Das zweifelhafte Franchisemodell von Ankerbrot
Franchiseprogramme sollen Menschen den Weg in die unternehmerische Selbstständigkeit ermöglichen. In der Realität aber zeigt sich, dass ihnen eher nur eine unternehmerische Gestaltungsmöglichkeit bleibt: die immer höhere Selbstausbeutung der eigenen Arbeitskraft.
Text: Frank Jödicke, Illustration: Karl Berger
Dilek G. war das Aushängeschild des Franchiseprogramms von Ankerbrot. Ihr Gesicht lächelte in Zeitungsannoncen, auf Messen stellte sie das Programm des Unternehmens vor. Aber unter der glänzenden Oberfläche des angeblichen gemeinsamen Erfolges zeigte sich ein völlig anderes Bild. Frau G. überlegte, wie sie während der Werbepräsentationen den neuen Franchisebewerber_innen heimlich ein Zeichen geben könnte: Macht es bloß nicht!
Mehr als einmal hat sie sich gefragt, wie alles so weit hat kommen können. Heute hat sie sich mit anderen Betroffenen zusammengeschlossen, um gemeinsam zu versuchen, dem mächtigen Konzern zu widerstehen. Allerdings stehen die ehemaligen Franchisenehmer_innen mit dem Rücken zur Wand. Ein Berg kaum rückzahlbarer Schulden, zu dem nun auch die gerichtlichen Klagen des Konzerns hinzukommen. All dies droht ihre gesellschaftliche Existenz zu zerstören. Dabei zeigt sich, wie hinterlistig eine tief in die Menschen eingesunkene kapitalistische Wirtschaftsordnung wirkt, denn alle Betroffenen suchen die «Schuld» immer wieder bei sich selbst. Hatten sie nicht mit Feuereifer gearbeitet und mit echter Euphorie und Begeisterung sich für ein Unternehmen eingesetzt, dessen Produkte sie bis heute loben? Sie hatten es. Ihre Geschichten gleichen einander und vermitteln den niederschmetternden Eindruck, dass sie schlichtweg nie eine Chance gehabt haben. Schritt für Schritt sind sie in eine Lage hineingedrängt worden, die ihren wirtschaftlichen Ruin bedeutete.
Franchisenehmer_in werden.
Zunächst einmal muss für den eigenen Arbeitsplatz bezahlt werden. Gleich zu Beginn verlangt Ankerbrot Sicherstellungen und Kautionen im Umfang von mehreren tausend, teilweise zehntausend Euro. Keine der Betroffenen, mit denen wir gesprochen haben, sah das Geld wieder. Weil die meisten nicht über solche Summen frei verfügen, begann ihr Dasein als Franchiser_in mit einer ersten Verschuldung. Diese Darlehen, die der Konzern gewährte, wird er immer wieder als Druckmittel ausspielen. Ist das Geld eingelangt, beginnt die Einschulungsphase. Da viele der Franchisenehmer_innen bereits bei Anker, teils als Filialleiter_innen, gearbeitet haben, gibt es wenig zu lernen – und keine Bezahlung. Mehrere Wochen arbeiten sie unentgeltlich für die Firma und müssen währenddessen die Kosten für ihre Mitarbeiter_innen tragen.
Die im Franchisevertrag vorgelegten Berechnungsmodelle sehen für den Franchisegeber eine höchst komfortable Lage vor. Die Franchisenehmer_innen haben eine Bezugspflicht, sie müssen die Waren bei Anker kaufen, somit gelangt das Unternehmen an 70 % des Umsatzes der Franchisefiliale ohne eigenes Risiko. Viele Auflagen sind zu erfüllen. Kurz vor Ladenschluss muss immer noch eine definierte Menge verschiedener Brotsorten in den Regalen vorhanden sein, somit sind die Franchisenehmer_innen gezwungen, unmittelbar vor Schluss zu backen und die unverkauften Waren dann wegzuwerfen. Eine gewisse realitätsferne Fehlkalkulation in den Modellen Ankers scheint offenkundig. Es gibt keinerlei Spielraum für Phasen niedrigeren Umsatzes. Ob dies Absicht war, um schlechtgehende Filialen als Franchise risikolos weiterbetreiben zu können oder wirtschaftliches Ungeschick des Konzerns, ist für die Betroffenen unerheblich. In dem Modell ist erfolgreiches Wirtschaften für sie ausgeschlossen. Heute sind bei Anker etwa 30 % der Filialen Franchise, ihr Umsatz beträgt 10 Millionen Euro.
