Wie Demokratieabbau und Frauenrechte zusammenhängen
Petra Unger, bekannt durch die Wiener Frauenspaziergänge, ist ein gesellschaftspolitisch wichtiger Wurf mit dem 100-seitigen historischen Abriss der Frauenbewegung gelungen.
Grafik: © Jella Jost
Weshalb ihr 2018 erschienenes Buch nicht von einschlägigen Zeitungen – außer der Wiener Zeitung, dem Falter und der Forschungsplattform der Uni Wien, Salon 21 – besprochen wird, erschließt sich mir noch nicht. Außerdem sollte es in den Schulunterricht, Abteilung politisches Bewusstsein. Ich werde das Buch in jedem Fall in meinen Deutsch-als-Zweitsprache-Sprachunterricht miteinbeziehen. So werden Sprachfertigkeiten in Zusammenhang mit historischem Frauen-Wissen über die Pionierinnen und Vordenkerinnen in Österreich und die Emanzipationsprozesse der Frauen vermittelt. Ich bin der Überzeugung, dass genau dies eine kompatiblere Variable darstellt, um Kultur und demokratische Werte zu vermitteln, als die von der Regierung geforderten Wertekurse in Deutsch-als-Fremdsprache-Situationen. Geprüft wird ein Wertekatalog, der eine konservative Weltanschauung, katholische Gebräuche, Verhaltensvorschriften und Behördentipps beinhaltet. Einer meiner DaF/DaZ-Kollegen hat zahlreiche gebildete Arbeiter, Angestellte und Akademiker in seinen Deutsch-Kursen und hat Bedenken wegen grenzüberschreitender Momente, in denen er Erwachsenen ein Regelwerk näher bringen soll, dass davon ausgeht, alle Ausländer seien unzivilisiert, wilde Tiere oder fänden ohne Lederhose keinen Zugang zum Burgtheater. Es zeigt sich der Geist der Regierung. Man selbst hält sich für zivilisiert und im Umgang mit Migration für fortschrittlich. Was mit dem eigenen Rückschritt nicht kongruent verläuft und die selbsterschaffenen Vorurteile bestärkt, das wird verteufelt und marginalisiert; außer Personen sind lukrativ im Sinne hochqualifizierter ausländischer Fachkräfte. Dann stehen Türen offen. Lehrende werden in dieser Situation quasi als Polizist_innen missbraucht, ja als Aufpasser_innen.
Bevormundungen wie: «Sie dürfen ihre Frau nicht schlagen» – oder: «Nach dem WC müssen Sie sich die Hände waschen» überschreiten eine Grenze. Da zeigt sich das doppelte Spiel. Unsere sommerlich leichte, lockere Regierung unter blauem Himmel, der auch mal schwarz eiskalt abregnen kann, hat die Förderung für Frauenvereine, Fraueninstitutionen und Frauenhäuser dramatisch gekürzt. Einerseits also ruft die politische Führung in ihrer offiziellen Version, dass Frauen nicht geschlagen werden dürfen, aber sie bieten ihnen keinen Schutz und keine Fördergelder für Frauenhäuser, um genau diesem häuslichen Martyrium zu entgehen. Es sind wieder die Werte der Männer, die nach außen getragen werden durch Institutionen, Ministerien. Es entsteht Ungerechtigkeit. Angst. Kriminalisierung. Verrohung. Gewalt. Das ist jenseits jeder real-demokratischen Gesellschaft. Aber dass mit der Geschichte der Frauenbewegungen ein roter Faden gesponnen wird – ist nicht zu übersehen.
WIE EIN TIER
Petra Unger fädelt die historisch elementaren Perlen der Frauengeschichte übersichtlich auf. Unser «Abendland»: Misogynie, Kastration der Frauenrechte und heutzutage aktuelle Retro-Ideologien vom Urstrumpf-Onkel. Auch das wussten die Frauen der Ersten Frauenbewegung im 19. Jahrhundert, der Rückgriff auf alte patriarchale Modelle. Und es waren jene mutige Frauen, die ihr Leben riskierten, weil sie ihre Rechte als Mensch, als Arbeiterinnen, als Mütter, als bedeutender Teil der Gesellschaft geltend machten. Und immer wieder sind die vielen Frauen aufgestanden, auf die Straße gegangen, haben sich versammelt und Vereine gegründet, haben Flugblätter verteilt in Androhung hoher Strafen oder Mord. Die Bewegungen wurden größer und globaler. Stück für Stück wurden Frauenrechte, wie das Wahlrecht von 1918, ein heute akzeptierter Teil unseres politischen Alltags und keine «Frechheit» mehr, wie Männer es damals sehen wollten, die Frau war kein «Mangelwesen» mehr, kein «… Weib, dem gewisse Eigenschaften fehlen» (Aristoteles, 427–347 v. Chr.), oder «… dass die Frau ein nicht ganz geglückter Mann sei» (Thomas v. Aquin, 1225–1274). Mit solcherlei Vorurteilen zementierten Männer die eigene Stellungsvormacht. Vor allem die Kirche tat ihr Übriges mit dem Postulieren von: «Gott hat die Frau als ein niederträchtiges Wesen erschaffen.» Man fasst es nicht, diese Denkart heute zu lesen, und wenn man eine lebendige Fantasie hat, kann man sich die Abwertungen, Misshandlungen, Folter und Morde an weiblichen Kindern, Frauen und Mädchen deutlich vor Augen führen. Die Geschichte weiß es.
