Forstarbeit – Ausbeutung im Waldschattentun & lassen

Österreich ist ein wald­reiches Land. Doch jene, die hier Bäume schlägern, sind vor allem Männer aus Rumänien – für niedrige Löhne, unter miserablen und gefährlichen Bedingungen, im (Wald-)Schatten der Öffentlichkeit.

TEXT: CHRISTIAN BUNKE
ILLUSTRATION: BERND PEGRITZ

Was ist eine Seilbahn? ­

Blöde Frage, denken wahrscheinlich die ­meisten. Eine Seilbahn gondelt ­eine:n auf hohe touristische Wipfel. «Was soll ich bei einer Seilbahn?», war die Frage, die sich Uriel stellte, als er ­eines Jahres von einem großen, in ­Österreich ansässigen Forstunternehmen angeheuert wurde. «Seilbahn, das ist doch mit Sessellift und so. Was hat das mit Forstarbeit zu tun?»
Bevor wir diese Frage klären, wollen wir Uriel, der in Wirklichkeit anders heißt, und seinen Heimatort etwas vorstellen. Er ist in der nahe der ukrainischen Grenze gelegenen rumänischen Ortschaft Oberwischau daheim. Oberwischau ist der deutsche Name dieser Stadt, Vişeu de Sus heißt sie auf Rumänisch, benannt nach dem Fluss Vişeu, der hier im sogenannten «Wasser­tal» mit dem Fluss «Wasser» zusammenfließt. 2011 wohnen hier rund 15.000 Einwohner:innen. Seit 1468 wird Oberwischau als eigenständiger Ort erwähnt. Mit Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Gegend aufgrund ihres Waldreichtums für die k. u. k.-Monarchie interessant. Für die Abholzung der Wälder wurden Expert:innen benötigt: Menschen, die auf steilem Gelände ­Bäume fällen und die dadurch anfallenden Stämme über das Wasser stromabwärts flößen können. Diese Techniken wurden zum damaligen Zeitpunkt bereits seit Längerem im Salzkammergut und hier vor allem in Ortschaften wie Bad Aussee, Bad Ischl, Ebensee oder Hallstatt praktiziert. Und von hieraus wurden dann auch zahlreiche Menschen Richtung Vişeu de Sus umgesiedelt. Daraus entstand ein auch heute noch im Wassertal gesprochener altösterreichischer Dialekt.
Der Ort Vişeu de Sus ist somit auch Schauplatz österreichischer und osteuropäischer Industrialisierungsgeschichte. Denn unter anderem um den Energiebedarf neu entstehender Industrien zu decken, mussten ganze Urwälder geschlägert werden. Noch ­heute prägen das Holz und die Männer, die es aus der Erde holen; die Firmen, die daran verdienen, und die wirtschaftlichen Strukturen, in denen all dies geschieht, das Leben in Oberwischau und von dessen Bewohner:innen. Es ist eine fast koloniale Prägung. Denn das Geld machen österreichische Betriebe. Ausgebeutet werden jedoch rumänische Arbeiter:innen, die längst die Rolle ihrer Vorfahren aus dem Salzkammergut eingenommen haben. Heute fällen Rumänen (es sind ausschließlich Männer) österreichische Bäume, nicht umgekehrt.

Saisonale Facharbeit.

