FürwahrArtistin

Musikarbeiter unterwegs … im Innenleben des Volkstheaters und einer Musik

Missgeburt. Macht eine Messe! ist als Albumtitel nicht zu toppen. Die Band: Gebenedeit, ein Trio mit Stimme und Texten der Schriftstellerin Lydia Haider.

TEXT: RAINER KRISPEL
FOTO: MARIO LANG

Im Grunde ist dies eine «Hört diese Musik!»-Predigt. Noch einmal im Grunde sowieso nahezu immer das Motiv dieses Schreibens hier. Aus Gründen ist der Predigt-Ton heute ein wenig unausgeprägt, unsicher. Vielleicht, wahrscheinlich, ziere ich mich (a bad case of ungekannter, seltener Sprachschüchternheit?), weil ich das Schreiben der 1985 im oberösterreichischen Steyr geborenen, in Wien lebenden und arbeitenden Lydia Haider so unpackbar und völlig hemmungslos super finde. Ever since mir Freund Ernst rotten (2016) in die Hand gedrückt hat. Mit kongegration, dem 2015 erschienenen Roman-Debüt Haiders, ähnlich Lieblingsbands wie The Clash, Gun Club, Talking Heads, wo oft zweite oder dritte Alben Herzensangelegenheiten waren, bevor die Chronologie, die Entwicklung ergründet wurden, war ich, obwohl nicht in der womöglich vorgesehenen Reihenfolge gelesen, Leser-Fanmann. So sehr, dass ich davon träume, die gesamten Restauflagen beider Bücher aufzukaufen und damit gelegenheitsflexibel nach Idiot_innen zu schmeißen, einfach so. Mir wäre dann leichter. Nein, verstehen müssen die dann bestimmt nichts. Wir haben ohnehin schon genug nichts-checkende Kunstverliebte.

sanctus (falsche sau). Ich mag diese

Bücher so sehr, dass ich seither nichts mehr von Lydia Haider gelesen habe. Das muss so sein bei Lieblings­literatur. Vorerst. Und nein, ich werde mich hüten, auch nur zu versuchen, anzureißen, was mir an denen so taugt, an diesen Büchern. Gut, die Krumen gebe ich her, dass, wie die Künstlerin im Gespräch erzählt, sie sorgfältig miteinander gestaltet und verwoben wurden und es deshalb, von allem Inhalt abgesehen, schon ein reines, ekstatisches Vergnügen ist, ihre Sprache, ihre Form(en) aufzunehmen. LAUT lesen! Wenn wir uns endlich wieder von der Zusammenfassungs- und Vorzukunfts-Welt (Pandemie, Oida, Oide, und immer noch gehen die Elektro­Postfächer über vor lauter Veranstaltungsankündigungen, werden wir uns dann bald kollektiv daran erinnern, was alles hätte sein können?) befreit haben, können wir uns gerne einige Wochen lang über diese Bücher unterhalten – wenn ihr sie vorher gelesen habt! Wie auch immer, das alles mag dafür sorgen, dass ich auf Gebenedeit so abfahre, weil ich so meinen Haider-Text-Fix kriege – und noch viel mehr!

gloria (die viren sollen krepieren).

Musik spielt in Haiders Büchern, in ihrer Biografie – sie lernte Klavier, war vom Reproduzieren vorhandener Klang-Literatur angeödet – und für ihr Schreiben, das sie beim Musikhören tut, eine große Rolle. Fürwahr folgerichtig, dass sich aus der Zusammenarbeit mit Johannes Oberhuber, ihrem Schwager, mit dem sie das Textpräsentations­Problem in Richtung «performativer Lesungen» auflöste, Gebenedeit ent­wickelte, mit Drummer Josua Oberlerchner als Trio. Davon erzählt Lydia Haider in ihrem Schreibbüro im Volkstheater, wo sie derzeit als Hausautorin arbeitet. Auch Missgeburt. Macht eine Messe! als Album und Konzertprogramm haben eine Form, genau, jene einer Messe. Eingespielt Anfang des ersten Lockdowns im März, konnte es gerade noch zu Allerheiligen 2020 live präsentiert werden – «da kann man auf der Bühne etwas dazu inszenieren, den Leib Haider verteilen». Die ursächliche musikalische Qualität der Texte ist dabei gewiss nicht das einzig spannende Hörargument. Aber in einer Musiklandschaft, die im Wesentlichen wenigstens so reaktionär und rückwärtsgewandt ist wie die Politik Alands, fällt es schwer, solch wunderbarer Musik beschreibende Worte beizufügen, ohne zu fürchten, allfällige Hörer_innen zu vergraulen, weil, hey!, schwierig, hey!, experimentell, hey!, nicht aalglatt, lassen doch gleich die Wahrnehmungsbalken runterklappen. Nur keine Aus­einandersetzungsangst! Also eigentlich ist das endlich wieder Popmusik (was wäre Kirchenmusik je anderes gewesen?) und gehört in jeden Haushalt, christlich und/oder unchristlich, vor allem wird kein Takt selbstverliebt gewienerlt, und ja, das ist manchmal schon etwas wert. Zum Einstieg kann mensch es ja mit der abschließenden Die reichste Frau von Wien versuchen, das ist, nun, recht bekömmlich. Aber da müssen und wollen wir jetzt gemeinsam durch: Die Leichen sollen sich schleichen. Und weil wir schon dabei sind: Die Samen kriegen kein Amen.

Gebenedeit: Missgeburt. Macht eine Messe!
(Problembär Records)
gebenedeit.org