Alles, was man schmeckt, sieht und berührt
Wenn Riot Girrrls tanzen. Die neue Arbeit der Tänzerin und Choreografin Veza Fernández Wenn Auge Mund wird erprobt ein neues queer-feministisches Bild der Ballerina und reflektiert dabei über alternative Formen von Gemeinschaft. Veronika Krenn (Text und Foto) hat Veza Fernández porträtiert.
«Ich weiß nicht, ob der Theaterraum noch ein Ort der Begegnung ist, mit Diskurs und Austausch und einem Forum», fragt sich Veza Fernández bei einem Gläschen Rotwein. «Ich wollte wissen, wie ein Dialog passiert, mit diesen elf besonderen Menschen auf der Bühne – und dem Publikum», erzählt sie. Ihr neues Stück Wenn Auge Mund wird handle davon, wie Verbinden, Vernetzen und Transformieren vonstatten geht und wie Fühlen möglich wird. Die 31-Jährige erprobt darin die Mittel des Tanztheaters der 1970er- und 1980er-Jahre – die sie verwendet wie ein utopisches Theatertool: «Worum es im Stück geht, weiß man nicht, aber da ist ein Ensemble, Fragen werden gestellt und eine Collage entsteht, eine Geschichte, die nicht narrativ ist, eher wie ein Gefühl, ein Traum.» Erstmals habe sie eine Arbeit gemacht, bei der es nicht um einen verbalen, intellektuellen Dialog gehe, sondern um «Machen, Machen, Machen», sagt sie. Stimme und Wahrnehmung seien wichtig, was schon der Titel Wenn Auge Mund wird suggeriert – alles was man schmeckt, sieht und berühren kann, auch, wie man bewegt werden kann.
Feminität und Maskulinität.
«Ich mag es, dass jede einzelne der Tänzer_innen eine eigene Beziehung im Stück hat. Ich mag große Themen und geladene Informationen, ein Potenzial, das verschiedene Seiten zeigt. Das Wichtigste ist, wie das Miteinander funktioniert», erzählt die Choreografin, die in Spanien geboren und aufgewachsen ist, aber zum Studieren in die Heimat ihrer Mutter – nach Österreich – zurückgekehrt ist. Es interessiert sie, «verschiedene Arten von Feminität» zu zeigen: «Beim Tanztheater war das sehr stark, dass Feminität und Maskulinität Themen waren – die Rolle der Frau, die Rolle der Frau als Opfer. Im Stück zeigen wir viel Fragilität, aber als Ermächtigung. Diese Verschiedenheit der Möglichkeiten des Zusammenseins und der Fürsorge, ich glaube, dass da neue Bilder entstehen.» Die Rolle der «Ballerina» konnotiert Veza Fernández in ihrem Stück neu. «Bei mir ist das einfach eine feminine Tänzerin, nicht nur eine Frau, sondern frei von Gender. Ich habe mir die Ballerina angeeignet. Mir gefallen die Tänzer_innen, die den Tanz befreit haben. In diesem Stück sind nicht alle Profi-Tänzer, aber das ist eine Entscheidung, in diesem Stück sind sie die Ballerina, auch wenn die Ausbildung eine andere ist.»
Zusammen-Sein.
Veza Fernández hatte Lust, «ganz viele Leute im Stück zusammenzubringen, obwohl das ein bisschen verrückt ist, weil es viel Geld kostet». Dabei sind zwei nicht «gegenderte» Personen, wie sie sagt, und eine, die sich auf der Bühne nicht gerne als weiblich darstellt, obwohl man «sie» sagt. Aber nicht alle Tänzer_innen des Stücks seien queer, sagt die Choreografin. «Man erkennt die Energie und sagt, das ist feminin, aber dann vergisst man, das richtige Pronomen bei der Probe zu verwenden. Da muss man vorsichtig sein. Das ist ein ewiges Verhandeln, ein ewiges Lernen, wie man Sprache verändern kann – und das mag ich.»
Die Performer_innen in Wenn Auge Mund wird entstammen alle mehr oder weniger der Generation von Veza Fernández – sie sind im Alter zwischen 29 und 41 Jahren. Dabei sind manche spirituell, andere nicht, manche Aktivist_innen, manche nicht. «Mir ist wichtig, dass man verschiedene Sprachen verwenden und trotzdem zusammensein kann», sagt Fernández, «darum sind sie so unterschiedlich – eine Tänzerin und Choreografin, eine Tänzerin und Heilerin, eine Choreografin, die viel mit Text arbeitet, eine bildende Künstlerin … Zwei sind von einer Riot-Grrrl-Band, einer Punk-Band, die in feministischen Welten agiert. Auch sie tanzen, bei uns machen alle alles. Oder Denice Bourbon, die ein Role-Modell der queeren Szene in Wien ist – alle sind tolle Performerinnen.»
