Freie Kunst oder vogelfrei?Artistin

Soziale Gerechtigkeit und Fair Pay: Themen, die die freie Kunstszene beschäftigen. Auf einem internationalen Symposium in Wien wurde nun breit angelegt darüber diskutiert. Veronika Krenn (Text) war dort und hat mit Interessensvertreter_innen über Prekarität, Reformen und die Verantwortung der Politik gesprochen.

«Auch wenn wir vom Affen abstammen, sind wir nicht auf der Welt, um Augen und Ohren zuzumachen», konstatiert Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler als einladende Gastgeberin des Symposiums Freie Szene – Freie Kunst im Gartenbaukino, «sondern wir wollen auf die Kehrseite unseres Tuns schauen». Gemeinsam mit der freien Szene will sie Prozesse und Strukturen hinterfragen. Denn: «50 bis 60 Prozent der Künstler_innen sind in der freien Szene tätig.» Später wird sie noch nachlegen: «Nicht nur in der Kunst, sondern in der gesamten Gesellschaft müssen wir uns fragen, wie wir mit den wachsenden prekären Lebensverhältnissen umgehen. Es sind nur ein paar Jahre, und das Thema landet bei einem anderen Ressort – dem Sozialressort.»

Bestandsaufnahme. Am 8. und 9. April steckten die Interessensvertretungen und Kunstschaffenden der freien Szene zum gemeinsamen Brainstorming die Köpfe im Gartenbaukino zusammen. Im Fokus: soziale Gerechtigkeit und Fair Pay. Eingeladen waren dazu internationale Gäste, die von Best-Practice-Modellen erzählten und deutlich machten, dass historisch gewachsene Strukturen veränderbar seien. Zwar oft in einem langwierigen Prozess, aber dennoch, auf einem Weg der einzelnen, kleinen Schritte. Ein erster davon könnte diese Bestandsaufnahme im Gartenbaukino sein. Wo auch Vertreter_innen der MA 7­­ und des Kulturstadtratbüros zugegen waren und sich den kritischen Analysen der Künstler_innen stellten.

Überlebenskampf in der Kunst. Das dichte Programm des zweitägigen Symposiums brachte erhellende Blicke über den Tellerrand: Es sprachen Vertreter_innen der Bildenden Kunst, Literatur, Kultur, freien Theater, des Fachverbands der Filmschaffenden, music austria und Gäste aus Deutschland und Brüssel. Ina Wudtkes Film A Portrait of The Artist as a Worker verarbeitet das Problem künstlerisch. Eine clownesk geschminkte Frau beschreibt da ihren täglichen Überlebenskampf als Künstlerin, während andere ihre Arbeit stolz in ihren Kunsthallen präsentieren, aber voraussetzen, sie arbeite «nicht für Geld». Eigentlich sei sie Investorin, sie gebe dabei Darlehen, die niemand zurückzahle, sie schmeiße die Party, auf der andere tanzen, und spiele auch noch die DJane dafür.
Im Anschluss stellten sich Arne Forke, Referent der Kulturstadträtin, Hauptorganisatorin Ulrike Kuner (IG Freie Theater) und Vasilena Gankovska (IG Bildende Kunst) den AUGUSTIN-Fragen nach den wichtigsten strukturellen Problemen und Lösungsansätzen.
Arne Forke war, vor seinem Wechsel in die Politik, in der Tanz- und Theaterszene tätig, davon fünfzehn Jahre lang in der freien Szene. Jahre, die sich auch bei der Bemessung seiner Pensionsansprüche negativ auswirken würden, wie er sagt. Eine seiner Erkenntnisse aus dem Symposium: Trotz unterschiedlicher Rahmenbedingungen der verschiedenen Künste würde sich ein roter Faden herauskristallisieren. Andere Problemfelder hingegen seien ganz spezifischer Natur, weshalb es auch Sinn mache, diese innerhalb der einzelnen Interessensvertretungen zu vertiefen. «So lebt ja die Kunst, dass sie über die Grenzen hinweg miteinander arbeitet. Das finde ich wesentlich, sich das auch in den Arbeits- und Fördermodellen sowie den Strukturen europaweit anzusehen.»
Als wesentliche Punkte zur Verbesserung nennt er, den Förderkriterien-Katalog weiter zu differenzieren, etwa auch künstlerische Recherche-Vorarbeit aufzunehmen. Ebenso wie Austauschstipendien und Künstlerinnenresidenzen, um eine lebendige Kunstlandschaft zu befruchten und nicht nur auf Repräsentation abzuzielen.

