«Für Menschen zu kämpfen»vorstadt

Lokalmatadorin

Meltem Weiland betreut Mädchen und junge Frauen, denen die Zwangsverheiratung droht. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto)

Einige fallen in Ohnmacht. Oder in Depression. Oder wollen nicht mehr leben. Weil sie mit dem unausweichlich Scheinenden nicht zurechtkommen: «Das Schuljahr machst du noch fertig, im Sommer fahren wir nach Hause, dort wirst du deinen Cousin heiraten!» Dieses Diktum der Eltern hat ihre Kindheit jäh beendet.
Die jüngsten sind noch nicht einmal 14 Jahre alt, die meisten gehen noch zur Schule oder machen eine Lehre. Meltem Weiland weiß, wie verzweifelt sie sind. Sie arbeitet seit bald zwanzig Jahren für den Verein «Orient Express», der im Stuwerviertel angesiedelt ist.
Als Beraterin hat sie viel Erfahrung gesammelt. Als Beraterin weiß sie auch, dass die Zwangsverheiratung an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert in Wien erneut zum Problem wurde: «Im Vorjahr haben uns 123 Menschen um Hilfe gebeten.»
Manchmal ruft die Betroffene selbst an. Öfters eine gute Freundin, ihre Lehrerin, die Schulpsychologin oder die Vorgesetzte aus der Firma. «Je früher wir informiert werden, umso eher können wir helfen», betont Meltem Weiland, die sich aufgrund ihrer an Stationen reichen Biografie mit vielen Klientinnen in deren Muttersprache verständigen kann.

Muttersprache Arabisch.

«Ich bin in Frankfurt geboren», erzählt die Mehrsprachige. «Mein Vater war als Vorarbeiter auf dem Frankfurter Flughafen beschäftigt, meine Mutter als Kellnerin in einem Restaurant.» Die deutsche Sprache ist ihr somit vertraut, ebenso wie die türkische. «Doch meine Muttersprache ist Arabisch.»
Sie war vier Jahre alt, als ihre Eltern in ihre Heimat zurückkehrten – in die Stadt İskenderun im Süden der Türkei, am Mittelmeer, nahe der syrischen Grenze. Dort lebt eine arabischsprachige Minderheit. «Türkisch ist für uns die Zweit-, die Amtssprache.»
Nach der Matura übersiedelt Meltem Weiland nach Wien, um zunächst ihre Sprachkenntnisse zu verbessern und dann deutsche Philologie zu studieren. Im November 2000 steigt sie beim Verein «Orient Express» ein. Damals weiß sie noch nicht, wie sehr sie ihre Beratungstätigkeit in Anspruch nehmen wird.
Die jungen hilfesuchenden Frauen gehören der zweiten oder dritten Generation der Zuwander_innen an. Viel zu früh sollen sie sich einem femden Mann hingeben und Kinder gebären. So will es die Tradition. Die meisten Familien stammen übrigens aus Afghanistan, Syrien, Tschetschenien und der Türkei.
Es gibt für sie keine Widerrede, nur eine Option: fremde Menschen um Hilfe bitten – und damit möglicherweise Vater und Mutter, Bruder und Schwester für immer zu verlieren.
«Der Druck, der auf unseren Klientinnen lastet, ist unermesslich», weiß die Beraterin aus unzähligen Gesprächen. «Es droht ihnen im schlimmsten Fall der Verlust ihrer Freiheit, und das lebenslänglich.»
Für jene, die körperlicher Gewalt ausgesetzt sind oder verschleppt werden sollen, hat der Verein «Orient Express» eine Not- und eine Übergangswohnung eingerichtet. Dort werden sie rund um die Uhr von Sozialarbeiterinnen betreut und von der Polizei abgeschirmt.

Angst nicht, Respekt schon.

Die Abschirmung ist notwendig: «Manchmal werden auch wir bedroht.» Der Vorwurf der entrüsteten Familien lautet: «Ihr mischt euch in Dinge ein, die euch nichts angehen.»
Hat die Beraterin Angst? «Angst nicht, aber Respekt. Es gibt Situationen, da können wir nur zu zweit in der Beratungsstelle arbeiten. Bevor ich nach Hause gehe, schaue ich hinaus auf die Straße, um zu sehen, ob uns jemand auflauert.»
Immerhin verfolgt sie ihr Respekt nicht in ihre Träume: «Wien, die Stadt, in der ich Wurzeln schlagen durfte, bietet mir genügend Möglichkeiten, um abzuschalten und mich zu erden.» Mit einem einzigen Schönheitsfehler, wie sie mit einem Lächeln hinzufügt: «Wien liegt nicht am Meer.»
Spaß beiseite: Wichtig ist Meltem Weiland der Hinweis, dass Gewalt in der Familie kein Alleinstellungsmerkmal des Islam ist: «Zumeist liegt die Ursache in einer Charakterstörung eines Elternteils, da spielt die Religion keine Rolle.» Auch lässt sich vom Kopftuch einer Frau nicht automatisch eine Zwangsheirat ableiten. «Die wird nur in ganz wenigen Familien angestrebt.»
Wehrt sich eine junge Frau dagegen, kann die Hochzeit in den allermeisten Fällen noch verhindert werden. Zieht Weiland positiv Bilanz. Wird ein Mädchen von ihrer Familie verschleppt, schaltet der Verein, der von der Stadt Wien, dem Bundeskanzleramt und mehreren Ministerien gefördert wird, die Beamt_innen des Außenamts ein. «Dann geht es darum, in einer konzertierten Aktion die um Hilfe bittende junge Frau zu befreien.»
Tage, Wochen, Monate des Hoffens und Bangens können vergehen. Kommt dann der ersehnte Anruf, fährt Meltem Weiland gemeinsam mit Polizist_innen zum Flughafen hinaus, um die Rückkehrerin in Empfang zu nehmen. Dabei denkt sie sich immer: «Es lohnt sich, für Menschen zu kämpfen.» Weitere Informationen unter: (01) 728 97 25 bzw. www.orientexpress-wien.com