Für die Gemein­schafttun & lassen

99 Prozent der Feuerwehrleute arbeiten ehrenamtlich, die 20-jährige Viki Hinterberger ist eine von ihnen (Foto: © Carolina Frank)

Rund 3,5 Millionen Menschen arbeiten freiwillig unbezahlt in Österreich. Was sie der Gesellschaft geben und von ihrem Engagement zurückbekommen, erzählen hier drei von ihnen.

Wenn die Sirene geht, dann rennst», sagt Fallenecker. «Da überlegst nix», ergänzt ihre Kollegin. Judith Fallenecker und Viki Hinterberger sitzen im Aufenthaltsraum der Freiwilligen Feuerwehr im niederösterreichischen Hochstrass. Keine eineinhalb Minuten waren es zuletzt, bis die 20-jährige Hinterberger beim Einsatzfahrzeug war. Zum Glück, denn mit ihren Kolleg:innen konnte sie eine Katastrophe abwenden. Wegen eines Stromausfalls überhitzte ein Ofen und stand kurz vor dem Brand. Glühend heißes Material musste aus dem Gefahrenbereich entfernt werden, bevor es Feuer fing. Da zählt jede Minute. Hinterberger löschte das ins Freie transportierte Gefahrengut ab. Auch Fallenecker war dabei, half die Wasserversorgung aufzubauen und dokumentierte dann die Löscharbeiten.
Die beiden Frauen aus Hochstrass sind zwei von Millionen von Menschen allein in Österreich, die ehrenamtliches Engagement für das Gemeinwohl leisten, gänzlich ohne Bezahlung. Im sozialen Bereich, im Sport oder in der Kultur, Freiwillige halten die Gesellschaft am Laufen. Wer aber sind diese Ehrenamtlichen? Was treibt sie an und was gibt ihnen ihr freiwilliges Engagement?

Wissen

Das Engagement bei der Feuerwehr, jedenfalls, bringt zuallererst mal eines, nämlich Wissen. Viki Hinterberger steht in der Feuerwehr-Garage neben dem imposanten TLF-A3000. Das «Tanklöschfahrzeug Allrad» ist das wichtigste Gefährt der Feuerwehr Hochstrass. 3000 steht für ein Tankvolumen von 3.000 Liter Löschwasser. Die «Anna», wie die Frauen das TLF-A3000 nennen, sei bei jedem technischen Einsatz dabei. Jedes Fahrzeug hat einen Namen und Anna ist nach ihrer Oma benannt, erklärt die junge Frau. Mit Schwung öffnet Hinterberger am Rumpf des Transporters drei Rollladen. Hinter denen verbergen sich unzählige Schläuche, Behälter, Werkzeuge und Adapter: ein Sammelstück 2-BA, ein Überflurhydrantenschlüssel und ein Verteiler C-CBC. Was mit all dem anzufangen ist, lernt Hinterberger gerade in ihrer Ausbildung «Technischer Einsatz».
Ihre Kollegin Judith Fallenecker hingegen «mischt mit», wie sie es nennt, beim Feuerwehr-Medizinischen Dienst. Werden Kolleg:innen oder Zivilist:innen verletzt, dann ist sie zuständig, «Aber meistens ist eh die Rettung schneller», lacht die ältere der beiden.

Ein offenes Ohr

Bei Kati P.s Freiwilligenarbeit ging es bisher nicht um Leben oder Tod. Aber langweilig ist es bei ihr auch nie. Die pensionierte Lehrerin und Physiotherapeutin sitzt auf einer Bank im Innenhof der Augustin-Zentrale. Jede Woche arbeitet sie hier einen Nachmittag mit, gibt Zeitungen an die Verkäufer:innen aus, sortiert Kleider- und Lebensmittelspenden und, wenn nötig, übersetzt sie auf Ungarisch. Dazwischen hat sie ein offenes Ohr für all jene, die eines suchen. Wenn sich Zeitungsverkäufer Geri mit viel Emotion beschwert, dass sein Lieblingssessel im Büro besetzt sei, er deswegen Rückenschmerzen leiden müsse, hört Kati P. geduldig zu. Wenn vor Büroschluss noch Lebensmittelspenden von der Wiener Tafel übrig sind, ist es Kati P., die das Essen an die letzten Verbliebenen verteilt. «Das wird ja sonst schlecht», sagt sie und streichelt Juli, ihre Hündin, die vehement Liebkosungen einfordert. Den Weg zum Augustin hat Kati P. über eine Bekannte gefunden.

