Fiktionen aus dem Wiener WaldArtistin

Wenn Quentin Tarantino im Off Theater auf Ödön von Horváth trifft

Das Bernhard-Ensemble mischt Tarantino und Horváth, raus kommt ein Theaterspektakel über gewaltvollen Chauvinismus und viele Versuche, sich dagegen zu behaupten. Am Tag nach der Premiere nimmt sich Ernst Kurt Weigel, der gemeinsam mit Grischka Voss das Bernhard-Ensemble leitet, im Duo mit ihr bei «Wiener.Wald.Fiction» Regie führt und gleichzeitig den «Sonnenkönig» spielt, Zeit für ein Gespräch: in der Theatergarderobe, umgeben von Semmelbröseln aka harten Drogen, Vincents pinker Uomo-Unterhose und den lila Leggings der Dealerin Vallie.

Zur Premierenfeier gibt es kleines, leichtes Bier und Chips aus dem Sackerl. Bernhard Fleischmann, der die «Geschichten aus dem Wienerwald» erstaunlich detailgetreu wiedergeben kann (er hat, erfahre ich sodann, schon in der Schule «als zwei Nebenrollen» in einer Produktion mitgewirkt), zeichnet für die Musik von «Wiener.Wald.Fiction» verantwortlich. Ein bisschen Strauss, ein bisschen Killermusik, und dazwischen ertönt auch mal die grässliche Hymne unserer Jugend, Hasselhoffs Version von «Looking for Freedom». «Direkt vom «Pulp Fiction»-Soundtrack Musik einzuspielen wäre keine Möglichkeit gewesen. Der Soundtrack ist dermaßen stark an den Film gebunden, dass du sofort die Filmszenen vor dir siehst – damit hätte das Stück schon verloren.» Und noch ein interessantes Detail: Es sei, sagt Fleischmann, gar nicht einfach, guten Schuss-Sound zu finden, «der nicht nach Prärie klingt», sondern nach Kellerlokal und leeren Büroräumen in der Thaliastraße. Den habe der Ernst selbst gesucht – und vielfach gefunden, denn gemessen an der Schießfrequenz ist das Stück durchaus mehr Tarantino als Horváth.

 

Das sind denn auch die performativ beeindruckendsten Szenen: wenn Schretzmayer, Weigel und Welz von dutzenden Kugeln durchlöchert am Boden liegend letzte Sprünge vollführen; und sich, das Publikum dankt’s, immer wieder von den Toten erheben, «das war arg» seufzen, um gleich darauf von noch mehr und noch mehr Salven niedergestreckt zu werden. Und so weiter. «Wieso sterben die ned?», fragt Clemens Berndorff aka Vincent aka «Pumpkin» seinen Kompagnon Oskar (Kajetan Dick), und der erwidert ungerührt: «Das sind Österreicher, die kann man nicht so leicht umbringen.» Und schießt wie zum Beweis mit der «Nazipuffn vom Opa» nochmal der Vallie (Doris Schretzmayer) ins unsterbliche Knie.

Von Machos, über Machos


Wie kommt man auf die Idee, Tarantino und Horváth zum Tanz zu bitten? Die erste Kombination dieser Art haben Voss und Weigel mit Arthur Schnitzler («Das weite Land») und David Lynch («Lost Highway») versucht. «Das geht sich aus dem einfachen Grund aus, dass der Lynch ganz gnadenlos nur das zeigt, was im Menschen psychisch vorgeht, und der Schnitzler zeigt nur die Oberfläche, schafft es aber genial, die Psyche so auszusparen, dass du sie trotzdem spürst.» Kurz gefasst: «Was der Schnitzler nicht sagt, spricht der Lynch aus.» Daraus wurde 2011 – hundert Jahre nach der Schnitzler-Uraufführung am Burgtheater – «Weit.Way.Land».

 

Bei der frisch produzierten Mixtur aus «Geschichten aus dem Wiener Wald» und «Pulp Fiction» stutzt man auch nur einen Augenblick lang. Kaum geht das Bühnenspektakel los, fallen die Schuppen von den Publikumsaugen: Da sind ja wirklich lauter Verbindungen! Oder zumindest «Verbindbarkeiten». «Für mich war der Knackpunkt diese innere Metzelei, dieses Blutbad, das die Menschen sich bei Horváth verbal antun. Da war mein Grundgedanke: Das innere Blutbad des Horváth bringt mir der Tarantino nach außen. Was der eine nicht zeigt, zeigt der andere dauernd; da muss es eine Verbindung geben.»

