He, was läuft denn da, wenn jetzt schon Ärzte meine jahrzehntelange Nikotinabhängigkeit als harmlose Nebensächlichkeit abtun, mir sozusagen einen Freibrief ausstellen, munter weiterzupofeln, bis mir irgendein Krebs den Lebensfaden abzwickt? Da raten mir wohlmeinende FreundInnen, doch das schleichend gefährliche Laster aufzugeben, und dann kommt dieser eigentlich recht beeindruckende Professor vom Nikotininstitut daher, lässt mich in so einen Apparat hineinblasen und diagnostiziert dann, das reiche nicht fürs Rauchersanatorium Josefshof in Graz!
Immerhin empfahl mir der coole Facharzt beim heutigen jour fixe, ich möge mal ins Ambulatorium gehen und dann zu den monatlichen Treffen in seiner Einrichtung kommen. Will ich machen, wenn sich der Termin nicht mit meiner Alkoholtherapie überschneidet, die hat bei mir absolute Priorität und ich bilde mir ein, meine langjährige Abstinenz hätte mich vor den schlimmsten Folgen des Rauchens bewahrt, weil nur eine Abhängigkeit mein Immunsystem schwächt. Dennoch sitzt mir die Angst im Nacken; kann ich doch die Gefahren der so harmlos auftretenden Sucht nimmer verdrängen und träume von der großen, körperlichen Freiheit.
Ich stelle mir auch vor, sollte die positive Unmöglichkeit eintreten, würde ich noch Respektables leisten auf meine alten Tage und mir befriedigendere, gesündere Gewohnheiten aneignen als den kurzen, giftigen Genuss des Tabakqualmens. Doch bin ich desillusioniert genug, zu wissen, dass wir Menschen Radikalität und ihre Folgen scheuen, sie überfordern uns, und wenn wir sie schon wagen, bezahlen wir zwei Fortschritte mit einem Rückschlag. Ich kann Sumpern und Absterben fortführen, mehr ist nicht drin.
Dazu gehört auch der Aufenthalt im Freien, wofür ich mir ziemlich konsequent mindestens eine Tagesstunde Zeit nehme, das nützt dem Körper, das stützt den meine Gefühle dirigierenden Geist. So bin ich heute flott zum ersten Nachmittagstermin marschiert, was mir durch den schönsten von drei Sonnentagen in Folge sehr erleichtert wurde. Es war windstill und ein strahlend blauer Himmel grinste dem Infanteristen entgegen, als er zum Nikotininstitut eilte, wo ihm Obiges widerfuhr. Dann ging es weiter zur wöchentlichen Chorprobe, aus Zeitmangel mit den Öffis. Ich begann in der streckenweise arg durchgerüttelten Schnellbahn mein Tagebuch, musste aber dann bis zur Heimfahrt unterbrechen. So was frustriert mich ja grundsätzlich und da frage ich, was tun eigentliche Genies, wenn sie aus der Versenkung in ihre schöpferische Arbeit herausgerissen werden? Scheiße, ich bin keines und muss meinen Ärger über die Rücksichtslosigkeit der Umwelt gegenüber meinen kreativen Bedürfnissen still ertragen lernen. Die Welt hat eben nur vor den anerkannt Großen einen Heidenrespekt, da kann man nix machen.
Weil kein Ärger gern alleine kommt, gab es auch beim heutigen Chortreffen noch gewaltigen Wirbel. Es dauert ja stets, bis die Herrschaften eingetrudelt sind, dann wird viel leeres Stroh gedroschen, um des Kaisers Bart gestritten, bis unser souveräner Kapellmeister zu Disziplin und Arbeit rufen kann.
So wurde ich beim Vorspiel dieser regelmäßigen Melodramen vom neuen Kollegen äußerst aggressiv angegangen, weil ich ihn angeblich wegen seines Alkoholismus verfolge. Er hatte sich in einer schwachen Stunde von mir zu einer Therapiesitzung in meinem Abstinenzverein überreden lassen und gibt mir jetzt indirekt die Schuld, dass sie ihm nicht geholfen hat. Erstaunlicherweise ertrug ich geduldig sein Bombardement, keineswegs ein Friedensapostel, stets in Laune, nur keinen Streit zu vermeiden. Ich verstehe den armen Süffel, denn auch während meines Kampfes gegen die Alkoholabhängigkeit war ich stets gereizt und habe oft überreagiert.
Am Ende dieser Hasstiraden mischte sich auch der übrige Chor in unsere Auseinandersetzung ein, weil sich der Zuwachs sowieso damit unbeliebt gemacht hat, dass er schamlos Starallüren herauskehrt und uns, die sich mühsam zu einem beachtenswert harmonischen Organismus zusammengerauft haben, zu seinen Statisten degradieren will. Es kam zu wüsten Wortgefechten, der Egozentriker war nicht bereit, von seinem hohen Ross herunterzusteigen und musste aus unserer Mitte entfernt werden. Also habe ich den Rausschmiss dieses Typen, der sich mit Peter Alexander verwechselt, ausgelöst, und mich plagen deshalb kleine Schuldgefühle. Doch ist mir sein Abgang auch Warnung davor, es nie zu bunt zu treiben in diesem tollen Projekt, trotz aller Kanten und Ecken, welche intelligenten Sensiblen halt eigen. Mir ist wieder bewusst geworden, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, in dieser erlauchten Runde mitsingen zu dürfen, also will ich mich bemühen, Konflikte mit der Chorkollegialität friedlich zu bereinigen. Ich brauche dieses solidarische, musikalische Miteinander doch dringend!
Fünfundzwanzigster Zweiter Nulldrei