Ganz allein erziehen?tun & lassen

In Österreich leben über 160.000 Familien mit einem Elternteil. Trotzdem werden Alleinerziehende in der Familienpolitik als Spezialfall behandelt. Frauen aus drei Generationen erzählen, wie es ihnen damit geht.

Text & Fotos: Lisa Bolyos

«Ich habe drei Mädchen von drei Vätern, und alle drei habe ich allein aufgezogen», erzählt Vera Vasiljković. «Eine alleinerziehende Mutter zu sein, das ist eine schwere Zugfahrt. Und gleichzeitig sind die Kinder ein wunderbares Geschenk.»
Vera Vasiljković ist Anfang fünfzig. Mit zwölf hat ihre Mutter sie aus der serbischen Region Mačva nach Wien geholt, in ihre Wohnung in der Heinzelmanngasse. Als junge Frau bekam Vasiljković im Abstand von wenigen Jahren zwei Töchter, von den Vätern trennte sie sich «immer im 8. Monat, wie ein Fluch». Ein drittes Kind kam, da war Vera Vasiljković Ende dreißig. Die älteren Töchter zogen noch im Schulalter zu ihren Vätern. Mit der jüngsten lebt Vera Vasiljković zusammen, auf 45 Quadrat­metern «einmal Pubertät und einmal Klimakterium», wie sie mit viel Humor in ihrer autobiografischen Erzählung Wo Adler nie müde werden schreibt.

Wie Bauern ohne Lobby.

Vera Vasiljković und ihre Tochter sind eine von 167.800 Einelternfamilien in Österreich, 153.400 dieser Eltern sind Mütter. «Die Zahlen schwanken», sagt Doris Pettighofer von der Österreichischen Plattform für Alleinerziehende, «aber die Größenordnung bleibt gleich.» «160.000, das sind etwa so viele wie Bauern und Forstwirte in Österreich», ruft die NR-Abgeordnete Henrike Brandstötter am 28. September, dem Tag der Alleinerziehenden, ins Mikro. Mit einem feinen Unterschied: «Die Allein-
erziehenden haben überhaupt keine Lobby!»
Bis vor wenigen Jahrzehnten war Alleinerziehen gesellschaftlich geächtet. «Ich war ein lediges Kind», das ist meist der Beginn einer Erzählung mit viel Schwere. Lange hatte das Jugendamt die Obsorge inne, erst mit dem Kindschaftsrecht-Änderungsgesetz vom 1. Juli 1989 war die gesetzliche Amtsvormundschaft unehelicher Kinder beendet und liegt seither bei dem entsprechenden Elternteil – zu mehr als neunzig Prozent bei der Mutter. Heute, sagt Doris Pettighofer, «hat keiner mehr was gegen Trennung und Scheidung, aber jetzt kreieren politische Maßnahmen eine Situation, die Alleinerziehende zu Armutsgefährdeten macht. Und schon sind sie wieder gesellschaftlich ausgeschlossen.»
Dass Alleinerziehen und Armutsgefährdung oft Hand in Hand gehen, ist anerkannt und statistisch gut belegt. Aber was ist der Grund dafür? «Grundsätzlich geht es hier um ein Problem der Unvereinbarkeit von Beruf und Familie», so Doris Pettighofer. Denn wer alleine ein Kleinkind zu betreuen hat, muss zwar mit einem Einkommen alle anfallenden Kosten bezahlen, kann aber nur bedingt regulärer Erwerbsarbeit nachgehen. «Viele Leute schauen meinen Lebenslauf an und sagen, tut mir leid, Sie haben ein Kind», wird eine Befragte in der Studie Alleinerziehende in Österreich aus dem Jahr 2011 zitiert. Dazu kommt, dass Löhne in typischen Frauenbranchen ohnehin schon sehr niedrig sind und mit einer Teilzeitanstellung erst recht keine Familie ernährt werden kann. Pettighofer: «Ohne Transferleistungen hätten wir bei Alleinerziehenden eine Armutsgefährdungsquote von 60 Prozent.» Die gehe durch Familienförderung, Unter­stützungsleistungen und Zuschüsse zum Wohnen oder zur Kinderbetreuung auf etwa 42 Prozent zurück. «Ohne Geld vom Staat wäre ich vor die Hunde gegangen», bestätigt Vera Vasiljković, die früher auch einmal für Milupa gemodelt und eigene Möbel entworfen hat, «und darum möchte ich auch einmal danke sagen. Ich habe verschiedene Krankheiten, die mich davon abhalten, regulär arbeiten zu gehen. Die Mindestsicherung erzeugt zwar einerseits eine Abhängigkeit, aber sie ist wirklich eine Hilfe für Arme. Und darum sollte man sie niemals kürzen.»

