Finsteres Wohnentun & lassen

Dunkel, kalt und teuer: Wo einmal ein Hostel war, frieren seit zwei Wintern die Mieter (Foto: © Michael Bigus)

In einem Haus in Meidling leben 20 Menschen zur Miete seit über einem Jahr ohne Strom und Gas. Bestandsaufnahme eines skandalösen Falls.

Das Haus mit der Nummer 41 am Gaudenzdorfer Gürtel an einem Februarabend: Dunkle Fenster schauen auf die vierspurige Blechlawine vor der Haustür. Abgeblätterte Schriftzüge an der Fassade zeugen von einer kommerziellen Vergangenheit. Das ehemalige Hostel ist laut Grundbuchauszug im Jahr 2020 in die Hände der Gaudenzdorfer 41 Immobilienentwicklung GmbH übergegangen.
Eine Kellertür steht einen Spalt weit offen. Ein leeres Haus, wie es viele gibt in Wien. So scheint es. Doch dieses Haus steht nicht leer. Dabei ist es drinnen stockfinster. Nur das von Smartphone-Taschenlampen erzeugte Licht macht im Foyer die verlassene Hostel-Rezeption sichtbar, verhindert das Stolpern im Treppenhaus. Rund 20 Menschen wohnen hier, seit über einem Jahr ohne Strom, ohne Gas, ohne warmes Wasser. Es sind Aslysuchende, nur Männer, denen über ein Facebook-Posting Wohnraum versprochen wurde. Sie sind hier gemeldet und haben Mietverträge.

Dunkel, kalt, teuer

Diese Mietverträge haben es aber in sich. Es sind keine Hauptmietverträge, sondern Untermietverträge. Hauptmieter ist ein gewisser Michael Schöpf, der seit Monaten nicht auffindbar ist. Von seinen Untermietern verlangte Schöpf vorab 3.000 Euro Kaution. Für ein Zimmer verlangt er 500 Euro Miete. Manche Räume teilen sich fünf Menschen.
Miete zahlt hier aber derzeit keiner mehr. Denn am 23. November 2022 wurden Strom und Gas in dem Haus abgedreht, ausgerechnet zum Beginn der Hochphase der kalten Jahreszeit. An diesem Tag erschienen Techniker:innen der Wiener Netze um den einzigen Stromzähler vom Netz zu nehmen. Beschützt wurden sie bei dieser Arbeit von zahlreichen Polizist:innen. Bewohner:innen und solidarische Unterstützer:innen berichten von mehreren Schikanen, die sich seitdem mehren. So wurden im Sommer die Schlösser zu den von den Bewohnern als Wohnungen genutzten Zimmern von Personen ausgetauscht, die vorgaben, im Auftrag der Eigentumsgesellschaft zu agieren. Im Frühling 2023 riss im dritten Stock des Hauses eine unbekannte Person die Armaturen von der Wand. Bewohner berichten, die Person nach ihrer Tat aus dem Haus heraus rennen gesehen zu haben. Es folgte eine riesige Überschwemmung. Ein Bewohner zeigt auf seinem Handy ein Video von der Katastrophe. Bis heute sind die Nässespuren deutlich überall zu sehen.

Kein Anlass für Zwangsverwaltung

Im Dezember 2023 war das Haus Thema in einer Sitzung des Wiener Gemeinderats. Der Gemeinderatsabgeordnete Georg Prack (Grüne) wollte von Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál (SPÖ) in einer Anfrage wissen, ob die Stadt hier bereits vom §6 Absatz 1 des Mietrechtsgesetzes Gebrauch gemacht habe. Über diesen Paragraphen ist es möglich, Hauseigentümer:innen zur Durchführung von «Erhaltungs- oder Verbesserungsarbeiten zur Beseitigung einer erheblichen Gesundheitsgefährdung» zu verpflichten. Außerdem besteht laut diesem Paragraphen die Möglichkeit, ein Haus zur Durchführung solcher Arbeiten unter Zwangsverwaltung zu stellen. Er bietet somit der Gemeinde theoretisch ein Instrument zum Einschreiten an. Doch man könne mit diesem Paragraphen eine Hausverwaltung nicht dazu zwingen, Lieferverträge einzuhalten, so Gaál in ihrer mündlichen Antwort vor dem Gemeinderat. Gaál spielt hier darauf an, dass der Hauptmieter die Strom- und Gaskosten über Monate hinweg nicht bezahlt hat, was von den Wiener Netzen als Begründung für die Abschaltung herangezogen wird. Übrigens hat das Haus nur einen einzigen Stromzähler. Eine Aufteilung auf die verschiedenen Wohnparteien wäre gar nicht möglich.
Prack hakte in der Gemeinderatssitzung auf die Antwort Gaáls weiter nach. Er wollte genauer wissen, warum das Mittel der Zwangsverwaltung in dem Fall nicht eingesetzt wird. Die Antwort Gaáls: «Bei Zwangsverwaltung geht es um Situationen wo eine erhebliche Gesundheitsgefährdung besteht. Es gibt hier keine technischen Erhaltungsmaßnahmen, die gesetzt werden müssen.» Ein großflächiger Wasserschaden scheint also nicht auszureichen. Auf Augustin-Nachfrage kritisiert Prack: «Dabei geht das Gesetz sogar so weit, dass im Rahmen einer Zwangsverwaltung unbefristete Mietverträge zur Finanzierung der Sanierungsarbeiten vergeben werden könnten. Das würde schon Eindruck auf Spekulant:innen machen, wenn ihre Spekulationsobjekte plötzlich unbefristet vermietet werden.» Warum die Stadt Wien das Mittel der Zwangsverwaltung nur sehr selten anwende, erklärt er sich so: «Das würde Aufwand bedeuten. Es bräuchte auf jeden Fall mehr Personal. Die zuständige MA 37 ist notorisch unterbesetzt.»

