Lokalmatador
Manfred Mugrauer würdigt mit seinem Buch jene, die mehr geschmäht als geehrt werden. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto)
Auf dem Schwarz-Weiß-Foto der Kripo St. Pölten aus dem Jahr 1941 ist ein Eisenbahner abgebildet, mit eindeutigen Spuren der Folter in seinem Gesicht. Die Bildlegende endet mit dem Satz: «Er wurde im Jänner 1941 verhaftet und im Februar 1943 hingerichtet.» Verhaftet! Hingerichtet! Diese beiden Verben wiederholen sich zigfach im Mittelteil des umfangreichen Bildbands.
Der Band trägt den Titel Partei in Bewegung und ist anlässlich des 100. Gründungstages der Kommunistischen Partei Österreich (3. November 1918) erschienen. Er führt nicht zuletzt vor Augen, wie viele Kommunist_innen ihr Leben im Kampf gegen das Nazi-Regime riskiert und auch verloren haben.
Manfred Mugrauer blättert durch das 448-seitige Werk mit seinen fast 2300 Abbildungen. Der Historiker hat es mit viel persönlicher Leidenschaft und großer Akribie erarbeitet. Jetzt ist er froh, dass seine intensiven Recherchen materialisiert sind. Mugrauer gibt damit den bisher Unbekannten ein Gesicht und der KPÖ eine nicht allzu kritische Sozial- und Kulturgeschichte.
Aus Attnang-Puchheim.
Der Chronist, Jahrgang 1977, stammt aus einer sozialdemokratisch geprägten Eisenbahnerfamilie in einer sozialdemokratisch geprägten Eisenbahnerkleinstadt an der Westbahn, dem oberösterreichischen
Attnang-Puchheim. Er lächelt kurz, dann erzählt er, wie er sich als 18-jähriger angehender Student an seinem ersten Tag in der Hauptstadt seine bis dahin unerfüllten Provinzsehnsüchte erfüllen konnte: «Am Nachmittag trat ich der KPÖ bei, und am Abend war ich in der Oper.»
Der Kommunismus und die Musik begleiten ihn bis heute. Steht eine Oper von Leoš Janáček oder Benjamin Britten oder eine Symphonie von Dimitrij Schostakowitsch oder Sergej Prokofjew auf dem Spielplan, gibt es kein Halten. «Dann bin ich dort.» Dort, das ist immer der Stehplatz, die angestammte Zwei-Euro-Zone für gebildete unkonventionelle Leute.
Zurück zur 100-jährigen Geschichte der KPÖ: Sie ist gut dokumentiert, in tausenden Kartons, die bald nach dem Verkauf der Parteizentrale auf dem Höchstädtplatz in das neu adaptierte Parteiarchiv in Breitensee übersiedelt wurden. Das war Anfang der 1990er-Jahre. Gut 15 Jahre lang hat sich der Geschichtsforscher durch all die Kartons gearbeitet.
Kenntnisreich, mit viel Liebe zum Detail hat Manfred Mugrauer den Bildband gestaltet. Er illustriert die Geschichte einer Partei, die 1918 als größte Gefahr für die junge Republik heraufbeschworen worden war, die nach 1933 zur wichtigsten politischen Gruppierung gegen die beiden Faschismen avancierte, die im April 1945 neben SPÖ und ÖVP die Republik mitbegründete und danach erneut ausgegrenzt wurde. Nach dem Prager Frühling wurde sie zur Marginalie, auch deshalb, weil sich ihre Führung zu wenig von den totalitären Genoss_innen im Osten distanzierte.
Wie viel Rückhalt die KPÖ in den Nachkriegsjahren in der Bevölkerung hatte, zeigen Fotos von einer Parteiveranstaltung im randvoll gefüllten Praterstadion. Ein Schmankerl ist auch die Aufnahme des blutjungen Fußballers Hans Krankl, der auf der Hauptbühne des Volksstimme-Fests zum Publikum spricht. Es ist nebenbei ein Zeugnis für die damalige personelle Verbindung der Grün-Weißen mit den Kommunist_innen. Dieser Allianz verdankt Wien auch die Auftritte eines der besten Fußballer Europas, des Prager Freistoß-Königs Antonín Panenka.
Mehr als eine Fußnote.
Seine Konzentration auf ein Randthema der Republik sind «Fluch und Segen zugleich», weiß Manfred Mugrauer, der über Die Politik der KPÖ von 1945 bis 1955 seine Doktorarbeit geschrieben hat. Eine Aufsehen erregende wissenschaftliche Karriere lässt sich darauf nicht begründen. Jedoch kommt niemand, der sich für die Geschichte der KPÖ interessiert, an seinem Namen vorbei. Der Bildband, der im Globus-Verlag erschienen ist, ist für ihn somit mehr als eine historische Fußnote.
Mugrauer hat alles ehrenamtlich erarbeitet, sein Brot verdient er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands. Womit sich inhaltlich ein Kreis schließt: «Derzeit beschäftige ich mich mit dem Widerstand gegen das NS-Regime und dessen Verfolgung in der Steiermark. Dort waren Widerstandsgruppen in praktisch allen Industrieorten aktiv.»
Was ihn bei seinen Recherchen am meisten bewegt hat? «Die Brutalität, mit der die Nazis gegen die Menschen im Widerstand vorgegangen sind. Da hat bereits das Sammeln von Mitgliedsbeiträgen für die Rote Hilfe ausgereicht, um zum Tode verurteilt zu werden.» Hunderte KPÖ-Mitglieder werden zum Tode verurteilt und hingerichtet. Nach 1945 berufen sich übrigens die neuen Spitzen der Republik in den Verhandlungen mit den Siegermächten mehr auf die Courage jener Wenigen als auf die Rolle ihrer Landsleute, die sie ermordeten.
Ablenkung von der Geschichtsschreibung bietet die Musik. Beim Verfassen der Texte für den Bildband hörte Manfred Mugrauer, der in seiner Jugend das Klarinettespielen gelernt hat, immer etwas aus dem Netz. Bis dato hat er gut 1300 Vorstellungen in der Oper live miterlebt, und mehr als 500 Konzerte, nicht wenige davon in Berlin, wo er regelmäßig Zuhörer ist. Auch heuer: «Ich habe bereits Karten bis Saisonende.»