Und so kam es, dass Uriel in den vergangenen Jahren wiederholt eine Reise ins Salzkammergut antrat und somit genau den umgekehrten Weg ging, den Jahrhunderte vor ihm Flößer aus Altaussee und ­deren Familien angetreten waren. Doch im Gegensatz zu damals kommen Uriel und seine Kollegen nicht, um zu bleiben. Sie werden angeheuert, für einige Wochen oder Monate, um in österreichischen Forstgebieten tätig zu werden. Und galten die Forstleute des 18. und 19. Jahrhunderts als Fachkräfte, als Experten ihres Gebiets, wird ­Uriel und seinesgleichen heute der Status von Hilfsarbeitern zuteil. Sie stehen auf ­einer Stufe mit Erntehelfer:innen oder Lagerhaus-Arbeiter:innen in großen Logistikzentren.
Tatsächlich wechseln nicht wenige von ihnen regelmäßig zwischen derlei Jobs hin und her. Auch Uriel hat bereits Äpfel für einen Bauern in Deutschland gepflückt. «Ich dachte, ich lerne da bei dem Bauern was», so seine ­Motivation, sein Wunsch, der sich aber nicht erfüllt hat. «Wir haben zehn Euro pro ­Stunde gekriegt, plus Abzüge. Das ist fast kein Geld. Wir haben morgens um 6 Uhr angefangen mit der Arbeit und waren abends um 21 Uhr fertig. Und wir mussten immer darauf achten, dass die ­Äpfel die genauen Maße hatten, die in den Super­märkten verlangt wurden. Drei Monate habe ich das gemacht.» So ­kehrte Uriel immer wieder zur Forstarbeit zurück, die ihn wiederholt ins Salzkammergut führte.
Wenn es um Forstarbeit geht, ist die Beziehung zwischen Österreich und Rumänien bis heute in einem ­doppelten Sinne ­extraktiv. Große österreichische Forstunter­nehmen machen sich schon seit Jahren in Rumänien breit. Das Holz der riesigen, noch verbliebenen Urwaldgebiete ist eine wichtige natürliche Ressource des Landes, die sich mit dem EU-Beitritt Rumäniens zu einem regelrechten Exportschlager entwickelt hat. Längst nicht immer geht es dabei sauber zu. Umweltschützer:innen kritisieren die Existenz einer «Holzmafia», ­Berichte darüber, dass zunehmend in Naturschutzgebieten illegal geschlägert wird, häufen sich. Am 28. September ­führten deshalb rumänische Behörden laut ORF-Angaben 146 Hausdurchsuchungen bei Firmensitzen und Privatwohnungen im Zusammenhang mit dem österreichischen ­Forstunternehmen Egger durch. Schon Anfang 2021 ­wurde eine Tochterfirma von Egger aufgrund von Wettbewerbsverstößen zu einer Geldstrafe von vier Millionen Euro verurteilt.

Wald- statt Schularbeit.

Tatsächlich scheint in der Branche vieles informell zu laufen. Zumindest entsteht dieser Eindruck, wenn man den Erzählungen von Uriel zuhört. Er berichtet von 16- bis 17-jährigen Jugendlichen in seiner Nachbarschaft, die lieber in den Wald gehen, um sich etwas dazuzuverdienen, als die Schule weiter zu ­besuchen. Oder vielleicht ist ein Nachbar im Besitz ­eines Sattelschleppers. Dann nimmt er sich ein paar Männer aus dem Ort, geht mit ihnen in den Wald, fällt ein paar Bäume und verkauft diese an ein österreichisches Forstunternehmen. Letzteres fragt nicht lange nach, woher das Rohmaterial stammt. Es ist eine über Nachbarschafts- und ­Familiennetzwerke ­organisierte Niedriglohnwirtschaft, die hier floriert. Und zwar handelt es sich um eine Niedriglohnökonomie, die ihre Wurzeln im großen Lohngefälle ­innerhalb des EU-­Binnenmarktes hat. Zwischen Österreich und ­Rumänien liegen die Löhne besonders weit auseinander. Laut Angaben des EU-Statis­tik­amts Euro­stat lag der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst in Österreich im Jahr 2021 bei 3.254 Euro. In ­Rumänien betrug er ­hingegen nur 955 Euro. ­Rumänien belegt damit den vorletzten Platz in der EU-Lohnstatistik, nur in Bulgarien wird noch ­weniger verdient – 617 Euro ­brutto im ­Monat. Rund 1.000 Euro im Monat verdient ein Forstarbeiter in Rumäniens informeller Forstbranche, erzählt ­Uriel. «Die gehen morgens um zwei oder drei Uhr los, fällen sieben Bäume, laden sie auf den Schlepper und vermarkten die.» Das bedeutet dann rund 100 Euro pro Tag pro Person, manchmal mehr, wenn sie zwei Fuhren fahren. «Aber wenn du in ein Lokal gehst und sagst, ich brauche Forstarbeiter, die in Österreich arbeiten, ich zahle 1.500 Euro, dann kriegst du sicher einen halben Bus voll. Du kannst auch im Supermarkt die Kassierin fragen, ob sie wen kennt. Innerhalb kürzester Zeit werden dich die Leute aufsuchen. Du musst nur wissen, wo du hingehen musst zum Anklopfen.» Viel funktioniere inzwischen auch über das Internet, so Uriel weiter: «Die meisten Sachen gehen heute über Facebook und über WhatsApp.»
Für die großen österreichischen Forstunternehmen macht es auf jeden Fall Sinn, sich in rumänischen Ortschaften wie Oberwischau nach Arbeitskräften umzuschauen. Denn die großen Player der Branche lukrieren durchaus saftige Profite. So erwirtschaftete das transnational tätige ­österreichische Forstunternehmen Klade im Jahr 2020 einen Umsatz in Höhe von 98 Millionen Euro, nicht zuletzt deshalb, weil auch dieses Unternehmen gerne auf die einerseits Wald-Erfahrenen, andererseits aber billigen rumänischen Arbeitskräfte zurückgreift. Doch die Lage im Forst wird immer härter. Extremwetterereignisse häufen sich. Trockenheit und Stürme setzen den europäischen Wäldern zu – es entsteht immer mehr Schad- und Totholz, in dessen Folge auch der Schädlingsbefall zunimmt. Das sind aufwendige und kostspielige Arbeiten, die in die Profitmarge eingreifen. Außerdem ist in den vergangenen Jahrzehnten gerade in den ­österreichischen Bundesforsten ­massiv eingespart worden. 1997 wurden ­diese in eine ­Aktiengesellschaft ausgegliedert. Arbeiteten damals noch 6.000 Menschen direkt angestellt in der staatlichen Forstwirtschaft, ist diese Zahl inzwischen aufgrund der Auslagerung auf rund 965 Personen geschrumpft. Mit der sinkenden Zahl direkt angestellter Arbeiter schlug die Stunde der rumänischen Saisonarbeitskräfte – und jener Unternehmen, die sie einsetzen.

