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Das Erfinden von Sprachen ist eine Kunst. Sowie auch Hobby und politisches Projekt. Julia Grillmayr über das Phänomen Conlangs.

Illustration: Karl Berger – The person is working, so I’m told, but I don’t trust the source. Sprache: Láadan

NuqneH! Das ist eine klingonische Grußformel. Richtig gebraucht ist sie allerdings nur, wenn sie forsch gesprochen wird und auf einem krächzenden, gutturalen Laut endet. Denn die Klingon_innen aus der TV-Serie Star Trek sind zwar ein stolzes Krieger_innenvolk, aber auch die Ungustln der Galaxie. Um das zu unterstreichen, ist ihr «NuqneH» nicht mit «Hallo» zu übersetzen, sondern mit «Was willst Du?» Entstanden aus einzelnen Wörtern und Stehsätzen, die das Porträt der Außerirdischen authentischer machen sollten, wurde Klingonisch bald eine vollständige Sprache. Die Filmgesellschaft Paramount beauftragte den Sprachwissenschafter Marc Okrand damit, ein umfassendes Vokabular und eine Grammatik des Klingonischen zu entwerfen. So entstand eine der bisher erfolgreichsten Conlangs – kurz für «constructed languages», also konstruierte oder künstliche Sprachen.

Conlangs kommen oft zum Einsatz, um das Bauen von Science-Fiction- und Fantasy-Welten zu bereichern. Ein jüngeres Beispiel dafür ist die TV-Serie Game of Thrones, wo Dothraki und High Valyrian gesprochen werden. In der Buchvorlage von George R. R. Martin kommen die Sprachen nur ansatzweise vor. Auch hier wurde ein Linguist beauftragt, um sie für die Serie zu vollständigen Sprachsystemen auszubauen. Inzwischen kann High Valyrian, wie auch Klingonisch, auf der populären Sprachenlern-App Duolingo, studiert werden. Fans soll so die Möglichkeit eröffnet werden, noch tiefer in die fiktive Welt einzutauchen – das ist, bei allem Fun, natürlich auch gutes Marketing.

Humor und Herzblut.

Conlangs transportieren Informationen über diese Welten. Wenn sich Klingon_innen zum Gruß «Was willst Du?» zuschreien, soll das wohl ihre Schroffheit ausdrücken. Es gibt auch weder «Bitte» noch «Danke» im Klingonischen. Was es aber gibt, ist eine vollständige Übersetzung von William Shakespeares Hamlet – beziehungsweise, wie es im Buch heißt, eine «Wiederherstellung der klingonischen Originalfassung». Der Klingonische Hamlet verdankt seiner Entstehung einem Scherz aus dem Star-Trek-Film Das unentdeckte Land, wo der klingonische Kanzler Gorkon aus Hamlet zitiert und meint, der Text sei doch nur im klingonischen Original das Wahre.

Eine vierhundert Seiten umfassende zweisprachige Hamlet-Edition – das ist, selbst für einen nerdigen Scherz, doch sehr viel Mühe. Das dachte ich mir zumindest anfänglich, als ich gemeinsam mit dem Literaturwissenschaftler Daniel Syrovy begann, für eine Ausgabe der Radiosendung Superscience Me* über Conlangs zu recherchieren. Das war aber nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt tatsächlich eine rege, internationale Conlanging-Community, die das Sprachenerfinden als Hobby und Kunst betreibt. Die Conlanger_innen entwerfen neue Grammatiken oder modifizieren bestehende Sprachsysteme, erfinden tausende Wörter, feilen an Regeln für den Satzbau und überlegen sich, ob und wie Informationen über die Sprechsituation, Ort, Zeit und das Geschlecht der Sprecher_innen in ihren Sprachen vermittelt werden sollen.

Es gibt verschiedene Motivationen, warum sich jemand auf dieses zeit- und herzblutintensive Hobby einlässt, wie der Conlanger Joseph Windsor im Radio-Gespräch erklärte: «Viele finden Zuflucht in ihren Sprachen, die sie zum Beispiel für einen speziellen poetischen Ausdruck geschrieben haben.» Windsor kam über ein Star-Trek-Computerspiel zum Conlanging. Immer wieder tauchten dort Sätzchen in Klingonisch auf. «Das fand ich super. Später fand ich heraus, dass es sich um eine vollständige Sprache handelt, und begann sie zu lernen», erzählt er. So kam er schließlich in die linguistische Forschung und begann, Vorträge über Klingonisch zu halten. Nun ist er Präsident der Language Creation Society, einer internationalen Gesellschaft für Sprachenschöpfung, die eine eigene Publikation herausgibt und regelmäßig Konferenzen ausrichtet.

Politik und Geschichte.

Ein Beispiel für Conlanging aus der Literatur, das hervorsticht, ist Der Herr der ­Ringe von J. R. R. Tolkien, wo diverse Sprachen der Elben, Zwerge und Menschen gesprochen werden. Besonders ist die Trilogie deshalb, weil Tolkien zuerst seine Sprachen konstruierte und dann erst die Romane schrieb. Anders als die Sprachen aus Stark Trek und Game of Thrones handelte es sich von Anfang an um eine linguistisches Herzensprojekt. Auch hier dienen die Sprachen dazu, etwas über die Sprachgemeinschaft auszusagen – und im Falle von Tolkien ist dies auch mit gewissen Rassismen verbunden, wie Daniel Syrovy für Superscience Me nachzeichnete. Der Literaturwissenschaftler stellte demgegenüber ein paar Literatur-Beispiele vor, in denen Conlangs für emanzipatorische politische Projekte nutzbar gemacht werden, etwa die Native-Tongue-Romanserie von Suzette Haden Elgin. Die Autorin erschuf darin die feministische Sprache Láadan. Nach dem Credo, dass nur das sichtbar ist, was benannt werden kann, gibt es etwa ein Vokabel für einen «Nicht-Feiertag»: «Ein Tag, der eigentlich ein Feiertag ist, aber eine derartige Belastung durch Arbeit und Vorbereitung darstellt, dass einem davor graut.» Auch können in dieser Conlang subtilere Formen von Gewalt und Übergriffen formuliert werden. Elgins unerfüllt gebliebener Wunsch war es, dass ihre Sprache über die Literatur in den Alltagsgebrauch eingeht.