Einkommen oder Betreuung.

Johanna Aschenbrenner-Faltl, Jahrgang 1936, war «Geschäftsfrau von Montag bis Samstag», als ihre Kinder klein waren. Ihr Vater hatte ihr einen Posten als Vertreterin für Abendtaschen organisiert, später baute sie ihre Vertreterinnentätigkeit aus, übernahm «italienische Lederware» und baute für die Kundschaft am Nebengrund des kleinen Hauses im 23. Bezirk, in dem sie auch zum Interview lädt, ihr eigenes Ausstellungshaus. Aus Mariahilf weg nach Liesing ist Frau Aschenbrenner-Faltl als junge Mutter gezogen, «denn ich habe gemerkt, ich werde mir nie mit den Kindern Urlaub leisten können». So hatten sie zumindest einen Garten.
In der «Geschäftsfrau» schwingen gleichermaßen Stolz und Abwertung mit. Sie sei eine gewesen, die auch mal 24 Stunden am Stück gearbeitet hätte, habe sich für die Aufträge ein eigenes Computerprogramm erstellt und sei viel herumgereist. Mit dem großen Nachteil, dass sie das erste Kind in Babyjahren nur wenig zu Gesicht bekam. «Ich wäre sehr gern Hausfrau und Mutter gewesen», sagt sie, «aber das war nicht drin.»
Aufgewachsen ist auch Johanna Aschenbrenner-Faltl in einer nicht sehr «geldigen» Familie. «Ich musste mir mein Taschengeld mit Nachhilfestunden verdienen. Und weil meine Mutter zum Arbeiten in Schweden war und ich die Wohnung für mich allein hatte, hat es sich halt ergeben, dass es einmal mehr als Nachhilfestunden wurden.» Die ungeplante Schwangerschaft brach sie nicht ab, auch wenn ihr von Anfang an klar gewesen sei, «dass er nicht der richtige Mann für mich ist.» Probiert hat sie es trotzdem und erst nach mehreren Jahren Ehe und einem zweiten Kind die Scheidung eingereicht. Zu dem Zeitpunkt reiste sie schon mit Abendtaschen durchs Land und hatte sich mit viel Kraft von ihrem Ehemann finanziell unabhängig gemacht.

Verteilungskämpfe.

Alimente, sagt Johanna Aschenbrenner-Faltl, habe ihr geschiedener Mann – «außer einmal, da musste ich klagen» – immer gezahlt. Der Unterhalt ist ein großes Thema, wenn es um die finanzielle Prekarität von Einelternfamilien geht. Wird er vom getrenntlebenden Elternteil nicht bezahlt, so kann der Staat einen Unterhaltsvorschuss gewährleisten. Dieser endet mit der Volljährigkeit des Kindes – also mit 18 Jahren – und nicht, wie schon lange gefordert, mit dem Ende der Ausbildung oder der Auszahlung der Familienbeihilfe, also mit 24. «Besonders Alleinerziehende sind Mehrfachbelastungen ausgesetzt, die ihren Familienalltag erschweren, und können so leichter in armutsgefährdete Lebenslagen geraten. Deshalb sind bestehende Lücken im Unterhaltsvorschuss zu schließen», weiß das aktuelle Regierungsprogramm und sieht unter anderem eine «Ausdehnung des Unterhaltsvorschusses für den Zeitraum des Familienbeihilfebezugs» vor. Aber bisher ist das Papier geduldig. «Was rausschaut, werden wir sehen», meint Pettighofer von der Plattform für Alleinerziehende, die als Mitglied im familienpolitischen Beirat des Bundesministeriums für Familie und Jugend beratende Funktion hat. Fehlende Zahlungsmoral der getrennten Väter, meint Pettighofer, sei in der Unterhaltsfrage individuell natürlich von Bedeutung, strukturell aber nicht der Hebel, an dem man ansetzen sollte: «In vielen Familien ist insgesamt zu wenig Geld da. Und wenn es zur Trennung kommt und mit dem gleichen Geld zwei Haushalte finanziert werden müssen, geht der Verteilungskampf los.» Für die Kinder sei das eine Katastrophe. «Was tu ich, wenn der Unterhaltsvorschuss wegbricht und ich die Schulbildung meines Kind nicht fertigfinanzieren kann? Das ist eine der häufigsten Anfragen bei uns. Die jungen Menschen sind dann meistens gerade im Maturaalter und müssen sich plötzlich intensiv mit der Vaterbeziehung auseinandersetzen. Das haut sie völlig durcheinander.» Solche psychischen Belastungen und ihre lang anhaltenden Folgen würden in der Ausgestaltung von Gesetzen viel zu wenig Beachtung finden.
Auch Vera Vasiljković wird ihre jüngste Tochter früh in die Selbstständigkeit entlassen. «Sie wollte gern noch drei Jahre in die HAK gehen, aber ich habe ihr gesagt, das geht nicht, wir haben zu wenig Einkommen, du musst bald auf deinen eigenen Beinen stehen.» Die Jüngste wird sich einen Lehrberuf suchen. «Hätte ich bessere Finanzen, könnte ich sie studieren lassen. So wird sie eben früh selbstständig.»

