Gage an den SachwalterArtistin

Von Tokyo bis Wien: Art brut auf Tisch` und Bänk`

ArtBrut.jpgIm Kunsthaus Wien läuft zur Zeit die Ausstellung Art brut du Japon (bis 18. Oktober) und im renommierten Verlag Holzhauser liegt eine umfassende Publikation mit dem Titel Kunst von innen. Art brut in Austria vor. Grund genug, mit der Herausgeberin Angelica Bäumer und dem Kurator Andreas Hirsch ein Gespräch zu führen.

Frau Bäumer, wie entstand die Idee, eine Wanderausstellung mit den künstlerischen Arbeiten geistig Behinderter aus Österreich zu gestalten und dazu eine umfangreiche wissenschaftliche Dokumentation von fast 5oo Seiten herauszugeben?

Angelica Bäumer: Den Anstoß dazu gab die Kulturabteilung des Außenamtes. Und das hing zusammen mit unterschiedlichsten Aktivitäten zum Sigmund-Freud-Jahr. Es sollte eine Forschungsarbeit werden, ein work-in-progress über ein Thema, worüber in solch fundierter Form bisher noch nie gearbeitet wurde. Der Gedanke einer Wanderausstellung in Verbindung mit einer wissenschaftlichen Dokumentation stand von Anfang an fest.

An welchen Orten wurden die Bilder der Patienten gezeigt und wie waren die Reaktionen der BetrachterInnen?

Es waren unterschiedlichste Institutionen, die jeweils die Arbeiten ausstellten, Kulturinstitute, Kunstuniversitäten, Museen, Kunstvereine. Und die drei vollgepackten Kisten mit den Bildern wanderten durch viele Städte: Rom, Kairo, Prag, Istanbul, Budapest, Belgrad, um nur einige zu nennen. Aber sie wanderten auch durch Österreich, machten Station u.a. in Bregenz, Innsbruck, St. Pölten, Horn, Linz, im Museumsquartier in Wien. Da und dort gab es auch Workshops und Diskussionsrunden zum Thema. Zielpublikum war die an Kunst interessierte Öffentlichkeit. Es ging ausschließlich um den künstlerischen Wert der Arbeiten. Und darauf kamen sehr positive Reaktionen der Besucher. Die Vielfalt und Qualität der Bilder fand ein starkes positives Echo.

Wie gingen Sie am Beginn Ihrer Recherchen vor, wie und wo fanden Sie die Institutionen in Österreich, wo künstlerische Arbeiten überhaupt entstehen können?

7000 km Autofahrt quer durch Österreich brauchte es, um die unterschiedlichsten Institutionen aufzusuchen, mit den Anstaltsleitern, den Therapeuten und auch mit den Künstlern ins Gespräch zu kommen. Es handelte sich um Organisationen wie Caritas, Diakonie, Lebenshilfe, Pro mente, Jugend am Werk, geschützte Werkstätten und Ateliers, psychosoziale Heime, Kunstgruppen in Psychiatrischen Krankenhäusern. Alles Einrichtungen, die vom Staat oder kirchlichen Stellen großzügig unterstützt werden und in denen versucht wird, besondere Fähigkeiten der Menschen zu sehen und zu fördern. 700 Bilder kamen dann in die engere Auswahl.

Wer kann bestimmen, was unter der Vielzahl dieser Arbeiten Kunst ist? Wie kann das definiert werden?

Durch meine jahrzehntelange Erfahrung als Kunstkritikerin. Und durch ausführliche Gespräche mit den Künstlern Arnulf Rainer und Peter Pongratz, die sich ja beide selbst intensiv mit Kunst von geistig und psychisch Behinderten auseinandergesetzt haben.

Wie verliefen Ihre Begegnungen mit den einzelnen KünstlerInnen? Auf welchen Ebenen konnten sie miteinander kommunizieren?

Das Atelier ist immer ein sehr intimer Raum. Ich habe eigentlich keine Berührungsängste, überschreite diese private Schwelle aber mit großer Achtsamkeit, respektiere die Würde des jeweiligen Menschen und bemühe mich, ihm ohne jedes Vorurteil zu begegnen.

Lernt man aus all diesen Begegnungen und Erfahrungen etwas für sein eigenes Leben?



Ja, Demut, Bescheidenheit und Geduld. Vor allem Geduld, auf das Gegenüber genauer hinzuhören. Ich bin auf jeden Fall in vielfacher Hinsicht bereichert worden. Und immer wieder stellte sich für mich die Frage, woher diese Kraft zum künstlerischen Gestalten, woher überhaupt Kreativität kommt. Diese absolute Authentizität, Originalität, dieses Immer-bei-sich-Bleiben beeindruckte mich tief.

Die Arbeiten der Gugginger Künstler und nicht nur die haben beachtliche kommerzielle Erfolge auf dem Kunstmarkt. Wer profitiert von den künstlerischen Erzeugnissen der Menschen in den diversen Einrichtungen in Österreich, die Sie besucht haben?

Es gibt da und dort regionale Ausstellungen. Die Kosten für die Bilder bewegen sich zwischen 50 und 500 Euro. Ein Teil der Einnahmen geht an den jeweiligen Sachwalter, ein Teil an die jeweilige Institution. Die Anstaltsleiter und Therapeuten sind aber alle sichtlich bemüht, ihre Patienten nicht in den Kunstmarkt einzugliedern.



