theater, und es gibt einen Hinweis darauf, dass sie eine Zeit lang selbst ein Wandertheater betrieb. In diesen Jahren entwickelte sie viele eigene politische, philosophische und weltanschauliche Ideen, die von den Grundsätzen der Aufklärung und einem humanistischen Geist gespeist waren.

Wann begann ihre Karriere als femme de lettres [Schriftstellerin]?

V. F. Ihr erstes Werk war ein Briefroman mit dem Titel Mémoire de Mme de Valmont, den sie 1784 wie alle ihre Werke selbst publizierte. Darin arbeitete sie u .a. ihre Vergangenheit auf, indem sie die Probleme von Kindern illegitimer Herkunft sowie die unfreiwillige Verheiratung von Frauen thematisierte. Sie trat damit just zu dem Zeitpunkt als Literatin an die Öffentlichkeit, als ihr wahrscheinlich leiblicher Vater, der Marquis de Pompignan, starb. Zur gleichen Zeit hatte sie ihr erstes von insgesamt 12 erhaltenen Theaterstücken, das Drama Zamore et Mirza ou l’heureux naufrage (Zamore und Mirza oder der glückliche Schiffbruch), fertiggestellt. Diesem lag wie all ihren Romanen und Dramen ein sozialkritisches und gesellschaftspolitisches Thema zu Grunde, in diesem Fall die menschenunwürdige Lage der Sklaven in den französischen Kolonien. Ihre humanistische Position konfrontierte Olympe de Gouges mit ersten politischen Widerständen. Sie musste fünf Jahre lang erbittert mit der Comédie-Française einen ihrerseits öffentlich geführten Kampf austragen, damit das Stück 1789 uraufgeführt wurde. Episoden wie diese zeugen von ihrer Tatkraft und ihrem ungeheuren Mut. Sie war die einzig bekannte Frau dieser Zeit, die expliziert für die Abschaffung der Sklaverei argumentierte.

Allgemein ist zu sagen, dass von Olympe de Gouges eine Vielzahl von Theaterstücken und Romanen erhalten ist, diese aber kaum übersetzt sind. Darin widmet sie sich Themen wie dem Patriarchat, der Bigotterie, der Bestrafung von Armut durch Schuldhaft, dem Abschieben von Mädchen in Klöster und immer wieder dem Selbstbestimmungsrecht der Frauen. Ihre Zeit als femme de lettres ist besser dokumentiert als jeder andere Abschnitt ihres Lebens, und es war wohl auch derjenige, mit dem sie sich selbst am meisten identifizierte.


Olympe de Gouges wurde zusehends auch politische Aktivistin …

C. W. 1788, wenige Monate vor dem Ausbruch der Revolution in einer politisch aufgeheizten Situation, begnügte sich Olympe de Gouges nicht länger damit, ihr gesellschaftliches Engagement in literarischen Werken darzustellen. Sie begann ihre politische Meinung öffentlich kund zu tun und tagesaktuelle Stellungnahmen zum (vor-)revolutionären Geschehen abzugeben. Dabei nutzte sie jedes Medium, angefangen bei Wandplakaten, die sie öffentlich aushängen ließ, über Zeitungen, Petitionen an öffentliche Körperschaften und politische Agiteure, bis hin zu Pamphleten, offenen Briefen und Büchern. Sie versteckte sich kaum jemals hinter ihren mehr als 90 erhaltenen politischen Schriften, sondern bekannte sich zu ihrer Meinung und betonte ihr Frau-Sein. Sie wurde dafür nicht nur verhöhnt, sondern zusehends zu einer öffentlichen Person in einer Zeit politischer Machtkämpfe.

Was thematisierte sie in ihren Schriften?

V. F. Sie forderte Privilegienabbau, politische Kontrolle und Rechenschaftspflicht staatlicher Amtsträger sowie die Trennung von Kirche und Staat. Sie trat für die Reform des Strafrechts, insbesondere für die Abschaffung der Todesstrafe, für freie Wahlen und eine Verfassung ein. Sie forderte staatliche Sozialverantwortung, angefangen von einer adäquaten Krankenversorgung bis zu Bildungsmaßnahmen für alle Bevölkerungsschichten, vom politischen Mitspracherecht bis zum Gemeinwohl.

Unmissverständlich trat sie in ihren Schriften für die gleichen Rechte, aber auch Pflichten der Frauen ein. Sie argumentierte konsequent für die Chancengleichheit für Frauen als Grundvoraussetzung für eine gleichberechtigte Gesellschaft und den dadurch letztendlich größeren Nutzen und zwar für alle. Im philosophischen Prinzen betont die Protagonistin Idamée ihrem Mann, dem König von Siam, gegenüber: «Schließlich ist es aus Liebe zum Staat und zum öffentlichen Wohl notwendig, diesem Geschlecht mehr Tatkraft zuzugestehen, ihm zu erlauben, seine Fähigkeiten in allen Stellungen zu zeigen und auszuüben. Sind die Männer alle unentbehrlich? Ah! Wie viele Frauen gibt es nicht, die quer durch ihre Unwissenheit die Angelegenheiten besser lenken als die dummen Männer, die sich oft an der Spitze eines Büros, eines Unternehmens, der Armee oder der Anwaltschaft befinden. () Das Selbstwertgefühl, das die Männer fast immer lenkt, würde noch mehr den Geist der untadeligen Frauen beherrschen; der Ruhm würde aus ihnen furchtlose Kriegerinnen machen, integre Beamtinnen, weise und unbestechliche Ministerinnen.»



Wie stand Olympe de Gouges zur Revolution?

C. W. Sie war Revolutionärin, aber sie wehrte sich gegen Gewalttätigkeit und Blutvergießen. Sie verurteilte öffentlich die grausamen Septembermassaker und wies auf die Gefahr der Radikalisierung der Revolution hin. Sie argumentierte gegen die Hinrichtung des Königs und warnte vor Robespierre und Marat, deren Clubs im Verlauf der Revolution jedoch bald eine Mehrheit auf sich vereinigen konnten und die politische Führung übernahmen.

Unter Robespierre begann im Juni 1793 la grande terreur, die große Schreckensherrschaft, der Olympe de Gouges schließlich zum Opfer fiel. Als sie in einer Wandzeitung mit dem Titel Les trois urnes (Die drei Urnen) zu einer direkten Volkswahl aufrief, wurde sie beim Versuch, die Zeitung zu plakatieren, verhaftet. Sie war dann im Verlauf einiger Monate in verschiedenen Gefängnissen untergebracht und zunächst von einem fairen Prozess und ihrer Freilassung überzeugt. Sie berief sich auf Artikel 7 der französischen Verfassung, der die Meinungs- und die Pressefreiheit garantierte. Noch aus der Haft veröffentlichte sie politische Schriften und wetterte gegen Robespierre als den neuen Despoten. Ende Oktober 1793 wurde sie in die Conciergerie, den Vorhof des Schafotts, verlegt und wegen ihrer politischen Meinung am 3.11.1793 hingerichtet.



Mit Viktoria Frysak und Corinne Walter sprach Barbara Karahan

www.olympe-de-gouges.info

www.editionviktoria.at

«Mann, bist du fähig, gerecht zu sein? Es ist eine Frau, die dir diese Frage stellt, zumindest dieses Recht nimmst du ihr nicht. Sag, wer hat dir die unumschränkte Herrschaft verliehen, mein Geschlecht zu unterdrücken?» (aus: Olympe de Gouges, Les droits de la femme, 14. September 1791)