Das Sachwalterschaftsrecht als Disziplinierungs-Instrument
Ende des vergangenen Jahres jährte sich die Einführung der Sachwalterschaft in Österreich zum dreißigsten Mal. Die Sachwalterschaft löste die Entmündigung ab. Was bedeutet das konkret? «Über die Entmündigung wurde ohne Hinzuziehung der Betroffenen von Gerichten entschieden», so Martin Marlovits vom Sachwalterverein Vertretungsnetz. «Die Betroffenen haben oft erst durch einen öffentlichen Aushang von ihrer eigenen Entmündigung erfahren.» Heute müssen sie vor einem Bezirksgericht angehört werden. Am realen Status der Entmündigung ändert das wenig.
Foto: Mehmet Emir
Beim Bezirksgericht wird, oft aufgrund eines medizinischen Gutachtens, über die Besachwaltung entschieden. Einen öffentlichen Aushang gibt es nicht mehr, aber zum Beispiel die Banken der Betroffenen werden über eine Besachwaltung informiert. Insgesamt ist Besachwaltung immer noch eine Entmündigung. Das kritisieren die Vereinten Nationen, deren UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen die Republik Österreich unterschrieben hat. 2013 äußerste sich das UN-Komitee für die Rechte von Menschen mit Behinderungen besorgt. Österreichs Sachwalterschaftsrecht sei veraltet, mit 55.000 Betroffenen seien viel zu viele Menschen betroffen, und das Konzept der Sachwalterschaft an sich stehe dem Artikel 12 der oben genannten Konvention entgegen, wonach Menschen mit Behinderungen vor dem Gesetz in allen Belangen gleichberechtigt zu sein haben.
Von Gleichberechtigung kann bei der österreichischen Sachwalterschaftspraxis keine Rede sein. Eher erscheint das Bild eines autoritären Staates, der nach Belieben Menschen unter dem Vorwand der Fürsorge entmündigt. Doch von Fürsorge ist oft keine Spur.
Das fängt damit an, dass mit dem Sachwalterschaftsrecht soziale und gesellschaftliche Probleme psychologisiert und auf einzelne Menschen abgewälzt werden. Nehmen wir an, jemand verschuldet sich bei seiner Bank. Das kann alle möglichen Gründe haben: Negative finanzielle Folgen einer Scheidung, plötzliche Arbeitslosigkeit oder eine Lebenskrise. Sobald die Bank die Zahlungsunfähigkeit ihres Kunden oder ihrer Kundin bemerkt, kann sie das Sachwalterschaftsgericht anrufen und eine Sachwalterschaft für die entsprechende Person beantragen. Denn jede_r kann Sachwalterschaft für andere Personen bei einem Bezirksgericht anregen.
(zwiti) Die Entmündigung geht oft von den Banken aus
Laut einer Studie des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) aus dem Jahr 2013 geht über die Hälfte aller Anregungen für eine Sachwalterschaft von Institutionen, dazu gehören auch Banken, aus. In dem Bericht ist zu lesen: «Dieser Befund ist nicht zuletzt in Anbetracht der weiterhin steigenden Anregungen und Bestellungen von Sachwalterschaften interessant. Ein immer größerer Teil der Nachfrage nach Sachwalterschaften geht auf das Konto institutioneller Anreger, die im Übrigen nach wie vor oft Initiatoren der Anregungen Angehöriger sind.»
Und weiter: «In den Experteninterviews wurde demgegenüber allerdings auch vielfach darauf hingewiesen, dass der Druck von Institutionen wie Banken oder Krankenhäusern immer öfter zu Anregungen und auch Sachwalterbestellungen führt.» Das bedeutet, dass jeder in Österreich lebende Mensch, der gerade mit einer Krisensituation fertig werden muss, mit einer Entmündigung bedroht werden kann. Ein entsprechendes medizinisches Gutachten reicht völlig aus.
Darüber ist auch Martin Malovits vom Vertretungsnetz besorgt. Medizinische Gutachten haben für ihn einen zu hohen Stellenwert vor Gericht: «In 95 Prozent aller Fälle wird solchen Gutachten geglaubt. Dabei sind sie oft sehr überschießend. Es ist nicht die Rolle von Medizinern, die soziale Situation von Menschen zu beurteilen. Es werden immer mehr Menschen besachwaltet. Darunter vor allem alte Menschen und jene, die sich mit der immer komplizierter werdenden Bürokratie nicht auskennen.»
Der Augustin begleitete in den vergangenen Monaten das Schicksal der Monika R. aus Ottakring. Sie verlor Anfang Dezember 2014 ihre Wohnung, weil eine Reihe wechselnder Sachwalter_innen nicht willens und in der Lage waren, ihre Interessen gegenüber ihrem Vermieter wahrzunehmen. Es ging um einen Wasserschaden, der ihr angelastet wurde. Für den Beweis des Gegenteils hätte es ein unabhängiges Gutachten gebraucht. Da sie besachwaltet ist, kann sie ein solches Gutachten nicht in Auftrag geben. Das hätte ein_e Sachwalter_in machen müssen.