Dass das Konstruieren von Sprachen eine politische Angelegenheit ist, wird auch klar, wenn man auf die Geschichte blickt. Nicht Science Fiction und Fantasy, sondern die Philosophie ist die Ur-Spielwiese für Sprachenerfinder_innen. Die erste große Welle des Conlanging beginnt in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Philosoph_innen wollen die unperfekte menschliche Sprache verbessern, um Probleme der Verständigung aus der Welt zu räumen. «Ihr Ziel ist es, alles menschliche Wissen so zu systematisieren, dass die Begriffe selbst einer strengen Logik folgen», fasst Daniel Syrovy zusammen. Die Idee, dass eine solche perfekte Sprache gefunden werden kann, ging davon aus, dass vor dem Turmbau zu Babel alle Menschen die gleiche Sprache hatten, nämlich eine göttliche. «Von der religiösen Dimension abgesehen, scheiterten diese Systeme vor allem daran, dass sie keinerlei Redundanz, also Überflüssigkeiten, aufwiesen», erklärt Syrovy. «Jeder Laut und jedes Zeichen hatte Bedeutung. So funktionieren menschliche Sprachen aber nicht.»

In der zweiten Welle des Conlanging, Ende des 19. Jahrhunderts, wurde dies berücksichtigt und auch das Ziel war ein anderes: Völkerverständigung und Weltfrieden. Es entstanden sogenannte Welthilfesprachen. Die bekannteste und nach wie vor erfolgreichste darunter ist Esperanto. 1887 von Ludwik Zamenhof, alias Doktoro Esperanto, vorgestellt, hat es nicht nur bis zu eine Million Sprecher_innen, sondern sogar Muttersprachler_innen, also Menschen, die von Geburt an Esperanto lernten. In Wien ist dem Projekt ein Museum gewidmet: In der Herrengasse findet sich das kleine, aber spannende Esperantomuseum der Österreichischen Nationalbibliothek. Dort gibt es auch Hörbeispiele und Informationen über andere konstruierte Sprachen, von der mystischen Sprache lingua ignota von Hildegard von Bingen aus dem 12. Jahrhundert bis zu Solresol, einer musikalischen Conlang, die aus sieben Noten besteht.

Die Sprachen, die schließlich für fantastische Welten erfunden werden, stellen die dritte Welle des Conlanging dar. Dieser historischen Einteilung entsprechen drei verschiedene Typen von Conlangs. Sprachen, die für Fiktionen oder als Kunstform geschrieben werden, nennt man Artlang, künstlerische Sprachen. Esperanto zählt zu den Auxlangs, kurz für «auxiliary languages», also Hilfssprachen. Die frühen Sprachexperimente der Philosophie würde man heute am ehesten als Engelangs bezeichnen, «engineered languages», also technische Sprachen. «Sie verfolgen einen ganz bestimmten Zweck», erklärt Joseph Windsor, experimentieren etwa mit spezifischen sprachlichen Mechanismen. Als Beispiel erzählt er von einer Linguistin, die ein vereinfachtes Ungarisch kreierte, um Strategien des Sprachenlernens bei verschiedenen Menschen zu erforschen.

Stille Post.

Wie aber tauschen sich die Conlanger_innen über solche Sprachspiele aus? Wie einen Überblick über all die Sprachen bekommen, die in der Community erschaffen werden? Peter Bleackley, der selbst seit Jahren an der Conlang iljena schreibt, berichtet von zwei Traditionen, die diesen Austausch möglich machen. Gemeinsam mit einer Kollegin hat er den Hashtag Lexember initiiert. Vor allem auf Twitter posten die Conlanger den ganzen Dezember über jeden Tag ein neues Wort in ihrer jeweiligen Sprache. So wird sichtbar, an welchen Conlangs gearbeitet wird, und außerdem bekommt man Inspiration für eigene neue Vokabel. «Es kann passieren, dass man jahrelang an einer Sprache schreibt und noch immer kein Wort für Hund hat», erzählt Bleackly. Die zweite Tradition ist der Conlang Relay, eine Art Übersetzungs-Staffellauf. Jemand schreibt eine kurze Geschichte in einer Conlang und gibt Informationen über Vokabular und Grammatik, so dass sie für andere lesbar ist. Eine zweite Person übersetzt sie weiter in eine andere Conlang und gibt wieder eine Legende dazu. Dies wird wiederum die Basis für die dritte Übersetzerin – und so weiter. Die Geschichte wird oft dutzende Male übersetzt. «Es gibt natürlich Missverständnisse, oder Wörter, die keine Entsprechung in anderen Sprachen haben», erklärt Bleakly. Durch das Übersetzen lernen die Conlanger also die Sprachen kennen, die ihre Kolleg_innen erschaffen, und gleichzeitig spielen sie auf unglaublich elaborierte und aufwändige Weise Stille Post.

*Die Radiosendung «Superscience Me» ist jeden zweiten Dienstag im Monat auf Radio Orange 94.0, dem Freien Radio in Wien, zu hören.

Alle Ausgaben können unter cba.fro.at/series/superscience-me nachgehört werden.

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