Mein Heimathaus «Trautenhof» war immer schon ein offenes Haus, zugänglich durch den Weinbaubetrieb für Menschen, die einen großen Durst und Hunger hatten. So manches Viertel Wein rann einem Bedürftigen in den Schlund, und wenn er zu viel erwischt hatte, landete er am Nachhauseweg im Straßengraben.Durch den Betrieb kam es auch zu ein paar Nebenerscheinungen. Manchmal kamen Busse, und als zehnjähriges Mädchen musste ich helfen, Verhackertbrote richten. Tage vorher roch es im ganzen Haus nach selbstgemachtem, frisch gebackenem Brot. Das Kneten des Teiges in einer großen Stahlschüssel war durch meine kräftigen Hände schon immer meine Arbeit gewesen. So hatten wir acht Kinder jedes seine Aufgaben zu erfüllen.
Am Abend wurde dann oft getanzt, im Herbst, wenn die Ernte eingebracht worden war. Nachbarsburschen und Frauen und unsere Familienhelferinnen trafen sich bei uns zu einem Stelldichein. Die Röcke wippten und die Zöpfe flogen, wenn sich die Pärchen im Kreis drehten. Wir Kinder durften diesem Schauspiel nur kurz folgen und mussten uns in unsere Zimmer zurückziehen. Oft artete es zu einem späten Gelage aus, wenn der eine oder andere zu viel Wein getrunken hatte. Durch den Trubel und durch die laute Ziehharmonika konnte ich aber nicht einschlafen. Mein Zimmer war früher ein Wohnraum für die gesamte Familie gewesen und wurde für mich umfunktioniert zum Jungmädchenzimmer. Aus Langeweile suchte ich an so einem Tanzabend in dem alten Kasten nach etwas Brauchbarem. Ich wurde bald fündig. Ich fand ein dunkelrotes, abgewetztes, ledernes Ungetüm, das so aussah wie eine große Schachtel. Es war aus hartem Leder und entpuppte sich als Plattenspieler – von anno dazumal. Ich zerrte ihn hervor, und er drohte auseinanderzufallen. Es war tatsächlich ein alter Plattenspieler, wie man ihn damals in den Endsechzigerjahren hatte. Und auf dem Grammophon befand sich sogar eine Single. Nun galt es nur mehr, den alten «Leierkasten» in Betrieb zu bringen. Ich machte ihn funktionstüchtig. Ich steckte den schwarzen Stecker in die Steckdose und – «ach, wie herrlich» – die Scheibe drehte sich, und ich setzte die Nadel, die ich zuerst sorgsam vom Staub befreite, auf die Schallplatte. Es war eine Single von Françoise Hardy. Gespannt horchte ich dem deutschen Text der jungen Französin:
«Frag den Abendwind,
wo das Glück beginnt,
aber frage nicht
woran es manchmal zerbricht.
Frag den Silbermond,
wo die Liebe wohnt,
doch wann sie zerbricht,
das frage nicht.
[…]
frag den Abendwind …»
Zwei, drei, vier, zehn, zwanzig Mal spielte ich dieses Lied, und ich träumte vom Silbermond, wenn ich aus dem Fenster schaute und ihn leuchten sah. Die Puppen tanzten in der Bauernstube bei Ziehharmonika und Polka, und ich lauschte etwas traurig dem Abendwind. Das ist nun viele Jahre her. Meinen alten dunkelroten Plattenspieler gibt es schon lange nicht mehr. Er wurde wohl Opfer der vielen Umbrucharbeiten meines Jungmädchenzimmers. Vor ein paar Tagen hörte ich wieder zufällig dieses selten gespielte Lied. Ich erinnerte mich sofort an das alte Grammophon, an die vielen Menschen, die bei unserem «Heurigen» ihren Magen und ihre Seele labten. Man hat bei uns oft bis in die späte Nacht gearbeitet, aber auch bis zum Morgengrauen getanzt und sich somit einen Ausgleich verschafft. Es ist einfach Erinnerung an eine Kinderzeit, die manchmal schön, aber oft auch sehr traurig für mich war. Françoise Hardy singt noch heute: «Frag den Abendwind, wo das Glück beginnt …» Eine Frage in meinem Leben, die ich mir manchmal wirklich schon abgewöhnt habe, zu stellen!