Sind wir nicht alle ein bisschen allein­erziehend …

«Ich bin ja im Grunde auch alleinerziehend. Mein Partner tut fast nix.» Eine Aussage, die «Alleinerziehende einfach satt haben», wie es die Selbsthilfegruppe AllescheckerInnen auf ihrem Infoflyer formuliert. Denn bei allen Konflikten über die gerechte Aufteilung der Betreuungsarbeit in Zweielternfamilien können sie sich doch darauf verlassen, dass ein zweites Einkommen da ist, im Ernstfall der andere Elternteil einspringt und zwei Erwachsene sich die Verantwortung teilen. Rosa Konecny (Name v. d. Red. geändert) kann das nur bestätigen: «Wenn die Leute, die eh zu zweit sind mit ihrem Kind, am Spielplatz darüber reden, wie ihre Freiräume weniger werden, da werde ich schon richtig frustriert. Gut, ich habe es selbst gewählt, aber manchmal ist es trotzdem bitter.»
Rosa ist Anfang dreißig. Einen Kinderwunsch hegte sie «ewig lang», bis sie sich von der Vorstellung befreite, für ein Kind brauche es eine «ganz normale Paarbeziehung». Nach einigem Ausprobieren und Ausloten der verschiedenen Möglichkeiten entschied sie sich, ein Kind in Pflege zu nehmen. «Ich habe begriffen, dass man als Pflegefamilie auf Ressourcen zurückgreifen kann, weil das Jugendamt sowohl finanziell unterstützt als auch mit Reflexions- und Super­visions­möglichkeiten.» Außerdem hat Rosa Konecny ein gut funktionierendes soziales Netzwerk: ihre Eltern, Freundinnen, eine Mitbewohnerin, und vom Jugendamt finanziell geförderte Fremdbetreuung. Heute ist ihre Tochter fast zwei Jahre alt und natürlich «alles ein bisschen anders, als ich es mir vorgestellt habe», aber: «Ich habe eine sehr gut informierte Entscheidung getroffen und, egal wie anstrengend das Leben mit Kleinkind manchmal ist, ich bereue sie keinen Moment.»
Anstrengend ist nicht nur die Müdigkeit, die Unmöglichkeit, eine Pause zu machen, bevor das Kind abends eingeschlafen ist, sondern vor allem die Last, alleine Entscheidungen «für ein anderes Leben» zu fällen: «Ist der Kindergarten gut? Soll sie im eigenen Bett schlafen? Wie viele Süßigkeiten darf sie essen? Natürlich ist es gut, nicht alles ausdiskutieren zu müssen, aber manchmal ist es auch schade.» Und manchmal, sagt Rosa Konecny lachend, würde sie sich einfach wünschen, «jemand anderem die Schuld an einer falschen Entscheidung zu geben». Ein lustiger Kommentar zu einer ernsten Angelegenheit. «Schlechtes Gewissen ist ein sehr großes Thema bei Alleinerziehenden», meint Doris Pettighofer, «gerade wenn es um Kinderbetreuung geht.» Wenn man arbeiten gehen muss, um dem Kind ein sicheres Leben mit geheizter Wohnung, Ausstattung für die Schule und vielleicht sogar ab und zu ein Freizeitprogramm bieten zu können, möchte man jedenfalls sicher sein, dass das Kind in guten Händen ist.
Davon kann auch Johanna Aschenbrenner-Faltl ein Lied singen. Um ihrer Arbeit nachgehen zu können, in einer Zeit, als von öffentlich finanzierter Kleinkindbetreuung noch kaum die Rede sein konnte, übergab sie ihr Kind vorübergehend dem Säuglingsheim, das bis Ende der 1960er-Jahre in der Dreimarksteingasse in Salmannsdorf betrieben wurde. «Montag bis Samstag habe ich gearbeitet und am Sonntag meine Tochter besucht. Es war schrecklich, sie dort alleinzulassen.» Gab es laut Statistik Austria im Jahr 1972 in ganz Österreich 186 Kleinkindbetreuungseinrichtungen (davon 155 in Wien), so sind es heute 2.310 (davon 669 in Wien). Doch auch wenn die Zahlen durchaus beachtlich steigen, liegt die außerhäusliche Betreuungsquote für Kinder unter 3 Jahren in Österreich bis heute bei nur 27,6 Prozent. Doris Pettighofer: «Darum ist eine unserer zentralen Forderungen der qualitativ hochwertige Ausbau von Kinderbetreuung. Und dafür müssen entsprechende Mittel bereitgestellt werden.»