Dilek G. weiß, dass es nicht einfach wird, aber sie will es schaffen. In der Nacht schläft sie auf einem Klappbett in der Filiale. Der Weg nach Hause lohnt nicht mehr. Erst um 20.30 Uhr ist sie mit dem Aufräumen fertig, um 2 Uhr morgens muss sie bereits wieder mit dem Backen beginnen. Das Geld, um die hohen Nachtzuschläge für ihre Mitarbeiterinnen zu bezahlen, hat sie nicht. Es bleibt ihr nichts übrig, als diese Arbeit selbst zu machen. Zwei Jahre lang arbeitet sie ununterbrochen sieben Tage die Woche, 16 Stunden am Tag. Die Zahlen zumindest sind gut. Waren die Vorgaben 231 Stück Mehlspeisen zu verkaufen, dann gelingen ihr 693 Stück. Sie wird zur Vorzeige-Franchisenehmerin. Es werden Videos mit ihr gedreht, und sie soll auf Konferenzen über ihre Erfolge reden.
Dennoch hatte sie zu keinem Zeitpunkt eine Chance in diesem System. Zwar kann sie den Umsatz steigern, nur bleiben die Margen immer gleich. Egal wie viel sie mehr verkauft, sie muss zugleich auch proportional mehr Waren von Ankerbrot abkaufen. Die Papiersackerln beispielsweise sind im Einkauf teurer als im Verkauf. Langsam dämmert ihr, dass Fleiß, der längst schon mörderische Selbstausbeutung ist, nichts an ihrer Lage zu ändern vermag. Nur ist es jetzt in gewisser Weise schon zu spät. Von Monat zu Monat wird es knapper. Die Schulden türmen sich bedrohlich auf, Dilek G. kommt mit den Zahlungen in Verzug. Unbedingt möchte sie mit den verantwortlichen Manager_innen sprechen, aber die halten sie hin.
Fleißsternchen.
Ankerbrot «bietet» seinen Franchisenehmer_innen ein engmaschiges Monitoring. Regelmäßig erscheinen Kontrolleur_innen und begutachten die sogenannte «Schlichtung» in den Regalen. Frau G. hat alle Waren genauso eingeräumt wie vorgeschrieben. In diesen Momenten spürt sie, wie weit dies alles entfernt ist von einem freien Unternehmer_innentum. Auch ihre Mitarbeiterinnen wundern sich, wie aufgeregt Frau G. ist, jedes Mal wenn jemand von Anker ihre Filiale besucht. Die Ankermanager_innen lassen sie Buch führen über ihre Kontrollbesuche. Hat sie alles richtig gemacht, malt man ihr ein Sternchen ins Buch. Die darin offenkundige Herablassung scheint kein Zufall zu sein. Hier soll deutlich werden, dass nicht gleichrangige Geschäftspartner_innen einander gegenüberstehen, sondern Befehlsgeber_in und -empfängerin.
Frau G. erduldet dies stumm, sie wünscht aber auch gehört zu werden. Alles was ihr im Geschäft auffällt, teilt sie eifrig mit. Sie macht Verbesserungsvorschläge. Wer sollte besser wissen, was die Kund_innen wünschen als jene, die jeden Tag mit ihnen reden? Kaugummis etwa – nein, die werden nicht ins Programm genommen. Das Sonderangebot, ein Euro für ein Kipferl, war gut angekommen, sie würde es gerne weiterführen – unmöglich. Nun unterscheidet sich ein Franchisevertrag von einem Pachtvertrag rechtlich darin, dass der_die Franchisegeber_in den Franchisenehmer_innen Know-how zur Verfügung stellt, das diese nutzen können. Know-how ist ein wettbewerbsrechtlich genau definierter Begriff, er meint Informationen, die geheim und von kommerziellem Wert sind. Liegen objektive Geheimhaltungsmaßnahmen vor, dann dürfen fürs Know-how Lizenzen kassiert werden. Auch mit viel Fantasie lässt sich nicht ergründen, welches Geheimwissen Anker seinen Franchisenehmer_innen zu Verfügung stellt. Die Backtemperatur für die tiefgekühlten Semmeln? Hingegen sind es diejenigen, die die Arbeit in den Filialen machen, die ein kommerziell verwertbares Wissen, nämlich die Wünsche der Kund_innen, ganz freiwillig und ohne Lizenzgebühr an den Konzern geben würden. Den scheint dies aber nicht zu interessieren. Ein kaum erklärliches Detail von vielen.
