Fortgehn statt AirplayArtistin

Musikarbeiter auf der Flucht ... mit Bratfisch gegen den inneren Musiksnob

Mit einer Mischung aus Balkanmusik und neuen urbanen Wienerliedern haben sich Bratfisch eine treue Fangemeinde erspielt. Mit der CD Unter Wasser wird sie weiterwachsen.Ein Mensch, der Ihnen einmal viel bedeutet hat, kommt wieder in Ihr Leben, nach gut zwei Jahrzehnten. Aus Amerikanien zurück nach Österreich. Weil, globales Dorf hin, Internet her, sich so richtig anschauen können beim Miteinander-Reden ist schon das real thing und lächerliche-Flugpreise-im-Verhältnis-zum-ökologischen-Wahnsinn-den-so-ein-Flieger-anrichtet ausgeklammert, in meiner Leistungsklasse fliegt man trotzdem selten einfach so nach Amerikanien, wo schon ein Zugticket nach Linz wegen Kontobrand eine Investition ist. Dann reden wir also endlich dort wieder miteinander, über vieles, was Sie nichts angeht. Versuchen draufzukommen, wer wir geworden sind, probieren die Bruchteile, die wir voneinander zu wissen glauben, zu einem Bild zu montieren, das dem Menschen, der uns gegenübersitzt, wenigstens ähnelt. Bei mir also Kinder. Und Musik. Dabei läuft Musik. Musik, die ich mir zuhause nicht auflegen würde, Musik, die ich nicht kenne. Sie gefällt mir, die Musik. Nicht wegen dem Moment, den ich liebe, sondern um der Musik willen. Der Mensch sagt: Aber du bist ja gar kein Musiksnob mehr. Ich lache. Von Herzen.

Die Uhr tickt unerbittlich!

Meine Wege durch das schöne Wien kreuzen ein China-Restaurant mit dem Namen Flugfisch. Der ideale Treffpunkt mit einer Band, die Bratfisch heißt fällt mir zu spät ein. Da sind die Musikarbeiter Lang und Krispel schon mit hochgeschlagenen Krägen in ein Lokal im 1. Bezirk, von Bratfisch-Geiger Jürgen Partaj vorgeschlagen, gehuscht wo Stenzel regiert, weiß man nie! Mit Jürgen begrüßen uns Matthias und Tino Klissenbauer, ein groß gewachsenes Brüderpaar, das die Grundlagen der Bratfisch-Lieder liefert. Matthias spielt Gitarre und singt, Tino Akkordeon (was er bei der Formation Hauk ebenfalls tut), er schreibt auch die Texte. Das Quartett komplettiert Johannes Landsiedl, ihm entgehen wegen anderer Verpflichtungen das Essen und unser Gespräch. Bratfisch leben (und essen) gerne gut. Was mit ihrem Bandnamen korrespondiert, zudem kann er als Verneigung vor Wienerliedsänger (und Kronprinz Rudolfs Leibfiaker) Josef Bratfisch gelesen werden.

Gegründet wird die Band 2003, als ein ehemaliger Mitmusiker der Brüder eine Bosnierin heiratet bei der Hochzeit des Freundes verbinden die Soon-To-Be-Bratfisch erstmals Balkanlieder und Wienerlieder. Die Mischung wird beibehalten, als sich das heutige Line-up findet und kontinuierlich wie unverkrampft am Bratfisch zu arbeiten beginnt. Arbeit? Noch sind sie bei den finishing touches ihrer neuen CD Unter Wasser, ihrem ersten Studioalbum, dessen Präsentation im Radiokulturhaus sie ein wenig entgegenfiebern. Produziert mit ihrem Livemischer Robert Gillard in mehreren Sessions seit Juni 2009. Tino: Die Uhr tickt unerbittlich. Allesamt selbstständig und nicht zum Gelderwerb Musiker (Jürgen: Ich bin froh über den Luxus, das nicht zu müssen), nehmen sie Bratfisch doch sehr ernst, nicht nur bei der wöchentlichen Probe.

Mit dem Tondokument eines Konzerts im Gasthaus Vorstadt der Tontechniker hat die Band nach dem Gig mit dem Mitschnitt überrascht unter dem Titel Ein echter Wiener fährt nicht runter im Eigenverlag auf CD gepresst, angelte sich die Band schon eine Vorarlberg-Tournee (!!!) und Konzerte in Deutschland, die sie trotz der leidigen Veranstalteransage, nichts zahlen zu können, aus Spaß an der Freud gespielt haben. Die Auftragslage in Wien könnte besser kaum sein (weanhean, Balkan Fever, Donauinselfest buchten die Band schon), überregional wäre Radiovorkommen kein Fehler. Tino setzt diesbezüglich auf eine ausgefuchste Strategie: Fortgehn statt Airplay!

Das ur-wienerische Raunzn liegt Bratfisch nämlich denkbar fern. Ihr Wienerlied ist nicht aus der ganz tiefen Abteilung, weder Hardcore-Morbidität noch Welthass werden hier kultiviert. Ihre eigendefinierte Weltstadtmusik, mit Einflüssen nicht nur vom Balkan (ein Lied heißt Lagunenreggae), kommt von vier Männern 30+, die gerne hier leben und diesem Leben mit feiner Ironie begegnen. Unser Beitrag zum Weltfrieden ist, dass sich die Menschen einen Abend lang wohl fühlen. Ohnehin das Maximum, was Musik überhaupt leisten kann. Bei den Stücken von Unter Wasser legten Bratfisch deshalb im Studio wert auf die Livestimmung, auf das Unmittelbare, ohne dass sie sich deshalb den Möglichkeiten des Studios verschlossen haben. Nachdem der Guster auf Unter Wasser noch ein wenig darauf warten muss, gestillt zu werden, legen mir Bratfisch eindringlich den Schokokuchen des Da Giorgina nahe. Dannach bin ich versucht, wie Agent Cooper in der TV-Serie Twin Peaks in mein Diktiergerät zu sprechen: Verdammt guter Bratfisch, verdammt großartiger Schokokuchen. Stenzel ließ sich auch auf dem Rückweg nicht blicken.

Info:

Bratfisch: Unter Wasser

www.bratfisch.or.at

Livepräsentation: Mo., 8. 3., RadioKulturhaus, Großer Sendesaal