Ortswechsel.
Veza Fernández’ Arbeiten kreisen um die Themen Heimat, Familie und Zusammenhalt. Eines ihrer wichtigsten Stücke, mit dem sie den BESToffSTYRIA-Publikumspreis 2014 gewann, ist Calamocos. Es ist ein Stück, das ihre Erinnerungen an jenes Dorf verarbeitet, in dem ihre Großeltern väterlicherseits lebten. Sie beschreibt darin die Lebensentwürfe dreier Generationen von Frauen. Zuletzt war im brut Wien The Father Care Piece von ihr zu sehen, und bei Nesterval’s Dirty Faust war sie für die Choreografie zuständig.
Als Tänzerin und Choreografin ist Fernández Autodidaktin, die schon als Kind exzessiv getanzt hat. «Ich habe Stücke gemacht als Jugendliche, ohne zu wissen, dass es Performance gibt. Ich komme aus Nordwestspanien, wo niemand ins Theater geht. Ich habe nicht gewusst, dass es dafür einen Begriff gibt, obwohl ich das schon 15 Jahre gemacht habe.» Fernández erzählt, dass es in ihrer Jugend modern gewesen sei, Geschichten-Erzähler-Abende zu veranstalten, in Kulturzentren der anarchistischen Szene. Gemeinsam mit einer Freundin habe sie Kostüme angezogen, Gedichte gelesen, Instrumente gespielt, gesungen und mit Objekten interagiert. Erst später, bei einem Workshop mit einem Performancekünstler, habe sie herausgefunden, dass das auch ein Beruf sei. Aber ihre Familie wollte, dass sie etwas Ernsthaftes mache. So studierte sie Lehramt Englisch und Spanisch, um dann über das Studium in Österreich zur Bühne zu finden. «Manchmal ist ein Ortswechsel nicht schlecht. Wenn man von null anfängt, ist man freier.» Geblieben ist ihr die Liebe zu Sprachwissenschaft und Semantik, die in ihren Arbeiten sichtbar wird.
Sehnsucht.
Veza Fernández lacht, als sie von ihrem Leben zwischen den Kulturen erzählt. Hier in Österreich gelte sie immer als «Spanierin» und in Spanien als «Österreicherin». «Meine Freundinnen sagen immer: ‹Wie du dich anziehst!›» In Spanien traue man sich extravaganter zu sein, Ohrringe und Schmuck zu tragen. «Vielleicht ist es das Spanische in meinen Stücken. Ich verwende immer sehr viele Farben, und das Melodramatische nehme ich sicher mit.» Sie komme aus León, unweit von Galicien, wo es sehr viele Dichter gebe. In der Region, aus der ihr Vater komme und wo sie sehr viel Zeit verbracht habe, sei es sehr neblig, und das Wort Sehnsucht habe eine große Bedeutung. Viele ihrer Lebensthemen seien dadurch geprägt worden.
Nachdem Fernández ihre Performerinnen-Karriere in Graz begonnen hatte, zwang die österreichische Fördersituation sie zu einer Entscheidung. «Ab einem gewissen Zeitpunkt musste ich mich entscheiden, wo ich am besten meine Arbeiten machen kann, und das war in Wien. Und ein Stück, das von Wien finanziert wurde, kann ich dann nicht in Graz zeigen.» Es gebe zwar Gastspielförderungen, aber auch nicht genügend Häuser in Österreich, an denen Arbeiten wie die ihren gezeigt werden könnten. Das sei schade, sagt sie, denn in anderen Ländern – etwa den Niederlanden, Belgien, Frankreich und der Schweiz – werde Vernetzung stärker gefördert.
Wer physisch erleben will, wie Veza Fernández arbeitet, ist zu einem Workshop am 14. April eingeladen, bei dem sie mit ihren choreografischen Methoden zugange sein wird. Etwa mit Improvisationen, Wahrnehmungs- und anderen Spielen, bei denen über die Körper eine Soundarchitektur gebaut wird, die eine raumübergreifende Verbindung – und Bewegung – schafft.
Wenn Auge Mund wird feiert am
12. April im brut im Casino Baumgarten (14., Linzer Straße 297) Premiere und wird bis zum 20. April ebendort gespielt. Der Workshop am 14. April findet am selben Ort um 17.30 Uhr statt.