Nicht eine Frage von Lautstärke. Grundsätzlich wichtig sei natürlich der soziale Aspekt, weil man da in der Verantwortung stünde. «Es geht uns ja nicht darum, dass wir eine Art kulturelles Feuerwerk inszenieren», sagt Forke, «sondern dass wir nachhaltig denken und entwickeln. Wenn wir von einer wachsenden, sich entwickelnden Stadt sprechen, vergleicht Veronika Kaup-Hasler das gerne mit einem Patienten, den man zuerst genau untersuchen und anschauen muss, um daraus zu einer Analyse zu kommen. Letztlich mit dem Ziel, Lösungen zu finden.» Dabei geht es auch darum, politische Argumente zu finden. «Natürlich ist der Bedarf überall da», daher müsse argumentiert werden, «reine Behauptungen führen selten zum Erfolg». Denn «auch unser Ressort ist in einem größeren Rahmen und muss erklären, wovon die Gesellschaft profitiert, wenn der Bedarf gestillt werden soll».
Ideen wie die Berliner City Tax etwa, die am Symposium besprochen worden ist, hätten sie bereits angedacht. Viele Aspekte, etwa arbeitsrechtliche, weisen weit über das Ressort hinaus. Deshalb müssen diese Argumente auch für Entscheidungsträger_innen anderer Ressorts zugänglich sein.

Generationendiskurs und Reformstau. Ulrike Kuner hatte die Initiative des Kulturstadtratbüros im Sommer 2018 aufgegriffen, die verschiedenen IGs zum Dialog bei Symposien zusammenzuführen: Zu den zwei derzeit wichtigsten Themen der freien Szene, nämlich faire Bezahlung und Raum/Infrastruktur, wie das Thema des geplanten Folgesymposiums im Herbst lautet. Diese Themen sollten vor einem internationalen Rahmen betrachtet werden, der Erfahrungen in anderen Städten und Ländern einbezieht. Die gemeinsame Arbeit zwischen den Interessensgemeinschaften, erzählt die Geschäftsführerin der IG Freie Theater, habe man allerdings schon rund ein Jahr lang intensiviert, noch bevor Veronica Kaup-Hasler zur neuen Kulturstadträtin bestellt worden sei. Spannendes Ergebnis dieses ersten gemeinsamen großen Symposiums ist für Kuner, «dass dieses Thema bisher nur innerhalb einer Generation besprochen wurde und nicht wie jetzt, im regen Austausch zwischen der jüngeren und älteren.» Man merke einfach, konstatiert sie, dass 18 Jahre lang für die freie Szene gar nichts getan worden sei: «Da gibt es einen unglaublichen Reformstau, es sind ja nicht mal Reförmchen passiert, wie kleine Nachbesserungen hie und da.» Gründe dafür seien vielleicht, dass kein Diskurs durchgeführt worden sei, sondern nur eine Konfrontation, die ergebnislos verpufft sei. «Es ist sehr schön zu sehen, dass es jetzt sehr viel Interesse von politischer Seite gibt festzustellen, was die aktuellen Problemfelder sind. Von uns werden daher politische Argumentationen und Professionalisierung abgefordert.»
Die großen Herausforderungen im europäischen Kontext: soziale Absicherung, Altersarmut, Armutsgefährdung. Über viele Jahrzehnte habe sich ein System eingeschlichen, das mit Werkverträgen und Nebenbeschäftigungen gearbeitet habe, im «legistischen Graubereich». Verschärft sei das in den letzten eineinhalb Jahren dadurch geworden, dass massiv von der Sozialversicherungsanstalt auf Anstellungen geprüft würde, was nun nachhaltige Reformen unumgänglich mache. «Gleichzeitig denkt auch die jüngere Generation nun darüber nach, ob sie sich Familie leisten können wird, sie ist sensibilisiert auf die Arbeitsbedingungen und deren familiäre Vereinbarkeit», sagt Kuner. Tänzer_innen und Performer_innen haben sich zur Wiener Perspektive zusammengeschlossen, einer offenen Plattform für die freie Szene. Dort werden auch Gagen- und Honorarsituationen diskutiert.