Gefährliche Arbeit.

Wenn Uriel in den vergangenen Jahren in das Salzkammergut aufbrach, dann ziemlich oft zur Borkenkäferbekämpfung. Das bedeutet, aus der Ferne Schadbäume ausfindig machen, dann über Steilhänge zu diesen hinkraxeln, gegebenenfalls Insektenbekämpfungsgift auftragen, möglicherweise einen Baum auch fällen. Und wenn das Holz noch brauchbar ist, dann einen vier oder fünf Meter langen Stamm einen steilen, alpinen Gebirgshang gemeinsam mit einigen anderen Kollegen händisch hinabtragen bis zur nächsten Forststraße. Und zwar egal, ob die Sonne scheint oder ob es gerade regnet.
Das erste Mal, als Uriel im österreichischen Forst unterwegs war, das war im Jahr 2008. Da war er laut eigenen Angaben noch keine 20 Jahre alt. Ein Freund aus der Ortschaft, der ebenfalls mitgefahren war, hatte ihm die Arbeit vermittelt. Den damaligen Arbeitsalltag beschreibt Uriel als haarsträubend. Eine wirkliche Ausbildung gab es nicht. Es war alles «learning by doing», also ein Lernen im Job, mit nur geringer oder gar nicht vorhandener formaler Einschulung, zum Beispiel was die richtige Verwendung einer Kettensäge angeht: «Nicht alle wussten, wie man mit einer Kettensäge umgeht. Manche hätten sich damit fast selbst getötet», erzählt er. «Du musst zehn ­Paare ­Augen haben, wenn du mit der Kettensäge arbeitest. Und zwar oben, links und rechts. Denn es kann ja sein, dass einer eine Warnung schreit, dass ein Baum fällt, oder ein Ast runterfliegt, aber mit dem Geräusch der Säge hörst du das nicht. Es macht ‹Krrks›, ein ­dicker Stamm erwischt dich am Rücken, und du weißt nicht, woher du das bekommen hast. Es gibt auch ‹Witwenmacher›, das sind Äste, die fallen von den Bäumen runter, und du bist auf der Stelle tot. Es sind viele solcher Unfälle passiert.»
Das persönliche Erleben von Uriel entspricht der Realität. Laut Angaben der AUVA verunglückten von 2018 bis Ende 2021 441 rumänische Staatsbürger in österreichischen Forstgebieten. Laut Angaben des Arbeitsinspektorats starben 13 von ihnen im selben Zeitraum. Diese Zahlen sorgen längst für Besorgnis und Frustrationen auf Seiten des rumänischen Staates. Das rumänische Außenministerium hat andauernd seiner Besorgnis über die Situation im österreichischen Forstsektor Ausdruck verliehen, heißt es in einem Antwortschreiben auf eine Anfrage vom 17. November 2021. Nicht immer würde die österreichische Seite rumänische diplo­matische Kanäle über Todesfälle informieren, heißt es in dem Schreiben weiter. Es liege in der Verantwortung österreichischer Arbeitgeber:innen, für die nötige Ausbildung und ­Schutzausrüstung der in Österreich arbeitenden Rumänen zu sorgen. Das Vertrauen in österreichische Stellen, diese Punkte durchzusetzen, scheint auf rumänischer Seite jedoch dünn gesät. So startete im März 2021 das rumänische Arbeits- und Sozialministerium eine Sonderkampagne, um in Österreich tätige Arbeiter:innen über die ihnen zustehenden Rechte aufzuklären.

