Freie RadikaleArtistin

Musikarbeiter unterwegs … mit Fragen an Laut Fragen

Maren Rahmann und Didi Disko sind das Duo Laut Fragen. «Utopie + Untergang» ist ihr erster Tonträger. Von Rainer Krispel (Text) und Mario Lang (Foto).

«Von Floridsdorf bis Buxtehude/wer aufsteht, soll sich widersetzen/Phantasie ist subversiv/Wie Nadelstiche einzusetzen» sind die ersten Sätze, die Maren Rahmann im eröffnenden Lied – «Freie Radikale» – der CD singt. Das tut sie zu Musik, die heute so klingt wie jene in den 1980ern, die nach dem Befreiungsschlag von Punk alles durfte, außer langweilig und berechenbar zu sein. Es passt, dass Didi Disko seit 2002 mit einer derzeit an den Rand gerückten Formation namens Collapsing New People elektronisch und multiinstrumental (wie bei Laut Fragen) Musik macht, nach einem Song des großen Fad Gadget/Frank Tovey benannt, dieser nicht nur im Titel ein Tribute an die Band Einstürzende Neubauten.

Unsere kleinen Rädchen.

Schön ist, dass Disko/Rahmann solchen Background und künstlerischen Nährboden zu etwas entwickelt haben, was so nur Laut Fragen machen und das weit zugänglicher, samt vitaler Rauheit, daherkommt, als diese referentiellen Beschreibungsversuche jetzt womöglich vermuten lassen. Entwickelt? «Utopie + Untergang» umfasst drei zuvor im Netz veröffentlichte EPs, deren 12 Lieder von «jung» (Mai 2017) nach «alt» (Oktober 2016) geordnet sind – was die kreative Dynamik des Projekts nachhörbar macht. Da ist eine gehörige Portion Pop mit drin, etwa im Sinne von Rio Reiser, der läuft, als die Musikarbeiter Laut Fragen an ihrem Kreativ-Arbeitsplatz besuchen. Unter anderem ein Crass-Plattencover an der Wand, ein eindrucksvolles Effektgeräte-Board für die Gitarre, schöne, «vintage» Keyboards/Synthies, ein Rechner für die Textarbeit, Megaphone, Spielzeug-Instrumente … Laut Fragen machen eben nicht zuletzt (sich) einen gescheiten, speziellen, umfassenden, lauten Spaß. Sie selbst schreiben von einem «anarcho-surrealistischen Musik- und Performanceprojekt». Das greift in seiner Form gekonnt und originär auf, was der schon genannten 80er-Postpunk-Musik Prinzip war. Experimentelle und fordernde Sounds transportierten ebensolche Inhalte, sezierten im künstlerischen Wirkungsverband Text und Musik «das Persönliche» und «das Politische» sowie dessen vermeintliche Trennung. Das schaffen Laut Fragen im Stück «Haben wir gewusst» ganz unmittelbar. Wir hören die nur zu vertraute Stimme einer Bekannten, einer Freundin gar, die wir in ihrem Alltagsjammer sehr gut verstehen: «Zuerst die Trennung, dann Bronchitis, die Mama dement, und dann na ja … finanzielle Engpässe, und ich dachte, ich brauch jetzt endlich mal wieder Zeit nur für mich, na ja, natürlich auch für uns, uns zwei, man gönnt sich ja sonst nichts, und die Weekend-Lodge in Ungarn, total renovierungsbedürftig, also wirklich, die Katze – Tierarzt, arg, echt arg!» Die unbequemen Kontrapunkte: «Haben wir gewusst/Waren wir bewusst/Haben wir gehandelt/Haben wir getan /Nein!»

Mühsam am Anfang.

Die exakte Chronologie der Laut-Fragen-Gründung liegt im Halbdunkel, mensch einigt sich auf 2014 und ein Gespräch beim Falafel-Essen. Erste Früchte der Zusammenarbeit sind auf einer Begleit-CD zur Erich-Mühsam-Revue «Doch ob sie mich erschlügen: sich fügen heißt lügen» von Maren Rahmann und Dieter Braeg konzipiert und textlich editiert, zu hören, erhältlich bei diebuchmacherei.de. Maren, die Texte des 1934 im KZ ermordeten Anarchisten Mühsam und anderer «politischer» Dichter_innen vertont und mit Stimme und Akkordeon performt hatte, suchte eine neue musikalische Form für diese Arbeit. «Etwas mit mehr Druck». Didi und Maren taten, was am Anfang jeder Musik steht, sie suchten und probierten. Dabei kamen sie anfangs mit den Lieder(fragmente)n Marens zu Texten alter Widerstandskämpfer_innen nicht recht weiter. «Langsam hat es sich dann eingeschlichen, dass wir eigene Texte schreiben.» Findet sich auf «Utopie + Untergang» ein Lied mit einem Text von Fritz Brügel (1897 in Wien geborener Schrifsteller, in den 1940ern nach Großbritannien geflüchtet), «Das Netz der stummen Zellen», wollen Laut Fragen ihre Vertonungen von Widerstandslyrik wieder mehr aufgreifen. Es ist ihnen ein Anliegen, solche Poesie in einem neuen Kontext weiterzutragen. Neben der Musik schreibt Didi gerade an seiner Masterarbeit, unter dem Titel «Entfremdung, Widerstand, Utopie» über selbstverwaltete Initiativen in Griechenland, aus der Krise entstanden und mit utopischen Potenzialen. Was an Zeit neben Privatem und Lohnarbeit (Didi im Sozialbereich, Maren Rote Nasen Clowndoctors) übrig ist, stecken Laut Fragen in ihre Musik. Sie basteln konkret an zwei neuen/alten Liedern und dem Liveprogramm, um dieses noch stimmiger zu machen. Schon jetzt sind Laut Fragen eine erfrischende, sinnliche Antithese zu den eskapistischen Wohlfühlblase-Tendenzen des neuen Austropop. «Nieder die Schwerkraft/es lebe die Lust», «Freie Radikale».

 

Laut Fragen: «Utopie + Untergang» (Eigenverlag)

Live:

Sa, 2. September, 18.30 Uhr, Volksstimmefest, GLB Bühne

Sa, 23. September, Rhiz, 21 Uhr (Album-Präsentation)

lautfragen.bandcamp.com