Architekturfotografie: Gotteshäuser in Garagen, Klonhäuschen und Leere am Land
Gebäude im besten Licht zu präsentieren und somit auch deren Planer_innen und Auftraggeber_innen aufs Podest zu stellen, das soll konventionelle Architekturfotografie leisten. Ein erweiterter Architekturbegriff richtet den fotografischen Blick nicht auf Geometrie und Ästhetik, sondern auf Nutzung und Transformation. Jenny Legenstein zu Bildern einer Ausstellung, die gängige Baukunst-Kriterien hinter sich lassen.
Foto: Julian Röder; Courtesy: Russi Klenner Berlin
Aus: Julian Röder «Lagos´ Transformation» Abandoned Railway under Eko Bridge at Costain Area, 2009
Bauten vermitteln normalerweise den Eindruck, «für immer» auf ihren Platz gestellt zu sein. Erst wenn der Zahn der Zeit schon sichtbar an Häusern, Brücken, Straßen genagt hat, stellt sich die Frage: renovieren, sanieren, umbauen, wegreißen oder dem Verfall preisgeben? Was geschieht mit einem Gebäude, das bestimmten Nutzungsanforderungen nicht mehr entspricht? Wird es adaptiert, anders genutzt oder aufgegeben? Ersetzt Neues Vorhergegangenes oder entstehen Freiräume? Bis 17. Mai ist die Ausstellung «Zoom! Architektur und Stadt im Bild», die zuvor in München zu sehen war, im Architekturzentrum im Museumsquartier zu Gast. Die Fotos und Videos der von Hilde Strobl (Architekturmuseum der TU München) kuratierten Schau setzen sich mit Fragen etwa der Veränderung von Stadtbildern angesichts von (Binnen-)Migration, Deindustrialisierung, Globalisierung, Landflucht etc. auseinander. In ihren Arbeiten gehen internationale Künstler_innen, darunter Roman Bezjak (Slowenien), Livia Corona (Mexiko), Jörg Koopmann (Deutschland), Stefan Oláh (Österreich) und Eva Leitolf (Deutschland), sozialen, soziologischen und politischen Fragestellungen nach. Herkömmliche Kriterien der Architekturabbildung, wo Personen, Gebrauchsgegenstände oder Pflanzen quasi nur als Deko vorkommen oder die Umsetzung ästhetischer Vorgaben im Mittelpunkt stehen, sind dabei kein Thema.
«Lagos Transformation» nennt Julian Röder seine in Nigerias Hauptstadt entstandene Fotoserie, was ihn in einer der bevölkerungsreichsten und am schnellsten wachsenden Megacities interessiert habe, sei der Wechsel von Chaos und Ordnung, erzählt der Berliner Fotograf auf seiner Homepage. Entlang einer aufgelassenen Bahnlinie bewegen sich Fußgänger_innen, über das arme Viertel führt die Autobahn auf Stelzen. Im scheinbaren Gegensatz dazu ein Bild aus Lagos´ zentralem Business-Viertel, wo ein riesiger Parkplatz und Stahl-Beton-Glas-Hochhäuser dominieren.
Form und/oder Funktion
Die Frage, einen kühnen Entwurf umzusetzen oder schlank nach der Devise «Die Form folgt der Funktion» zu bauen, stellt sich nicht, wenn die Form den zur Verfügung stehenden Materialien folgen muss und dabei Kostengünstiges wie Wellblech, Plastikfolie oder Holzbretter zur Verwendung kommt. Improvisierte Bauten können dort entstehen, wo der Bedarf an Wohn- und Arbeitsräumen groß ist, der Zuzug einkommensschwacher Personen hoch ist und Bauvorschriften nicht vorhanden oder ignoriert werden können. In Hongkong nutzten Bewohner_innen flache Dächer und schufen z. B. Aufbauten und Gemüsebeete. Rufina Wu und Stefan Canham dokumentierten zahlreiche dieser «Rooftop Communities» im Bezirk Kowlan. Die zumeist in den letzten 50 Jahren entstandenen ein- oder mehrstöckigen Komplexe könnten bald der Vergangenheit angehören. Die Behörden setzen großflächige Stadtteil-Sanierungspläne um, die die Bewohner_innen mit Abriss- und Auszugsbescheiden konfrontieren. Die schicken Neubauwohnungen sind für die meisten unerschwinglich, vielen drohen Zwangsumsiedlungen in Satellitenstädte, wo Isolation und kaum vorhandene Arbeitsmöglichkeiten zu fürchten sind.
Leistbares Wohnen ist in allen wachsenden Regionen ein Thema. Livia Corona hält in ihrem Film- und Fotoprojekt «Two Million Homes for Mexico» riesige Immobilienentwicklungen fest, die identische Häuschen in billiger Massen-Ausfertigung aus dem Boden stampfen. Dabei nimmt Corona die fortschreitende Veränderung des sozialen und kulturellen Gefüges und auch der ökologischen Umgebung unter die Lupe.
Auch für spirituelle Zusammenkünfte benötigen Menschen Raum. Über eine Million Muslime leben in Italien, es gibt weniger als zehn Moscheen im ganzen Land, und so mieten Gläubige Zweckbauten wie Garagen, Lagerhallen oder leerstehende Fabriken, um Gottesdienste abzuhalten. Nicoló Degiorgis´ Reihe «Hidden Islam» zeigt eine Auswahl dieser behelfsmäßigen Gotteshäuser, die vor allem in Norditalien zu finden sind, von außen und innen.
Dem Wachstum großer Städte und deren Speckgürtel steht der Bevölkerungsrückgang in ländlichen peripheren Regionen gegenüber. «Landfluchten»: Ulrike Myrzik und Manfred Jarisch unterlegen ihre Fotografien von geschlossenen Geschäften und Lokalen in Dörfern und Kleinstädten mit einem gesprochenen Kommentar, der Aussagen über die vergangene Blütezeit der Ortschaften und der Kleinbetriebe, die triste Gegenwart und die pessimistischen Zukunftsaussichten wiedergibt.
INFO:
Zoom! Architektur und Stadt im Bild
Ausstellung im Architekturzentrum Wien
Bis 17. Mai 2016
Museumquartier, Hof 7