Das wurde aber nicht gemacht. Hilfe erhielt sie stattdessen von Aktivist_innen des Netzwerkes Recht auf Stadt, die versuchten den Rauswurf aus ihrer Wohnung zu verhindern. Dieser wurde mit einem Aufgebot von 60 Polizist_innen durchgesetzt.
60 Prozent aller Sachwalterschaften werden von Familienangehörigen betreut. 13 Prozent erledigen die Sachwaltervereine. Den Rest, wie im Fall von Monika R., machen Anwält_innen. Jede Anwältin ist verpflichtet, bis zu 5 Sachwalterschaften zu übernehmen. Für die meisten Kanzleien ist das eine unangenehme Pflichtübung, die vom Prestige her noch niedriger als die Pflichtverteidigung angesiedelt ist.
(zwiti) Wer profitiert von diesem Gesetz?
Doch es gibt auch Profiteure. Martin Marlovits berichtet von «drei bis vier Wiener Großkanzleien, die sich auf Sachwalterschaften spezialisiert haben. Diese betreuen zirka 500 bis 800 Betroffene.» Dabei darf jeder Anwalt nur höchstens 25 Sachwalterschaften übernehmen. Doch es gibt Schlupflöcher: «Wenn Kanzleien eine spezielle Infrastruktur wie zum Beispiel Sozialarbeiter und eine Aufspaltung der Verantwortungen nachweisen können, dürfen sie mehr als 25 Fälle übernehmen», so Marlovits.
Das Sachwalterschaftsrecht sieht eine Verpflichtung zum persönlichen Kontakt vor. Gerade bei von Anwält_innen übernommenen Sachwalterschaften ist das oft nicht gegeben. Die meisten Klient_innen werden selten oder nie von ihren anwaltlichen Sachwalter_innen besucht.
Doch das Sachwalterschaftssystem braucht die Anwält_innen. Denn der Staat stellt nicht die Mittel zur Verfügung, die für einen Ausbau der Sozialhilfe für besachwaltete Menschen notwendig wären. Die Sachwalterschaftsvereine werden zwar zu 90 Prozent vom Justizministerium gefördert. Doch aufgestockt werden deren Mittel nicht. Die Erwachsenensozialarbeit, in deren Aufgabenbereich der Aufbau von Alternativen zur Sachwalterschaft fallen könnte, wird nicht mehr gefördert. Die Bundesländer ziehen sich immer mehr aus diesem Feld zurück.
Somit wird Sachwalterschaft zu einem Disziplinierungsinstrument, das in erster Linie die Ruhigstellung der Betroffenen bewirken soll. Während Marlovits der Meinung ist, »dass ein Sachwalter eigentlich auf die Abschaffung der Gründe für die Besachwaltung» hinarbeiten sollte, passiert in der Wirklichkeit oft das Gegenteil. Gerichte legen in über der Hälfte aller Fälle eine Sachwalterschaft nicht für bestimmte Aufgabenbereiche fest, sondern bestellen den Sachwalter gleich «für alle Angelegenheiten».
Um diese Praxis zu verändern, wird seit einiger Zeit in Österreich mit dem so genannten Clearing experimentiert. Dieses findet an 17 Gerichtsstandorten in Österreich statt und soll heuer zu Resultaten kommen. Über das Clearing können Gerichte feststellen lassen, ob es Alternativen zu einer Besachwaltung gibt. Bei einem Drittel der zu einem Clearingverfahren geschickten Personen wird festgestellt, dass keine Besachwaltung nötig ist. Die Gerichte folgen dem zu 85 Prozent.
Nach wie vor gibt es nur wenige Chancen, aus einer bestehenden Sachwalterschaft wieder herauszukommen. Einmal beschlossen, wird eine Sachwalterschaft kaum wieder aufgehoben.
Behindertenverbände fordern derweil die Abschaffung der Sachwalterschaft. Das Justizministerium plant für 2016 eine Reform. Im Justizministerium tagt dazu eine barrierefreie Arbeitsgruppe, die nach partizipativen Formen «unterstützter Entscheidungsfindung» sucht. Damit ist gemeint, dass Menschen nicht fremdbestimmt besachwaltet werden sollen, sondern mit ausgebildeten Fachkräften an ihrer Seite in ihrer Entscheidungsfindung unterstützt werden sollen.
So etwas konsequent umzusetzen kostet Geld. Zukünftige Regierungen werden sich daran messen lassen müssen, ob sie bereit sind, es auszugeben.