Immobiliensünden

Interessant ist im vorliegenden Fall auch die Struktur der Eigentumsgesellschaft, in deren Mittelpunkt Stanislav Hnat steht, Eigentümer der Gaudenzdorfer Gürtel 41 Immobilienentwicklungs GmbH. Hnat ist Geschäftsführer der Pecado GmbH, die wiederum 90 Prozent der Eigentumsanteile an der Immobilienentwicklungs GmbH hält. Laut Aktivist:innen der Initiative En Commun – Zwangsräumungen verhindern, die die Bewohner des Hauses im Gaudenzdorfer Gürtel unterstützt, gibt es in einer Reihe von Häusern im Eigentum von Pecado ähnliche Mietvertragskonstruktionen wie im Gaudenzdorfer Gürtel. Sie berichten, dass ein Strohmann, es soll sich mutmaßlich immer um Michael Schöpf handeln, auch in diesen Häusern als Hauptmieter auftritt und diese an prekär lebende Personengruppen untervermietet, überwiegend Assylsuchende.
Stanislav Hnat redet schon längst nicht mehr mit Medien, auf eine Augustin-Anfrage reagierte er bis zum Redaktionsschluss auch nicht. Zuletzt wird er im Mai 2023 vom Onlinemedium Moment.at zitiert. Darin geriert er sich als Opfer krimineller Machenschaften teils ehemaliger Geschäftspartner, die selber wiederum alles abstreiten und ihm die Schuld geben.

Hilfe

Derzeit läuft laut Angaben der Beratungsstelle MieterHilfe eine Reihe von Prozessen gegen die Pecado GmbH. Es gebe eine «Menge von Verfahren mit dem Ziel, die Untermieter als Hauptmieter anerkannt zu bekommen, und den derzeitigen Untermietern so zu ihrem Recht zu verhelfen», so ein Sprecher der MieterHilfe gegenüber dem Augustin. Die MieterHilfe wolle über Prozesse vor Wiener Bezirksgerichten erreichen, dass Pecado den Mietern des Hauses am Gaudenzdorfer Gürtel zumindest die bereits gezahlten Kautionen zurückzahle. Aufgrund des mietmindernden Zustands des Hauses zahle derzeit keiner der Betroffenen Miete.
Dass es überhaupt zu zahlreichen Klagen kommt, ist dem Zusammenhalt der Bewohner zu verdanken, sowie der Unterstützung solidarischer Nachbar:innen und der Initiative En Commun, die bereits mehrfach Protest zur Unterstützung der Betroffenen organisiert hat.
Einige der Betroffenen haben inzwischen eine neue Wohnung über den Anbieter «Mein Wien-Apartment – Fonds für temporäres Wohnen in Wien» bekommen. Dabei handelt es sich um eine von der Stadt Wien, dem ÖGB, der AK und der Wirtschaftskammer gegründete Einrichtung, die auf maximal fünf Jahre befristet möblierte Wohnungen an Menschen vermietet, die sich in einer «prekären Wohnsituation» befinden, «sofern diese nicht selbst verschuldet oder grob fahrlässig herbeigeführt wurde». Ein ehemaliger Bewohner des Gautzendorfer Gürtels 41 berichtet, nun gemeinsam mit einer zweiten Person in eine 28 Quadratmeter-Wohnung eingezogen zu sein. Die Miete sei mit knapp über 600 Euro für die beiden Asylsuchenden sehr hoch. Zudem wurde ihnen zwar eine provisionsfreie Vermietung versprochen, angefallen ist aber eine Kaution von 2.500 Euro, die es einer Reihe von weiteren Betroffenen verunmöglicht, das Angebot anzunehmen.
Aufgrund dieser hohen Kosten verbleiben immer noch Menschen in dem kalten Haus ohne Strom- und Gasversorgung. Manche hoffen darauf, bald Anspruch auf eine Gemeindewohnung zu haben. Sie zählen buchstäblich die Tage herunter, bis sie die dafür nötige zweijährige Meldefrist an einer Wiener Wohnadresse erreicht haben. Fünf Monate müsse er noch durchhalten, erzählt ein Bewohner, bis er anspruchsberechtigt ist. Ob er dann auch sofort eine Gemeindewohnung bekommt, steht auf einem anderen Blatt, so lange sind die Wartezeiten. Die Miete in einer Genossenschaftswohnung ist für die hier Betroffenen aufgrund der Eigentumsanteile ohnehin nicht leistbar. Auf dem privaten Markt haben sie als Asylsuchende, die während des Asylverfahrens nicht arbeiten dürfen, erst recht keine Chance.
Wenn der Fall des Gaudenzdorfer Gürtels 41 eines zeigt, dann die dringende Notwendigkeit einer aktiven und kämpferischen Mieter:innengewerkschaft für Wien, die unabhängig agieren und sich gegen ausbeuterische Konstrukte wehren kann, die der private Immobilienmarkt hervorbringt.