Nass und hungrig arbeiten.

Tatsächlich sind die Geschichten, die Forstarbeiter wie Uriel erzählen, Zeugnisse eines fortwährenden Klassenkampfes von oben. Da sind zum einen die andauernden Versuche der österreichischen Forstunternehmen, ihre Ausgaben auf Kosten der Arbeiter nach unten zu drücken. Zum Beispiel indem die Aufwendungen für Kost und Unterbringung einfach von den Löhnen abgezogen werden. Auch durch Arbeitsunfälle entstandene Schäden werden ­teilweise vom Lohn abgezogen. Zum anderen wird an der Unterbringung selbst gespart. «Einmal waren wir in einer ­alten Forsthütte», erzählt Uriel. «Es gab ­keine Möglichkeit, nasse Arbeitskleidung aufzuhängen. Als Abendessen gab es einen Topf mit Suppe, der nicht für alle gereicht hat. Wer zu spät zum ­Essen kam, ging leer aus.»
Für die «Disziplinierung» der rumänischen Arbeiter stellen die Forstunternehmen österreichische Kontaktmänner ab. Deren Umgangston ist oft ruppig. An einen davon kann sich ­Uriel besonders erinnern: «Der konnte so laut schreien, den hat man kilometerweit gehört. Den ganzen Berg hinauf hat man den gehört.» Auch an eine andere Praxis dieses speziellen Kontaktmannes erinnert sich Uriel: «Er hat den Sack mit den Sozialversicherungskarten einbehalten. Wenn es einen Unfall mit einem Forstarbeiter gab, ist er mit diesem ins Krankenhaus gefahren und hat alles unter der Hand geregelt.»
An dieser Stelle gilt es, das Rätsel mit der Seilbahn zu lösen. Es handelt sich hierbei um spezielle Maschinen, mit denen geschlägerte Bäume über unwegsames Gelände befördert werden können. Der Seilbahnbetrieb ist komplex. Gerne reißen Kabel oder ­Gewinde verkeilen sich. Auch ­Seilbahnprobleme können tödlich enden, etwa wenn sich ein Baumstamm vom Kabel löst und anschließend den Abhang hinunterrauscht. Uriel bekam einst den Job eines Seilbahn-Maschinisten angeboten. Das lehnte er ab: «Für 1.500 Euro breche ich mir nicht die Knochen.» Inzwischen sagt er: «Ich möchte nicht mehr in Österreich arbeiten. Und in Deutschland auch nicht.» Sein Geld verdient er nun in der Schweiz. Als Bauarbeiter verdient er 4.000 Franken und kriegt auch die Unterkunft bezahlt. Nur die Mahlzeiten muss er sich selber kaufen. Das ist immerhin ein ­etwas besserer Lohn, für eine ebenfalls gefährliche Branche.
Ausbeutungsketten. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen rumänischer Forstarbeiter in Österreich sind Ausdruck gleich mehrfacher struktureller gesellschaftlicher Missstände, die nicht nur die Forstarbeit betreffen. Öster­reicher würden diese Arbeit für dieses Geld nicht machen. Deshalb sind die Rumänen da, ist die von Uriel ­gewählte Zustandsbeschreibung. Somit entsteht das Bild einer Ausbeutungskette, ähnlich den globalen Lieferketten in der Produktion oder aber den globalen Sorgeketten in der Pflegearbeit. Vor allem Letztere sind mit der Situation in der Forstarbeit vergleichbar, nur dass es hier überwiegend um Frauen aus osteuropäischen Ländern geht, die in Öster­reich oder Deutschland die Lücken im Niedriglohnsektor der Pflege füllen. ­Allein in Deutschland gibt es 300.000 ­osteuropäische ­ambulante ­Pflegekräfte, deren Arbeitskraft aus ­ihren Herkunftsländern abgeschöpft wird. Die Panik, mit der in Öster­reich zu Beginn der ­Covid-Pandemie auf das plötzliche ­Fernbleiben osteuropäischer Pflegekräfte reagiert wurde, ist noch nicht einmal zwei ­Jahre her. Die Ausbeutungsstrukturen in Forst und Pflege haben die gleichen Wurzeln: Das hohe Lohngefälle zwischen Ost und West sowie wachsender Preisdruck auf österreichischer Seite zur Sicherung von Profitmargen beziehungsweise aufgrund des politisch geschaffenen Zwangs, immer enger gestrickte Budgets einhalten zu müssen.
Bei den Forstarbeitern haben wir es mit einer Wirtschaftsform und ­einer Ausbeutungsstruktur zu tun, die stark informelle Aspekte beinhaltet. Auch hier gibt es Parallelen zum Pflegebereich sowie zur Logistikbranche in all ihren Formen, sei es das große Lagerhaus, die Pizza-Lieferantin auf ihrem Mofa oder der Uber-Fahrer. Beobachtbar sind einerseits rudimentäre Formen der Selbstorganisation, um an die Jobs zu gelangen, aber auch das Ausgeliefertsein, wenn die Chef:innen gerade schlecht drauf sind und über Nacht die Löhne kürzen.

