Augustinverkäuferin Christianah
Weil ich nicht singen kann, habe ich anfangs nur «Grüß Gott, grüß Gott!» gerufen. Dadurch erregte ich Aufmerksamkeit in der Wollzeile, bei der U3-Station Stubentor. Mittlerweile brauche ich nicht mehr «Grüß Gott, grüß Gott!» zu rufen, denn ich bin dort bekannt und habe auch viele Stammkunden.
Foto: Lisa Bolyos
Als Asylantin in Wien zu leben, war sehr komisch, denn ich durfte nicht arbeiten. In Nigeria machte ich das Diplom in Chemie. Ich habe mich hier weitergebildet. Ich besuchte Deutschkurse, einen Vorstudienlehrgang und machte den Computerführerschein, aber meine Situation besserte sich erst, als ich begonnen habe, den Augustin zu verkaufen. Nicht so sehr wegen des Geldes, sondern weil ich etwas zu tun zu hatte, ich musste nicht mehr den ganzen Tag zuhause sitzen, ich hatte wieder mehr Kontakt zu Menschen. Und Deutsch, das ich in Kursen gelernt hatte, konnte ich nun draußen anwenden. Jetzt kann ich mich auf Deutsch unterhalten, was vieles im Leben erleichtert.
Marian, eine Freundin, die in der Herrengasse den Augustin verkauft, hat mich im Sommer 2008 zum Augustin gebracht, und ich wurde sofort aufgenommen. Vorher meinte sie noch zu mir, das Verkaufen funktioniere nur, wenn man sich nicht dafür schämt. Und ich schämte mich nicht dafür. Die ersten Tage in der Wollzeile waren auch witzig, denn es war sehr heiß und einige Personen sind auf mich zugekommen, aber nicht, um mir eine Zeitung abzukaufen, sondern, um mir Getränke zu schenken.
Generell fühle ich mich auf meinem Verkaufsplatz, den ich nie gewechselt habe, sehr wohl und habe inzwischen viele Stammkunden, die mich auch unterstützen. In eine Buchhandlung kann ich gehen, um etwas zu essen, oder einfach nur, um mich auszuruhen. Vor vier Jahren hatte ich sogar große Probleme, ich hätte mit meinem Sohn abgeschoben werden sollen. Neben der Caritas und dem Integrationshaus haben sich auch Stammkunden für mich und meinen Sohn Caleb eingesetzt, und ich glaube, dass unter meinen Stammkunden sehr wichtige Leute sind, denn plötzlich erhielt ich den Aufenthaltstitel. Sie dürften gesehen haben, dass ich sehr fleißig bin, und Fleiß scheint in Österreich wichtig zu sein, um Unterstützung zu erhalten.
Mein Sohn wird erst dreizehn, ist aber schon sehr an Geographie, Naturwissenschaften und vor allem an Politik interessiert. Er sagte mal zu mir: «Mama, ich möchte der erste Schwarze im österreichischen Parlament sein.» Schulsprecher in seiner Mittelschule ist er bereits. Jetzt habe ich ihn auch zu einem Basketballverein geschickt, denn er ist schon zwei Meter groß.
Ich selber gehe in meiner Freizeit oft in die Kirche, jeden Sonntag, aber auch unter der Woche, denn ich bin sehr religiös. Für Hobbys bleibt nicht viel Zeit, denn vormittags arbeite ich bei einer Leihfirma als Raumpflegerin. Wenn ich von dieser Arbeit nach Hause komme, kümmere ich mich um Caleb, danach gehe ich Zeitung verkaufen. Aber einmal habe ich bei einem Theaterprojekt eines Südafrikaners bei den Wiener Festwochen mitgemacht («Exhibit A: Deutsch-Südwestafrika» im Museum für Völkerkunde, 2010, Anm.).