Aber auch Frauen können strategisch denken und handeln. Christine von Pizan (1365–1430) gilt als einer der ersten Denkerinnen weiblicher gleicher Rechte durch ihr Buch Buch von der Stadt der Frauen und hält ihre Meinung ganz und gar nicht zurück: «… es ist völlig unvorstellbar, daß so bedeutende Männer Lügen über Frauen verbreitet hätten.» Pizan liefert Gegenargumente und spricht von der Utopie der Stadt der Frauen als einem Ort der Ermutigung ohne Raum und Zeit. Was für ein Bild! Etwa 300 Jahre später im Zeitalter der Aufklärung spricht Jean-Jacques Rousseau zwar von der Fähigkeit der Vernunft im Sinne politischen Handelns, jedoch wird beides den Frauen nach wie vor vorenthalten. Wieder sind es sehr ergreifende Original-Passagen in Petra Ungers Buch, die mich schockieren, die mich wachrütteln oder schlimmer noch, die mich erinnern … «Die Frau muss frühzeitig lernen, Unrecht zu erdulden und Übergriffe des Mannes zu ertragen, ohne sich zu beklagen.» Wissen Sie, dass bis 1989 in Österreich das Recht des Mannes zu ehelichem Geschlechtsverkehr mit Gewalt durchgesetzt werden konnte?
MANN, BIST DU FÄHIG, GERECHT ZU SEIN? Olympe de Gouges
«Die französische Revolutionärin Olympe de Gouges», schreibt Unger in ihrem Buch, «erkennt als erste die Bedeutung der geschlechtergerechten Schreibweise, um Frauen aus dem kleinmachenden ‹Mitgemeint-Werden› zu befreien.» Und nach wie vor realisieren selbst heutzutage viele Frauen und Männer nicht den demokratiepolitisch relevanten Prozess, der hinter einer geschlechtergerechten Sprache steht. Lappalien wie «… das ist so kompliziert zu lesen oder auszusprechen …» offenbaren Ignoranz und Unwillen einer Möglichkeit, als Teil einer Gesellschaft und als Gesellschaft selbst zu wachsen und zu expandieren. Nicht nur ökonomisch. Nein, auch geistig. Olympe De Gouges starb am Schafott. Heute stirbt man unauffälliger und systemadaptierter. Die Methoden sind subtil und nicht sofort erkennbar. Der Tod kommt leise über Umwege. Ach, das Vernichten, Zerstören. Lange schrieb ich das den Männern ausschließlich zu. Ich sah es ja als Kind vor meinen Augen in den 60ern. Die Mütter waren gedemütigt und abhängig. Sie waren nach Strich und Faden betrogen worden. Von ihren Männern. Von ihrer Familie. Von der Gesellschaft. Sie waren depressiv. In den Staub getreten, der aus den fein säuberlich geputzten Ecken der Wohnungen geräumt wurde. Da gab es kein Aufräumen mehr. Die Fassade war spiegelglatt. Man entfloh gerade erst der Zeit ohne Gnade, wie es Petra Unger formuliert, der NS-Diktatur. Kurz danach bis zum heutigen Tag sprach man von den herausragenden Leistungen der Trümmerfrauen. Bedeutend hier im Buche Ungers ist ein neuer historischer Blick, denn die meisten dieser Frauen waren aktive Nationalsozialistinnen, die von den Alliierten zu diesen Strafarbeiten gezwungen wurden. Es zieht sich in mir alles zusammen, als ich lese, dass 3500 Frauen im KZ Ravensbrück «ausgebildet» wurden. Es ist jene einzige Stelle im Buch, an der Petra Unger eine nachträgliche Korrektur vornehmen könnte. Ich habe lange darüber nachgedacht, wieso in obigem Zusammenhang «ausgebildet» in ihrem Buch nicht in Anführungszeichen gesetzt ist. Auf allen einschlägigen Seiten wird das Wort leider so verwendet, was meines Erachtens eine falsche Darstellung ist. Denn man soll nicht den zynischen NS-Jargon des Grauens, der sich auch in Sprache ausgedrückt hat, wiederholen. Das war keine Ausbildung, das war geplanter totalitärer Kurs, ein Maßnahme in Richtung Folter und Tod in Verkleidung von «Frauenarbeitsplätzen». Auch das muss exakt beschrieben werden. Auch Frauengeschichte muss immer wieder neu beschrieben werden. Deshalb ist dieses Buch von großer Wichtigkeit. Und Sprache. Und Sprechen. Es war und ist finster in diesem Abendland, wo die ach so güldene Sonne immer wieder untergeht.
«Ein christliches Abendland im Sinne eines homogenen christlichen Raumes […] gab und gibt es nicht. […] Europa wurde immer auch durch den politischen, ökonomischen und kulturellen Austausch mit anderen Räumen und Traditionen geprägt und im Inneren ist Europa nicht durch Homogenität, sondern durch Konkurrenz, Konflikt und Koexistenz unterschiedlicher religiöser Traditionen gekennzeichnet.» Ullrich Willems, derstandard 5.7.2015
INFO Petra Unger: FRAUEN WAHL RECHT – Demokratie und Frauenrechte
St. Nikolausstiftung 2018