Sie haben unter den vielen Einrichtungen für geistig Behinderte auch Hartheim besucht (während der NS-Zeit Heim für Euthanasie-Experimente, Anm. d. Red.).



Dort arbeitet ein sehr engagierter Leiter, Dr. Weixelbaumer. In Hartheim, in der Lern- und Gedächtnisstätte planen wir für den kommenden März eine kleinere Ausstellung als die, die auf Wanderschaft gegangen ist, in Verbindung mit einem ganztägigen Symposium und einem Konzert. Und schon davor, am 23. Oktober, wird man im Rahmen einer Art brut-Messe im Wiener Museumsquartier, von der Caritas initiiert, gemeinsame Arbeiten geistig behinderter Menschen aus österreichischen, schweizerischen und deutschen Ateliers sehen können. Außerdem ist eben ein Film für den ORF zu diesem Thema in Vorbereitung.

 

Im Kunsthaus Wien sind 15 Arbeiten von japanischen Künstlern zu sehen, die Autodidakten sind, am Rande der japanischen Gesellschaft und oft auch in psychiatrischen Einrichtungen leben. Gab es einen besonderen Anlass, gerade diese Ausstellung in Ihrem Haus zu zeigen?

Andreas Hirsch: Nicht direkt. Aber schon im Jahre 1995 zeigte das Kunsthaus eine Personale von Jean Dubuffet (1901-1985, frz. Maler und Bildhauer, der die Beschäftigung mit autodidaktischer Kunst einleitete und den Begriff Art Brut prägte. Anm. d. Red.). Friedensreich Hundertwasser hatte immer wieder Interesse an ähnlichen Projekten geäußert. Die Direktorin der Collection de l`Art Brut Lausanne, Lucienne Peiry, hatte sich auf Feldforschung in Japan begeben und dort auch Kontakte zum Borderless Art Museum No-Ma in Shiga gefunden. Sie brachte die Werke von 12 japanischen Künstlern mit in die Schweiz und stellte sie in ihrem Museum aus. Das Kunsthaus Wien ist die erste Station, die diese Ausstellung übernimmt und sie mit zwei weiteren Künstlerinnen erweitert hat.

Wer sind die KünstlerInnen? Was erfährt der Besucher über deren Werke hinaus?

Die Künstler sind zum überwiegenden Teil Autisten, kommen von ihrem sozialen Hintergrund her aus der Arbeiterschicht, von kleinen Gewerbetreibenden. Ihre Biografien sind unterschiedlich. Sonderschule, diverse Hilfsjobs, manche von ihnen hatten zeitweilig eigene Wohnungen oder lebten bei den Eltern, kamen dann früher oder später in psychiatrische Einrichtungen, Tagesbetreuungsstätten oder besuchten geschützte Werkstätten.

Wie ist das Interesse des Publikums?

Überwiegend positiv. Ein integraler Bestandteil des Konzeptes unserer Ausstellung sind acht Videofilme über die KünstlerInnen, die eigens für das Kunsthaus erstellt wurden. Es sind berührende Dokumentarfilme, die dem Besucher deren Lebensweise, Alltagssituationen und ihre jeweilige künstlerische Arbeitsweise nahe bringen. Dafür muss sich der Betrachter genügend Zeit nehmen. Und diese wird vom Publikum auch sehr gerne genützt. Diese Ausstellung lädt zum Verweilen ein.



Gibt es Details in den Arbeiten, die Bezug nehmen auf kulturelle oder künstlerische Traditionen Japans?

Ja und nein. In einigen Werken lassen sich Bezüge zum Kabuki-Theater oder zur japanischen Teezeremonie feststellen. Ein Künstler verwendet Objekte der japanischen Popkultur für seine Performances in der Öffentlichkeit. Ein anderer nimmt als Ausgangsmaterial für seine Arbeiten japanische Schriftzeichen, ohne sie selbst lesen zu können.

Kann man irgendwelche Gemeinsamkeiten in den Arbeiten der 15 KünstlerInnen feststellen?

Ich denke, es gibt immer einen ganz subjektiven persönlichen Eindruck, ein ganz spezifisches Erlebnis, das zu einer Art Obsession wird. Oder eine bestimmte Geste und Bewegung wird vom Körperlichen ins Bildliche übertragen. Meist werden die Blätter voll gemalt, das Füllen der Leere zeigt sich immer wieder in den Arbeiten.



Wie wird die Kunst geistig und psychisch Behinderter in Japan rezipiert? Gibt es dafür Verständnis und Interesse?

Nein, lange nicht so wie bei uns. In Japan wird dieses Problem noch weitgehend tabuisiert. Man verdeckt und versteckt solche Behinderungen innerhalb der Familien. Das Borderless Art Museum in Shiga, das 2003 eröffnet wurde, leistet in dieser Hinsicht Pionierarbeit.

Wo wird diese Ausstellung noch gezeigt werden?

Soviel ich weiß, nirgends mehr. Von Wien geht sie zurück nach Lausanne.

teilen: