Fussball, Schopenhauer und die StonesArtistin

Der Schriftsteller Andreas Weber im Gespräch

Andreas Webers zweiter Roman, «Veitels Traum», ist eine spannende, realistische Beschreibung des Lebens auf dem Land. Der Held, Maturant und Leistungssportler er spielt in der Handballnationalmannschaft recherchiert den Mord an seinem Vater. Der Held ist ein Privatermittler, wie auch in seinem ersten Roman «Lanz», einem packenden Buch, in dem das Fortwirken von Nazistrukturen in einer Kleinstadt verhandelt wird. Ein Augustin-Gespräch über Franzobel, Schopenhauer und andere Sportthemen.Als realistischer Schriftsteller vermeidest du das enge Korsett klassischer Kriminalromane mit Kommissar, Polizeistrukturen und frustriertem Helden. Ist das ein Zufall?

Also zur Handball-Nationalmannschaft hat es bei Tobias nicht gereicht, seine Freundin Julia spielt dort, er selber so wie ich auch musste sich mit der Landesliga bescheiden. Was die Frage nach dem Verhältnis zum klassischen Kriminalroman angeht: Mir waren Detektive schon immer sympathischer, denn Marlowe und die Seinen waren Einzelkämpfer, einsame Wölfe eben keine Beamte! Im Roman war es außerdem klar, dass diese Geschichte der Sohn ermitteln muss, auch weil es für die Kripo auf diesem doch speziellen «Tatort» zunächst ja nicht viel zu ermitteln gibt.

Dieser Vater ist ein Polizist (früher sagte man: Gendarm) und Lyriker, der in angesehenen Zeitschriften veröffentlicht und nur für die Literatur lebt. Wie bist du auf die Figur gekommen?

Vor Jahren habe ich auf der Buchmesse in Frankfurt einen Lyriker kennengelernt. Ich war fasziniert von dem, was der übers Schreiben, über Bücher und das Leben sagte. Der Mann war ein Gendarm.



Du bist in Langenlois aufgewachsen und in Krems zur Schule gegangen. Das Kleinstadtmilieu ist dir vertraut. Nun lebst du in Linz, pendelst aber immer wieder aus Gründen des Literaturbetriebs nach Wien. Hat sich Wien in deinen Augen in den letzten zwei Jahrzehnten verändert, und wenn ja, in welche Richtung?

Ich erlebe Wien im Österreichischen Literaturarchiv, auf der Universität, im Café Sperl, bei Freunden, die ich zu Hause besuche, ab und zu hab ich auch in Wien eine Lesung. Veränderungen merke ich nicht, abgesehen davon, dass vielleicht schon andere Vibrations beim Studieren zu spüren sind wirklich unangenehm ist aber das Gefühl, durch die Mariahilfer Straße zu gehen und sich dabei zu denken, dass jeder Vierte, der dir entgegenkommt, Strache gewählt hat.



Wie erklärst du dir den Einbruch eines aggressiven Provinzialismus in die Großstadtverhältnisse? Erobert das bornierte Land die zivilisierte Stadt?

Um Wien mache ich mir in dieser Hinsicht keine Sorgen, diese blaue Euphorie hab ja sogar ich als Jahrgang 61 schon ein paar Mal erlebt, das wird verschwinden, wie es gekommen ist. Aber die wahre «Großtat» des Herrn Schüssel ist ja bekanntlich, dass er ohne je eine Wahl zu gewinnen als notorischer Wahlverlierer dann doch Erster war und der Preis dafür war eben, dass er diese blauorangen Provinz-Sumperer salonfähig machte und in Positionen brachte, wo sie heute noch sitzen.



Du bist ein versierter Kicker und hast eine großartige Filmdokumentation über Mario Kempes, den argentinischen Fußballweltmeister, gedreht. Kempes verbrachte das Ende seiner Karriere bei der Vienna und dem Kremser Sportklub und bescherte all jenen, die ihn spielen sahen, unvergessliche Bilder. Auch er ging von der großen Welt in die kleine Welt des Provinzfußballs. Eignet sich das Fußball-Milieu für die Literatur? Anders gefragt: Warum machen fast alle zeitgenössischen Autoren und Autorinnen um die Welt des Sports einen großen Bogen?

Ich habe eher den Eindruck, dass sich manche Autoren wie z. B. Franzobel damit schmücken, ein Fußballer zu sein, so in dem Sinn: Da schaut her, was ich für ein lockerer Typ bin und eh kein Intellektueller. Peinlich ist dann, dass er in Interviews und Kommentaren beweist, dass er keine Ahnung vom Fußball hat. Mein Lieblingsspruch zum Thema stammt vom argentinischen Weltmeister-Trainer Luis Cesar Menotti, dem ehemaligen Philosophiestudenten, der zwischen «linkem», d. h. lebensfrohem, offensivem Fußball als Fest der Lebensfreude und «rechtem», d. h. rein ergebnisorientiertem, kapitalistisch organisiertem Fußball unterschieden hat Menotti sagte einmal: Fußball ist wie das Leben, nur spannender.