Freiwillige gesucht

Wer nicht das Glück hat, wen beim Augustin zu kennen, der konnte bei der Freiwilligen-Messe im Wiener Rathaus fündig werden. An einem Oktober-Wochenende haben sich im prunkvollen Festsaal dutzende Initiativen, darunter auch der Augustin, versammelt. Pensionist:innen-Wohnhäuser, das Kinderhospiz, der Samariterbund, die Wiener Bezirksmuseen, Tierschutz-Organisationen und der Alpenverein, sie alle eint, von Ehrenamtlichen mitgetragen zu werden. Zwischen den Infotischen gustieren, sozusagen, hunderte Besucher:innen, viele in fortgeschrittenem Alter. Am Infotisch der Eurogames Vienna erklären zwei junge Männer die größte jährliche Sportveranstaltung der LGBTIQ-Community Europas. Hier wird die Vielfalt sportlich gefeiert. «Bei unseren letzten Eurogames in Bern waren hunderte Freiwillige im Einsatz», berichtet einer der Männer. Ein paar Tische weiter sucht die Wiener Lerntafel Freiwillige, die mit Kindern aus sozial benachteiligten Familien lernen und für die Schule üben.

Zeit für die Gemeinschaft

Geübt wird auch bei der Freiwilligen Feuerwehr in Niederösterreich, derzeit wöchentlich für die Ausbildung. Dazu kommt, ebenfalls jede Woche, die Ausbildung der Jugendgruppe, welche Viki Hinterberger unterstützt. «Schon zeitaufwändig», wie sie sagt. Und gar nicht so unanstrengend. Allein schon der Feuerwehr-Schutzanzug, bestehend aus Stahlkappen-Stiefeln, hitzeresistenter Kleidung und dem Helm, wiegt viele Kilos. Doch nicht immer geht es um schwere Löscharbeiten. Falleneckers letzter Einsatz führte sie zur Autobahnauffahrt. Dort verlor ein LKW Motoröl. Das musste entfernt werden, bevor es versickert. Hinterberger brachte ein Einsatz vor wenigen Wochen auf ein verlassenes Grundstück im Ort. Ein junges Reh war in den leeren Pool gestürzt, Hilfe war benötigt.
Wenn man die beiden Frauen fragt, wie sie zur Feuerwehr gekommen seien, antworten sie einhellig «Familie». Es sei quasi selbstverständlich beim ­Katastrophenschutz mit anzupacken. Das dürften 259.003 weitere Menschen ähnlich sehen. So viele sind es, die, laut Statistik des österreichischen Bundesfeuerwehrverbands, bei Österreichs 4.780 Feuerwehren einsatzbereit sind. 99 Prozent von ihnen arbeiten ehrenamtlich.
Ehrenamtlich engagiert hat sich Kati P. auch schon bevor sie beim Augustin landete. Sie hat in einem Altenheim ausgeholfen, Bekannte beim Putzen unterstützt, wenn es gerade nicht anders ging. Auf die Art wolle sie «etwas an die Gesellschaft zurückgeben», sagt sie. Nicht alle hätten das Glück, ein Leben in Hülle und Fülle führen zu können. «Ich mache es vor allem, weil ich es gerne mache», sagt die aufgeweckte Pensionistin.
Die Feuerwehr-Frauen motiviert der Drang zum Helfen, wie sie erzählen, und: «Die Gemeinschaft. Das Beisammensein gibt mir viel», sagt Hinterberger. «Da will ich auch nix dafür.» Bei der Feuerwehr ist die gelernte Verwaltungsassistentin ziemlich genau ihr halbes Leben lang. Auch für Judith Fallenecker ist die Feuerwehr fixer Bestandteil ihres Lebens, zu Beginn noch als einzige Frau. «Ohne Feuerwehr wäre es fad», sagt sie. Zudem lasse sich ihr Engagement mit dem Privatleben gut verbinden. Ihr Partner ist Kommandant bei der Feuerwehr.
Was aber, wenn das freiwillige Engagement der Pflicht mal in die Quere kommt? Wenn es nachts brennt und frühmorgens wieder der Wecker läutet? Viki Hinterberger lacht: «Da bleibt nur: Augen zu und durch.»

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