Suche nach Alternativmodellen. Nun erreiche die erste Generation das Rentenalter, und wie sich gezeigt habe, stoppe die Förderkurve über das Leben eines Kunstschaffenden ungefähr beim Alter von 50 Jahren, und sinke danach rapide auf null. Dabei sei eine Förderzusagen-Erfolgsquote von 20 Prozent, wie sie in Wien herrsche, international schon im höheren Feld. Aber – so Kuner – eine Juryentscheidung sei keine Sozial-, sondern eine Kunst-Entscheidung, Kultur- keine Sozialpolitik. Das könne zulasten Einzelner gehen. «Deshalb müssten Instrumente erfunden werden, wie man anderes arbeiten könne, etwa auch durch Arbeitsstipendien, durch Research, viele gehen in die Lehre oder setzen ihr Wissen in anderen Bereichen ein», sagt Kuner. «Da krankt es leider am Aufzeigen von Alternativmodellen, da ist man in anderen Ländern schon weiter.» Die Franzosen hätten etwa für Tänzer_innen ein Beratungssystem entworfen, was diese sonst noch machen könnten, am Ende ihrer tänzerischen Leistungsfähigkeit. Man könne sich da u. a. Anleihen vom Hochleistungssport nehmen, wo mit finanzierten Alternativausbildungen gearbeitet würde, wie auch beim OMV-Fonds für Ballett-Tänzer_innen der Staatsoper. In Deutschland etwa gäbe es ein Transitprogramm für Umschulungen.
Eine zentrale Forderung der IG freie Theater sei freilich auch, sagt Kuner, dass die Theaterreform, aus der Koproduktionshäuser entstanden seien, evaluiert würde. Ebenso Transparenz, wie die öffentlichen Gelder verwendet würden, wie viel in die Kunst, wie viel in Infrastruktur fließe und welchen Nutzen die Häuser tatsächlich für die Szene haben.

Internationalität. Vasilena Gankovska ist Künstlerin und Vorstandsmitglied der IG Bildende Kunst. Sie erscheint am Symposium im T-Shirt mit neonrosa Aufdruck: «Pay the artist now!» Als Künstlerin und Migrantin – sie stammt aus Bulgarien – fragt sie, wie Wien zum Thema Internationalität stehe. Sie erzählt, dass in Wien viel über «informelle» Wege laufe, wo Migrant_innen ausgeschlossen seien und dass internationale Künstler_innen nicht immer physisch im Lande präsent sein könnten. Sie vermisse auch Austausch mittels Residenzen, und sie fragt, wie ernst Kunstschaffende genommen würden, die nicht einmal von großen Institutionen Ausstellungshonorare bekämen. Es solle selbstverständlich sein, diese für ihre Arbeit zu bezahlen, denn auch in anderen Professionen würden Standards hergestellt. Gankovska beklagt, dass die Fördersituation außerhalb von Institutionen sehr kurzgehalten sei. Dass nun die Stadt-Kultur-Repräsentant_innen begriffen hätten, «dass es so nicht weiterlaufen könne», sei zwar beruhigend und hätte die Gesprächskultur maßgeblich verbessert, aber es sei nötig, auch weitere Ebenen zu erreichen. Ein wichtiger Schritt sei auch gewesen, die Vernetzung der Kunstsparten voranzutreiben und sich zu solidarisieren. «Es ist wichtig, gemeinsam über Themen wie unbezahlte Arbeit in der Kunst zu reden. Seit ich in Wien bin, seit 2001, erlebe ich das zum ersten Mal», sagt sie, «jetzt sogar im Dialog mit der Stadt, wo die Repräsentanten ein Gesicht bekommen haben und wir gehört werden.» Etwas, das wesentlich ist, um festgefahrene Strukturen entwirren zu können, nicht über deren Köpfe, sondern gemeinsam mit den Betroffenen.

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