Wir beide teilen die Liebe zu den Texten der großen Realisten Hemingway, Hammett und Ambler. Kannst du noch ein paar Autoren nennen, die für deine Arbeit wichtig waren und sind?

Der wahrscheinlich wichtigste Autor neben den von dir genannten ist Arthur Schopenhauer. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen hochtrabend, aber ich war 31 Jahre alt, lebte damals als «foreign language asssisent» in Ilfracombe, Südwestengland, und las dort auf einer Bank mit Blick auf den Bristol Channel sitzend den ersten Satz von «Die Welt als Wille und Vorstellung»: Die Welt ist meine Vorstellung. Und dachte: JA! So ist das. Ich bin heimgegangen und habe die erste Geschichte meines Lebens geschrieben, d. h. damit begonnen, «Nachtspiel» zu schreiben. Mir hat dieser Schopenhauer-Satz Mut gemacht, mich motiviert; ich hab mir gedacht: Ja, egal, schreib deine Vorstellungen nieder, alles andere wird man sehen. Und natürlich hat mich Schopenhauers Kunstphilosophie, der zufolge Kunst ein Medium, eine Methode der Erkenntnis ist, nachhaltig fasziniert und beeinflusst. Dazu kam dann Kierkegaards «Entweder Oder», Camus kannte ich schon irgendwie und las ihn wieder. Alles gelesen habe ich auch von Truman Capote, Fitzgerald, Thomas Bernhard, Margit Schreiner, aber auch Patricia Highsmith! Und natürlich von Erwin Riess! Wie weit mich das beeinflusst hat, weiß ich nicht, aber sicher klingen alle diese Sachen an. So wie ich das sehe, sind alle diese Texte ein Kosmos, der über dem Existentialismus steht.

In «Veitels Traum» spielen die Rolling Stones eine wichtige Nebenrolle. Du hast die Stones über all die Jahre verfolgt und hast über sie gearbeitet. Die Stones kommen wie David Bowie und Bob Dylan aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, ihre Musik hat aber Working-class-Elemente. Auch in der Literatur gibt es diese soziologische Achsenverschiebung. Hast du eine Erklärung dafür?

Ich träume davon, die Stones einmal privat zu treffen! Über Bill Wyman wollte ich einmal einen Film machen, hab mit drei seiner Managerinnen ziemlich oft telefoniert und war schon zweimal in seinem Londoner Büro, aber Bill war nie da, das ist eine Geschichte, die ich sicher noch einmal als Roman schreibe. Mich faszinieren die Stones, seit ich denken kann. Ich sehe diese Band als Paradigma der populären Kultur. Ich erkläre mir ihren Erfolg zunächst einmal mit Authentizität. Und darum gehts auch in der Literatur. Du schreibst so, wie du bist und geprägt durch dein Herkunftsmilieu geworden bist. Die Stones waren die Kinder kleiner Leute und einen Text wie «Jumpin Jack Flash» kannst du wahrscheinlich als Sohn eines Millionärs nie so schreiben. Dass die als Sixty-plus-Milliardäre noch immer die Stadien füllen, ist völlig verrückt, aber ich hab sie 2006 in München gesehen, konnte dort Jagger/Richards fast auf die Schuhe greifen und habe diesen Anblick ihrer Körper und Gesichter bis heute nicht vergessen: Steinalt, die sehen aus der Nähe aus wie 70! Spindeldürr, zentimeterdicke Furchen, aber die sind voller ENERGIE! Jagger/Richards und Watts am Schlagzeug stehen unter Strom, Richards lächelt und ist inmitten von 70.000 tobenden Leuten glücklich und genau dort, wo er sein will.

Du arbeitest gern in der Fremde. «Lanz» entstand zum Teil in Larnaca/Zypern, in Malta und Rom. «Veitels Traum» wurde am Schweizer Bodensee in Gottlieben konzipiert und im amerikanischen Mittelwesten, in Iowa City beendet, wo du als Writer in Residence eingeladen warst. Muss man in die Welt flüchten, um von der Provinz schreiben zu können?

Gute Frage! In Amerika habe ich jede Sekunde genossen, wie aufgezogen täglich und sehr viel geschrieben, aber nach drei Wochen begann ich mich auch wieder aufs Heimkommen zu freuen, sodass ich rückblickend gesehen das Gefühl hatte, in so einer Art Dauereuphorie zu sein: einerseits die Freude übers Dortsein, andererseits die Freude aufs Zuhause in Linz. In mein amerikanisches Journal hab ich notiert, dass ich nur weit weg von zuhause über die Dinge in meiner Nähe schreiben kann.



Info:


Andreas Weber lebt und arbeitet in Linz. Der Roman «Lanz» erschien 2007 (Otto Müller Verlag, Salzburg), «Veitels Traum» 2010 beim Picus Verlag in Wien