Ausbluten.
Dilek G. bleibt nichts anderes übrig, als immer härter zu arbeiten. Eines Tages liegt sie am Boden ihrer Filiale. Sie kann sich nicht mehr bewegen. Ihre Mitarbeiterinnen bringen sie ins Krankenhaus. Ein lebensbedrohliches Aneurysma wird in ihrem Gehirn festgestellt, sie muss unbedingt operiert werden. Kaum erwacht unterschreibt Dilek G. einen Revers und geht zurück an die Arbeit. Die OP soll warten. Es will ihr aber einfach nicht gelingen, zuständige Mitarbeiter_innen von Ankerbrot zu einem Gespräch über die Saldenlisten zu bewegen. Sie erkennt die Gefahr einer immer größeren Verschuldung, wird aber abgewimmelt. Die Ärzt_innen drängen auf die Operation, und sie muss die Arbeit ruhen lassen.
Danach geht es eine Zeit lang gut. Ankerbrot scheint die wirtschaftliche Schieflage der Filiale zu ignorieren. Dann kommt es zum Eklat. Plötzlich steht eine Delegation von Anker im Laden und fordern Dilek G. auf, die Filiale zu verlassen. Eine außerordentliche Kündigung und der Vorwurf, sie habe betrügerisch abgerechnet. Die Vorfälle sollen sich just in jener Zeit ereignet haben, in der Dilek G. wegen ihrer OP abwesend war. Überhaupt versteht den erhobenen Vorwurf nicht einmal die Polizei bei der Einvernahme. Später wird sich vor Gericht zeigen, es war eine bloße Schutzbehauptung von Ankerbrot, um die Kündigung durchführen zu können.
Im Wissen darum, nichts Unrechtes getan zu haben und all ihre Lebenskraft diesem Unternehmen gegeben zu haben, wird Dilek G. stark. Sie ruft einen Anwalt zu Hilfe und wirft die Anker-Delegation aus dem Geschäft. Erst jetzt erscheint plötzlich der Vertriebsleiter und will mit ihr reden. Im Gepäck hat er nur Drohungen: «Sie sind so klein, und wir sind so groß. Sie werden ausbluten.» Aber da hatte sich Dilek G. schon entschieden. Sie würde sich keine Angst mehr machen lassen. Im Gespräch mit anderen Franchisenehmer_innen erkennt sie: Ihr Fall ist kein Einzelfall – die Schuldenspirale, die unmöglich zu erzielenden Gewinne, die Abwiegelungen, die plötzlichen Kündigungen, sogar der Vorwurf des falschen Bon-Abbruchs. Gemeinsam versuchen sie heute, die Nichtigkeit der Franchiseverträge zu erwirken. Ein zeitweiliges Angebot des Vergleichs zog Ankerbrot zurück.
Loyalität.
Viele der Vorgänge klingen beinahe unglaublich. Der Augustin wandte sich an die anwaltliche Vertretung der Betroffenen, die uns half, die rechtlichen Hintergründe besser zu verstehen. Allerdings ist man dort vorsichtig. Es sei ein laufendes Verfahren, es gehe darum, für die von Ankerbrot Beklagten den bestmöglichen Ausgang zu erreichen. Anwält_innen müssen ein professionell distanziertes Verhältnis zur Gerechtigkeit haben, sie wissen, dass ethische Fragen nur bedingt juridische sind, und keinesfalls solle der Eindruck entstehen, man versuche in der Öffentlichkeit Stimmung zu machen. Ankerbrot selbst wollte auf Anfrage des Augustin keine Stellung beziehen, sondern drohte mit Unterlassungs- und Verleumdungsklage. Dies verwundert insofern, als die ehemaligen Franchisenehmer_innen dem Unternehmen gegenüber loyal auftreten, sie loben teilweise ihre ehemaligen Vorgesetzten und sind noch immer stolz, für diese Firma gearbeitet zu haben. Nichts wünschen sie sich sehnlicher als eine einvernehmliche Einigung. Wir dürfen annehmen, man sieht vieles bei Anker ganz anders, nur wie, das sagt man uns nicht. Wir werden die Leser_innen auf dem Laufenden halten.