Für eine City ohne Straßenkunst?tun & lassen

Vom Himmel stürzende Diabolos bedrohen TouristInnen und StadtbewohnerInnen!

Wann haben Sie den letzten Pflastermaler im Zentrum Wiens gesehen? Und wissen Sie, dass auch die Genies in Sachen Jonglage demnächst vielleicht aus dem Bild der Innenstadt gelöscht werden? Abraham Thill, unter dem Namen El Diabolero als Profi und Showmaster der Jongleurszene bekannt, will nach langjährigen Umtrieben von Stadt zu Stadt seinen Brotberuf, die Kunst des Diabolowerfens, in Wien ausüben. Hier lebt die Familie, hier lebt sein einjähriger Sohn, hier fühlt er sich verwurzelt. Pech: Ausgerechnet in Wien läuft seine Kunst amtlicherseits unter Belästigung und Sicherheitsgefährdung.
Homo ludens, der spielende Mensch, erfand die Spiele, die wir kennen, früher als wir glauben. Das Diabolo zum Beispiel, eines der ältesten bekannten Jonglierrequisiten, wurde im alten China nachweislich bereits 1766 v. Chr. verwendet. Vor mehr als 200 Jahren wurde das Diabolo vom englischen Botschafter in China, Lord George Macartney, nach Europa eingeführt. Homo dominans, der herrschende Mensch, liebte spielende Untertanen, zu jeder Zeit. «Brot und Spiele» für die Subalternen das war die Formel aller Herrschaftskunst.

Doch Homo dominans musste im Laufe der Menschheitsgeschichte immer wieder auch Spiele verbieten, wenn ihre subversiven Aspekte in den Vordegrund traten. Spielverrücktheit kann die Menschen vom Arbeiten abhalten in diesem Fall ist das Spiel systemfeindlich. Alle Spielobjekte sind, weil es reale, greifbare, damit auch werfbare Gegenstände sind, theoretisch potentiell tödlich. Eine hölzerne Schachfigur, und sei es ein Bauer, aus einer Steinschleuder katapultiert, kann einem das Auge kosten. Die Kugel, die nicht in die Kegelbahn, sondern in die andere Richtung, ins Publikum geschleudert wird, kann verheerend wirken. Das Schachspiel oder das Kegeln deshalb zu verbieten, würde selbst regulierungswütigen Diktatoren oder einer der Selbstreproduktion anheimgestellten Bürokratie, die sich durch die Erfindung immer neuer Verordnungen stets aufs Neue legitimieren muss, nicht einfallen.

Alles, was lebendig ist, stört

Die Kugel in der Kegelbahn verhält sich zum Diabolo, nach dem Maß des Risikos beurteilt, wie ein Luftdruckgewehr zu einer Plastik-Kinderspritzpistole. Im alten China, im heutigen Europa, und natürlich auch in Grönland, wo die Inuit seit Menschengedenken Diabolos aus Knochen und Sehnen von Tieren herstellen, kam keine Exekutive, keine Legislative und auch kein irgendwie geartetes Gemenge aus beiden je auf die Idee, das Diabolo-Jonglieren wegen Gemeingefährlichkeit zu verbieten. Unser Defizit an Recherchemöglichkeiten verbietet uns, das Verdienst der Entdeckung der Gemeingefährlichkeit des Diabolos der Wiener Bezirksvorsteherin Ursula Stenzel anzurechnen.

Indem wir ihr aber diese Vorreiterrolle gönnen, müssen wir sie der Kritik preisgeben. Mit der Schikanierung des Straßenkünstlers Abraham Thill hat sich Ursula Stenzel in ihrem Kampf um eine Austreibung alles Lebendigen aus dem Zentrum der Wiener Innenstadt weit in die Politik des Absurden hinein gewagt. Anders können wir den Bericht, den uns Abraham Thill bei seinem Besuch in der Augustin-Redaktion gab, nicht deuten.

Als «El Diaboloero» hatte sich der Wiener Straßenkünstler in den vergangenen Jahren einen fixen Platz in der internationalen Performer-Szene erarbeitet, nicht zuletzt, weil seine Art der Performance mehr oder weniger konkurrenzlos ist. El Diabolero verbindet Schauspiel, Clownerie, Commedy und Jonglage zu einem Gesamtkunstwerk, das staunende Menschen anlockt, wo immer er auftritt. Seit drei Jahren wird der Künstler immer wieder für internationale Straßenkunstfestivals engagiert. Bezirksvorsteherinnen abseits der Politik des Absurden wären froh, so einen Künstler in ihrer Stadt zu haben.