 

Während Ödön von Horváth im «Wiener Wald» über den Machismus spricht, über «diese extrem chauvinistische Welt, diese faschistoide, frauenfeindliche, männerverherrlichende, kriegsverherrlichende Welt», ist Tarantino für Weigel «selbst ein extremer Macho». Diese Machomania hat das Bernhard-Ensemble vor der Kulisse österreichischer Keller aktualisiert.

 

«Auf dem Hochseil» nennt Weigel die Spielart des Ensembles: Es gibt eine Struktur, Vorgaben, wo es hingehen soll, aber auch den Spielraum für die Einzelnen, ihre Rollen während der Aufführungen zu entwickeln. Da heißt es, genau aufzupassen, um auf der Bühne adäquat reagieren zu können. «Wobei es», fügt er lachend hinzu: «bei diesem Stück ein bisschen einfacher ist, weil wir alle immer Waffen haben – man kann Dinge also sehr schnell klären.»

 

Mia ist die Tochter vom Sonnenkönig. Sie blickt auf eine Geschichte sexualisierter Gewalt durch ihren Vaters zurück, zum ersten Mal fähig und willens, die auch zu benennen. Das packt der Vater nicht und reagiert mit einer Mischung aus Angst und erneuter Gewalt. «Du wirst immer meine Tochter bleiben», dieser Satz ist eine einzige Drohung. Im Milieu der großen Drogen- und Solariumsgeschäfte (herhalten muss natürlich das vielgeplagte Ottakring) spielen sich die Beziehungen und Beziehungsversuche ab: Vincent kommt, den Geruch der Freiheit und des Benzins im roten Jogger, aus den USA zurück; Vallie ist ihm nachhaltig gram; Mia soll an Oskar verheiratet werden, will jedoch – ganz «Pumpkin» und «Honeybunny» -lieber mit Vincent abhauen und einen Rosenberger überfallen. Vincent hingegen ist vor allem seiner goldenen Uhr verbunden: «Die Uhr ist meine Familie!» Vallie braucht eine ganze Weile und eine Menge Chakra, um zu kapieren, was mit Mia los ist. Dann schießt sie um sich: «Jetzt bin ich auch einmal Yang!» – und damit nach chinesischer Symbolik «hell, hart, heiß, männlich, aktiv» -, brüllt sie die geknebelten Macker in einer gleichsam beklemmenden und befreienden Szene an. Zum Schluss hat die Mia trotzdem nur die Wahl zwischen Oskar, heißt: Thujenheckensicherheit in Purkersdorf mit Veggieburgergrillen am Wochenende – und dem Tod. Dazwischen wird ein Aida-Sackerl hin- und hergeschoben: mal Verlobungsgeschenk (eine Waffe für Mia), mal Beutekoffer (die goldene Uhr), mal Symbol für das ganze Leben (süßlich, verlockend, klebrig, schlecht für die Gesundheit); ein wenig Horváth’sches Wien (dabei gibt es in der Josefstadt, wo die «Geschichten aus dem Wiener Wald» ihr Zuhause haben, tatsächlich keine Aida); ein wenig Pulp Fiction (wo der Koffer als sogenannter «Mac Guffin», als Ding, das die Handlung bestimmt und doch unbestimmten Inhalts bleibt, durch die Story treibt). Dass es wie bei Horváth einst für Marianne bei Weigel/Voss für Mia nur die Wahl zwischen Regen und Traufe gibt, findet Weigel selbst nicht gut: «Ich steh dazu, aber es tut mir leid.»

