"Sich nicht weh tun, wenn es einem schlecht geht"
Leider klappte es für Kärnten nicht. Die Stadt Villach, die großes Interesse zeigte, lud die Kompanie des Theaterstückes da.Heim.AT.los aus budgetären Gründen wieder aus. Nun kommt das Land Kärnten nur als Vogelscheuche vor. Das Konzept, die Flucht nach vorne, wie die Produzentin Serena Laker das nennt, ist genial. Ein Theaterstück tourt durch sämtliche Bundesländer, jeweils ein Schauspieler aus diesem Bundesland thematisiert die örtliche Version von Fremdenfeindlichkeit. Die gewöhnlichen Strukturen in jedem Bundesland, mit denen MigrantInnen als angeblicher Fremdkörper in Verbindung treten, sollen analysiert werden.
Die Wahlergebnisse zündeten mich an, sagt Regisseurin Emel Heinreich und nun zu Beginn der Bundesländer-Tour genau zu den Wahlen in Vorarlberg platziert, war das Stück drei Tage lang ausverkauft. Emel Heinreichs Vorläuferstück Mein Leben mir selbst, in dem Frauen aus unterschiedlichen patriarchalen Gesellschaften erzählten, lud Felix Mitterer zu den Volksschauspielen nach Telfs ein. Diesmal sind je nach Bundesland Ansatz und Schwerpunkt verschieden, gehen auf spezifische Ereignisse ein. So thematisiert die Schauspielerin Alessandra Klimpel vom Autonomen Zentrum von und für Migrantinnen MAIZ in Linz den Selbstmordversuch eines Asylwerbers, der sich mit Benzin überschüttete. Die Dramaturgin geht in die Absurde rein, sonst wäre das nicht packbar, sagt Serena. Sie bleibt aber nahe an der Geschichte dran.
Betroffenheit ist kein Zufall, meint Emel und erklärt, dass sich die Art der Integration nach dem Aufnahme-Bundesland formt, es gibt bestimmte Bedingungen und Möglichkeiten und die MigrantInnen suchen sich innerhalb dieses Rahmens Wege. Das Territorium des Vaterlandes wurde immer mit dem Blut von Soldaten geschrieben, meint Dramaturgin Nika Schwarz, während die Muttersprache, das erste Wort eines Kindes, emotional verhaftet ist und als mit der Natur verbunden gilt. Mir ging es gut in diesem Land, bis ich die Sprache fand, spricht Alessandra, Brasilianerin afrikanischer Herkunft, im Stück.
Kein Zeitgefühl mehr
Ahmad Abu Kharma, der für das Bundesland Wien im Stück mitspielt, besuchte als Kind eine Schule der UNRWA für palästinensische Flüchtlingskinder in einem Flüchtlingslager in der Stadt Irbid in Jordanien. Seine Mutter und ihr ganzer Klan flüchtete als Mädchen aus Nazareth in der Nähe von Haifa. Wo ihr Dorf stand, gibt es heute nur noch Felder. Der Sohn studierte Schauspiel und Regie an der Film- und Theaterakademie und gestaltete staatskritische Aufführungen. In Österreich denke er viel über das Überleben nach, sagt Ahmad im Club International am Yppenplatz. Im Stück spielt er einen Schiffbrüchigen mitten im Ozean, der nicht weiß, wo er sich befindet, welche Jahreszeit es ist, welcher Tag oder Uhrzeit der kein Zeitgefühl mehr besitzt. Die Gestorbenen sind schon tot, aber was ist mit den Leuten, die bis nach Europa gekommen sind und glauben, sie haben es überlebt? Sie warten auf eine kleine Hoffnung, leben aber noch immer ohne Zeitgefühl. Sie riskieren ihr Leben, um herzukommen, und ohne Hoffnung wären sie nicht fort gegangen. Der immer wieder kehrende Traum, woanders zu leben, verursache Schmerzen und bringe für viele in seiner Erfüllung eine Enttäuschung.
Ahmad arbeitet in einem Flüchtlingsheim der Diakonie, in dem um die vierzig unbegleitete minderjährige Flüchtlinge betreut werden. Er war schockiert, dass es selbst hier schon vorgekommen ist, dass sich Jugendliche, für die eigentlich viel getan wird, Selbstverletzungen zufügen. Schon die Idee an sich, ich will mir weh tun, denn mir geht es schlecht und ich bin mit meinem Zustand nicht zufrieden, finde ich schlimm. Im Vergleich zu den Jungen, die in der Nacht auf der Straße herum laufen, geht es ihnen doch eigentlich gut, meint er. Trotzdem nehmen Verzweiflung und Einsamkeit manchmal überhand. Dagegen helfen nur Freundschaften mit anderen Jugendlichen, Kontakt zur österreichischen Bevölkerung und allgemein schöne Erlebnisse.
Viele Kids schlagen sich durch, so arbeitet nun ein irakischer Junge in der Apotheke. Er hat genug erlebt und weiß nicht, wo seine Eltern sind, aber er wünschte sich in einer Apotheke zu arbeiten und es klappte, freut sich Ahmad. Das Ensemble möchte die Flüchtlingskinder nach der Vorstellung in der Wiener Brunnenpassage (Premiere am 5. November) an einer langen Tafel zu einem Dinner einladen. Im Herbst arbeitet Ahmad für ein Projekt, das Schulkinder aus dem Libanon, Jordanien, Israel, der Türkei und Ungarn nach Österreich einlädt. Seine Flüchtlingskinder sind ebenfalls beteiligt. Die künstlerischen Ergebnisse sind im April 2010 zu besichtigen.
Info:
Niederösterreich: Landestheater St. Pölten/Theaterwerkstatt, 14., 15. und 16. Oktober
Oberösterreich: Salzhof in Freistadt, 30. und 31. Oktober
Wien: Brunnenpassage, 5., 6., 7. und 8. November
Tirol: Rathaussaal in Telfs, 11. und 12. November, Treibhaus in Innsbruck, 16. und 17. November
Eintritt: Spenden