El Diabolero ist, wie der Name sagt, ein gefährliches Subjekt

El Diabolero erzählt von einem Tag im März 2010. «Vor dem Haas-Haus am Stephansplatz beendete ich gerade meine Show. Zwei Kollegen machten mich darauf aufmerksam, dass meine Performance von einem gegenüber liegenden Balkon aus gefilmt worden war. Die Observationsgruppe bestand aus zwei Polizisten und zwei Magistratsbeamten. Ich glaube an die Kraft des Miteinander-Redens. Ich bin also hinüber gegangen, um die Beamten nach den Motiven ihrer Bemühungen zu befragen. Sie baten mich höflich, zur Polizeistation mitzukommen, zur Aufnahme von Daten, die sie zur Erstellung eines Straßenkünstlerkataloges bräuchten.»

In der Polizeiwache stellte sich rasch heraus, dass das bloß ein Vorwand war. »Sie werden angezeigt, weil Ihnen ein Verstoß gegen die Straßenkunstverordnung nachgewiesen wurde», erklärte ein Polizeibeamter. Laut Straßenkunstverordnung muss ein Straßenkünstler einen Mindestabstand von 25 Metern zum nächsten halten. Die vom Balkon geknipsten Fotos wurden als Beweis des ordnungswidrigen Verhaltens angeführt. Ein Blick auf den Bildschirm enttäuschte die Polizisten. Auf den Fotos waren andere Straßenkünstler nicht erkennbar. «Ein ranghöherer Polizeibeamter trat auf», erzählt Abraham Thill weiter. «Er sagte: Dann zeigen wir Sie wegen was anderem an!»

5000 Performances ohne Beulen

El Diabolero wurde schließlich von der Polizei angezeigt, weil es durch seine spektakulären Diabolo-Hochwürfe zu einer «Gefährdung der Passanten und Anrainer» komme. «Ein unglaublicher Vorwurf», sagt Abraham. Die Performance am Stephansplatz war vielleicht meine fünftausendste Show. Von einem Risiko für Zuschauerinnen und Zuschauer kann nicht einmal ansatzweise die Rede sein. Bevor ich die Performance beginne, ziehe ich eine Kreidelinie am Boden. Es entsteht ein zehn mal zehn Meter großes Quadrat. Ich warne die Leute auf eine humorvolle Art, diese Markierung zu übertreten. Das ist Teil meiner Show. Selbst wenn ich den hochgeworfenen Diabolo aus einer Höhe von ca 30 Metern nicht auffangen kann, was selten passiert, ist jede Gefahr ausgeschlossen. Mit dem Gummiteil würde er in diesem Fall neben mir auf den Asphalt prallen, und selbst wenn er mir auf den Kopf fiele, könnte er mich nicht verletzen.»

Auch ohne Kenntnis der Tatsache, dass Abrahams Shows bei Festivals in Kalifornien und fast ganz Europa noch nie Anlass zur Abwägung der Publikumsgefährdung gaben, ist die Konstruiertheit der Anzeige gegen den Professionellsten aller Wiener Straßen-Jongleure sofort sichtbar. Es geht nicht um Sicherheit oder Unsicherheit, es geht um den Horror eines provinzialistischen Gemenges aus City-Geschäftstreibenden, aus Bürokraten unter Legitimierungszwang und aus einer Exekutive, der alle Arten unamtlicher menschelnder Aufläufe notorisch suspekt sind, vor freier Aneignung des öffentlichen Raums. Innenstadtmetternich Ursula Stenzel hat freudig die Repräsentanz dieses gespenstischen Gemenges übernommen.

ZuschauerInnen als geschäftschädigende Elemente

Abraham Thill weist auf einen Bericht einer Bezirkszeitung hin, für die sich die ÖVP-Bezirksvorsteherin mit aufgebrachten City-Kaufleuten fotografieren ließ. Die Geschäftsinhaber verlangten ein Vorgehen gegen den Diabolo-Artisten, dessen Massenpublikum die Portale ihrer Luxusläden blockierten. So mühelos wird in Wien eine Attraktion für StädtetouristInnen zu einer Ärgerniserregung, einer Geschäftstörung, einer Attacke auf das Privateigentum umgemünzt.

Vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe war der Ausgang des behördlichen Kriegs gegen den Jongleur vom Stephansplatz ungewiss. «Wenn das durchgeht, würde es bedeuten, dass ich meinen Job in Wien nicht mehr ausüben kann. Denn das Verbot von Hochwürfen wegen angeblicher Gemeingefährdung käme dem Verbot meiner Performance gleich. Der Hochwurf ist die Essenz meiner Show, ihr spektakuläres Finale. Auf ihn strebt die Performance zu. Das ist es, was die Leute sehen wollen«, meint Abraham Thill, Hochwürden des Hochwurfs.

Seine Facebookgruppe «El Diabolo Solidarity Point» gewann binnen kürzester Zeit hunderte Mitglieder, und unter www.diabolero.com ist seine Kunst des Diabolo-Hochwurfs in einem Video zu bewundern.