Bernhard ohne Bernhard


Die unweigerliche Frage, wie das Bernhard-Ensemble zu seinem Namen kommt, bringt Weigel fast in Verlegenheit. «Afoch so», ist seine spontane Antwort, und die Langversion bestätigt das: Grischka Voss war 1997 dabei, ihre «100 Gründe eine Diva zu werden» in Bühnenform zu bringen; dazu brauchte es Geld; und um Geld zu beantragen, brauchte es einen Verein; der Verein wiederum brauchte einen Namen. «Ich war und bin ein großer Thomas-Bernhard-Fan, und so habe ich gesagt, nennen wir’s doch Bernhard-Ensemble, ist ja nur ein Name für einen Verein. Dass unser Ensemble sich mit dem Namen relativ rasch einen Namen machen konnte, wussten wir ja nicht. So lange das Aufführungsverbot von Thomas Bernhard eingehalten wurde, war es auch egal, weil ohnehin nicht erwartet werden konnte, dass wir lauter Bernhard-Stücke spielen. Aber als das gekippt worden ist – frecherweise, wie ich finde -, sind wir mit dem Namen blöd dagestanden.» Einmal wollte das Bernhard-Ensemble tatsächlich Bernhard aufführen: Sein Bühnenerstling «Ein Fest für Boris» (uraufgeführt 1970) sollte am Programm stehen, wären da nicht die strengen Rechteinhaber_innen bei Suhrkamp gewesen. Es gab Unstimmigkeiten über die Besetzung, das Bernhard-Ensemble bekam die Bernhard-Rechte nicht. Also wurde Bernhard ohne Bernhard produziert, mit eigenem Text. In «Boris.Fest» spielte Grischka Voss das «It-Girl», die Personifikation des bösen Guten, die reiche Lady, die sich nicht nur ihr gutes Gewissen, sondern vor allem ihre gesellschaftliche Bedeutsamkeit durch Charity erkauft. Wer den «Asylanten» (Kajetan Dick) mit der «ärgsten Geschichte» als Untermieter vorweisen kann, hat gewonnen – und Boris ist ein Vorzeigestück. Ökonomisch schwacher, aber politisch starker Trost: Die giftigen Pfeile, die da auf die kontemporäre Gesellschaft abgefeuert werden, entsprechen Thomas Bernhard wahrscheinlich mehr als das Geschäftsmodell von Suhrkamp.

 

Nicht nur die «Garantiesummen», also der finanzielle Mindestbetrag, den die Rechteinhaber_innen pro Aufführungsabend haben wollen, sind für Theaterproduktionen abseits der «großen Häuser» oft unbezahlbar. Dazu kommt, dass die Subventionen aus öffentlicher Hand sich in überschaubaren Grenzen halten. Immerhin will ein Haus wie das Off Theater nicht nur in der Bausubstanz erhalten, sondern auch das Personal bezahlt, die Produktionen finanziert und adäquat beworben werden. Trotzdem schafft es das Bernhard-Ensemble, seine Leute während der Produktionen anzustellen und einigermaßen zu entlohnen: «Das mag in einem Augustin-Gespräch komisch klingen, aber mit einem Tausender netto im Monat konnte man früher locker leben, heute ist das eine Katastrophe.»

 

Das Off Theater in der Kirchengasse ist 2007 aus der «Stadtinitiative» hervorgegangen. «Wir haben da vorher auch schon oft Gastspiel gemacht. Damals gab es aber nur den blauen Saal, und das Haus war sehr desolat, keine Subvention bis auf ein paar Netsch. Aber die Atmosphäre war cool.» Um die coole Atmosphäre zu erhalten und auszuweiten, stieg Weigel als Geschäftsführer ein, nahm einen Batzen Schulden auf sich und renovierte mit einer Handvoll Kolleg_innen das Haus zu einer ansehnlichen Spielstätte. «Wir haben das alleine gemacht, ohne Geld, ohne Subvention. Aber mit der Zeit ist es sehr gut gelaufen – ich hab es viel vermietet, ich hatte bis zu 360 Veranstaltungen im Jahr, und ich war fast Tag und Nacht hier: Ich habe Büro gemacht, geputzt, habe Licht gemacht, den Gruppen beim Ein- und Ausladen geholfen, ich habe selber geprobt, selber Stücke geschrieben, das Haus verwaltet, Klopapier eingekauft, eigentlich ein Horror. Aber das macht man halt, wenn man Theater macht.»

Aufführungen von «Wiener.Wald.Fiction»:

11. Februar bis 8. März, jeweils Dienstag, Freitag und Samstag, 19.30 Uhr

Off Theater, Kirchengasse 41, 1070 Wien

Kartenreservierung: 0 676 360 62 06

www.off-theater.at