Fehlende Unterstützung.

Was in den allermeisten Fällen fehlt, ist gewerkschaftliche Selbstorganisierung. Dabei mangelt es nicht immer am Wider­standswillen. Auch Uriel kann von Situationen erzählen, in denen die ­rumänischen Forstarbeiter aufmuckten. Sei es, weil sie als ­Gruppe ­ausstehende ­Löhne einforderten oder weil sie bei Schneefall lieber im relativ warmen Auto sitzen blieben, anstatt in den Forst hinauszugehen. Der Konflikt findet auf niedriger Intensität statt und ohne langfristige Strukturen auf Seiten der Holzfäller, die agieren könnten, wenn die unvermeidliche Repression von Chef:innen zuschlägt und diesen renitenten Arbeitern ins Gesicht zusagt: «Du brauchst gar nicht erst wiederkommen.»
Auch Arbeiterkammer und erst recht die Gewerkschaften sind in solchen Situationen oft in unerreichbarer Ferne. Die Forsthäuser, in denen die Holzfäller während ihrer Saisonarbeit leben, stehen buchstäblich mitten im Wald, und Organizing-Konzepte, die den Hauptamtlichenapparat zwingen würden, die warmen Büros zu verlassen und die Wildnis zu betreten, sind im österreichischen sozialpartnerschaftlich veranlagten Gewerkschaftswesen nicht wirklich vorgesehen. Es ist die Spitze eines Eisbergs, die systematischer Erforschung, etwa durch die Arbeiterkammer, harrt. Und zwar nicht nur im Forst, sondern in anderen Branchen mit stark wachsender Prekarisierung und undurchsichtigen Beschäftigungsverhältnissen auch.
Um den Forst gewerkschaftlich zu organisieren, bräuchte es eine Rückbesinnung auf Traditionen der österreichischen Gewerkschaftsbewegung wie sie in der Zwischenkriegszeit existierten. Auch damals gab es migrantisierte Arbeit und prekäre Beschäftigung. Die Forstarbeit galt den Gewerkschaften damals schon als «schwierig», Forstarbeiter wurden als «vagabundierend» eingestuft. Trotz dieser widrigen Umstände gelang es im Februar 1921 den Forstarbeitern im Salzkammergut, sich zu organisieren und zwölf Tage lang für Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen zu streiken. Unterstützung erhielten sie von Arbeiter:innen anderer Branchen und Industrien, unter anderem aus den Salzbergwerken. Dort drohten die Bergleute offen mit der Durchführung von ­Sympathiestreiks. Die Verhandlungen zwischen den Delegierten der Forstleute und den Forstbetrieben fand unter aktiver Begleitung von tausenden kampflustigen Streikenden statt. Am Ende konnten die geforderten Ziele durchgesetzt werden. Solcherlei Bewegungen fallen nicht vom Himmel. Für ihre Entstehung braucht es mühsame Vorarbeit ohne Erfolgsgarantie. Wird die Vorarbeit jedoch gar nicht erst probiert, ist der Misserfolg garantiert.

Dieser Artikel entstand im Rahmen einer umfassenden Recherche eines Journalist:innen-Kollektivs bestehend aus Augustin-Autoren Christian ­Bunke, Johannes Greß und Christof ­Mackinger mit Naz Küçüktekin zur Forstarbeit in Österreich. Die Reportage «Der Preis des Waldes», mit Fokus auf die hohe Zahl der Todesfälle in der Branche, ­erschien vergangenen Mai im Magazin ­DOSSIER. Gefördert wurde die Recherche von der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt, dem Netzwerk Recherche Deutschland und Gewerkschaftlichen Linksblock.