Forum der Selbermachertun & lassen

Groundswell vernetzt britische Obdachloseninitiativen

Im nordenglischen Sheffield wird einmal kein Bier, sondern Veränderung gebraut: „Cooking up Chance“ lautete das Motto des 3. Nationalen Forums von Groundswell, des britischen Netzwerks von Obdachlosen-Selbsthilfegruppen, vom 1. bis 3. September dieses Jahres. Aus einer Selbstdarstellung: „Groundswell ist ein einzigartiges Projekt. Es fördert und entwickelt Selbsthilfeinitiativen von Menschen, die ohne Heim, ohne Land oder von der Gesellschaft ausgeschlossen sind. Wir arbeiten mit Gruppen, Projekten und Einzelpersonen, die auf Graswurzelebene operieren und in Eigenverantwortlichkeit ihre Ziele bestimmen“.Eine Verbindung von Konferenz und Festival soll es sein, und dementsprechend gelöst ist die Stimmung. Wir befinden uns auf einem städtischen Bolzplatz, auf dem zum Teil abenteuerliche Bauten entstanden sind. Vom Festzelt bis zur handgefertigten Jurte ist jede Art von Leichtbehausung vorhanden. Im Rundzelt hüllen sich Glasgower Obdachlose begeistert in Balettkleidchen und überdimensionierte Hüte. Nebenan spielt die Steel-Band „The Flintstones“, während wir uns in die Schlange einreihen, an deren Ende uns das göttliche Essen der Catering-Truppe „The World Upside Down“ („Verkehrte Welt“) erwartet.

Überall sitzen Menschen auf Strohballen zusammen, debattieren, tauschen Ideen und Erfahrungen aus. Obwohl die einzelnen Gruppen oft nach völlig unterschiedlichen Konzepten und Prinzipien handeln, ist die gegenseitige Offenheit und Toleranz bemerkenswert.

Groundswell wurde vor nur drei Jahren ins Leben gerufen und wächst seitdem mit beeindruckender Geschwindigkeit. Am Anfang stand die Idee der National Homeless Alliance, eines landesweiten Zusammenschlusses von autonomen Obdachlosenorganisationen, eine Ergänzung zu bestehenden „etablierten“ Projekten. Dieses Konzept wurde mit Antrag auf finanzielle Unterstützung der Staatlichen Lotterie vorgestellt – die „National Lottery“ ist mit Abstand die wichtigste Förderin gemeinnütziger Projekte in Großbritannien. Die Gelder wurden bewilligt, und die Initiatoren stellte Jerry Ham als Koordinator des Projekts ein.

Jerry ist ein charismatischer Mittdreißiger, dessen Freundlichkeit und Enthusiasmus allein viele Türen öffnen. Groundswell trägt in vieler Hinsicht seine persönliche Handschrift. Einem früheren Leben als Leiter verschiedener Obdachlosenunterkünfte verdankt er die Kenntnis der Materie und die Einsicht, dass Veränderungen innerhalb der bestehenden Angebote dringend notwendig sind: Mehr Mitspracherecht für die NutzerInnen und Angebote, die den individuellen Bedürfnissen der NutzerInnen angepasst sind – und nicht umgekehrt!

Groundswell versammelt sogenannte Graswurzelinitiativen – kleine Projekte, die jedoch große Kraft besitzen, wenn sie zusammenhalten. Derartige Initiativen existieren in erstaunlicher Zahl und Vielfalt: Die Beratungsstelle für Hausbesetzer, die Exodus-Kollektive, die siuch für die Rückgabe des Landes an die Allgemeinheit einsetzt, und eine Lobbygruppe für Straßenobdachlose sind nur wenige Beispiele, wie Menschen sich mit viel Mut und Kreativität für ihre Vorstellungen einsetzen.

Dass die Zeit reif ist Groundswell , beweisen die Scharen in Sheffield: Das diesjährige Forum zählt 350 TeilnehmerInnen von mehr als 150 unterschiedlichen Gruppen aus ganz Großbritannien. Im Hinblick auf die „alternative“ Natur von Groundswell ist die Teilnehmerliste der Podiumsdiskussion eine kleine Sensation: Was in der landesweiten Obdachlosenarbeit Rang und Namen hat, ist vertreten. Ein Beweis, dass Groundswell die angestrebte Glaubwürdigkeit gewonnen hat.

Selbst die „Gegenseite“ ist anwesend – Louise Casey, die staatliche Obdachlosenbeauftragte. Implizit scheint ihr Auftrag zu lauten, Obdachlosigkeit unsichtbar zu machen. Das Publikum verhält sich angesichts dessen milde – kritische Fragen werden sachlich gestellt und von Frau Casey wortreich nicht beantwortet. Dabei wären Erläuterungen notwendig, um die Schärfe der staatlichen Erklärung zu mildern, dass „bis 2002 kein Obdachloser mehr auf der Straße schläft“. Die Angst der Betroffenen, das Problem werde nicht durch verbesserte Angebote gelöst, sondern durch die „Säuberung“ der Straßen von den Obdachlosen, kann Louise Casey nicht zerstreuen.

Viele Diskussionen und Workshops drehen sich um das Verhältnis zum Staat. Die „Selbermacher“ stellen ihre Projekte vor. Einer, der sich nicht von seinem Weg abbringen lässt, ist George Hattersley aus Northampton in Mittelengland. Unter Anleitung der „Communitiy Self Build Agency“ in London startete er vor zwei Jahren sein eigenes Projekt. Die Londoner Selbsthilfe-Agentur unterstützt Menschen, die – statt jahrelang auf bezahlbaren Wohnraum zu warten – ihre Häuser selber bauen wollen. George verhandelte mit einer Wohnbaugesellschaft, die seine Idee grundsätzlich unterstützenswert fand. Der Gruppe um George wurde ein stark renovierungsbedürftiges Gebäude überlassen. Alle Arbeiten, die keine Professionalität erfoderten, übernahmen George und seine Freunde ohne Bezahlung Dann bezogen sie das Haus zu einer vergünstigten Miete. Innerhalb der ersten vier Monate fanden 75 % der ehemals arbeitslosen Bewohner eine Anstellung – vor allem in Baugewerbe.

Auch The Big Issue, die britische Straßenzeitung (und frühes Vorbild für den AUGUSTIN) ist in Sheffield bei Groundswell vertreten. Vier Big Issue-Dichterinnen stehen abends als Teil des Rahmenprogramms auf der Bühne. Tagsüber leiten die vier eine offene Schreibwerkstatt. Einige der Teilnehmer stellen ihre Ergebnisse ebenfalls auf der abendlichen Bühne vor.

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