Gemeinschaft, Glaube, Geld.

Die Antworten darauf, was sie als Alleinerziehende stärkt, fallen unterschiedlich aus. Für Vera Vasiljković ist es klar ihr Glaube: «Ohne Jesus würde ich es nicht schaffen», sagt sie, «aber wenn ich ins Gebet, in die Meditation mit ihm gehe, kommen meine Ruhe und meine Kraft zurück.» In ihrer Glaubensgemeinschaft hat sie eine Freundin gefunden, die Alleinerzieherin ist: «Ich habe auch außerhalb der Gemeinde gute Freundinnen, aber mit ihr fühle ich mich in einem Geist, wir haben die gleichen Interessen, die gleichen Sorgen und Vorstellungen von Erziehung.» Johanna Aschenbrenner-Faltl nennt an erster Stelle ihre Mutter: «Wenn ich meine Mutter nicht gehabt hätte, wäre das nicht gegangen.» Bis die Kinder zwölf Jahre alt waren, half die Mutter in der Betreuung aus. Danach erlaubte Aschenbrenner-Faltls Verdienst, eine Kinderfrau zu bezahlen. Und das Geld ist dann auch für alle zentral dafür, ob das Leben als Alleinerzieherin funktioniert oder nicht: «Das mit dem Geld ist wirklich eine große Sache», sagt Rosa Konecny, «Geld für Fremdbetreuung, Geld, um weniger arbeiten zu müssen.» Geld, um so zu wohnen, wie es – und das hat die Corona­krise mit ausfallender Betreuungsleistung und eingeschränkter Bewegungsfreiheit verstärkt gezeigt – für Elternteil und Kind am angenehmsten ist. «Es gibt Wohnprojekte von Alleinerziehenden, das finde ich eine sehr gute Einrichtung. Auch ein Gemeindebau mit gemeinsamer Waschküche und gemeinsamem Speisesaal wäre cool: Wenn die Hausarbeit geteilt werden kann, ist schon viel gewonnen.» Rosa Konecny wird ihre Wohnform jetzt auch ändern. Sie zieht mit ihrer Tochter in eine Wohnung in einem Haus, in dem befreundete Familien leben, damit gegenseitige Entlastung und mehr Freiraum für Kinder und Erwachsene gesichert sind.

Eine ganz normale Familie.

Damit Familienpolitik ihrem Namen gerecht wird, muss sie ein Update ihres Familienkonzepts vornehmen. Dazu braucht es Erzählungen aus erster Hand und aktuelle Studien: zu Kinderkosten etwa (in dem Bereich wird auf indexangepasste Zahlen von 1964 zurückgegriffen) und auch zu politischen Maßnahmen, die Verarmung und Gesundheitsgefährdung von Alleinerziehenden in den Fokus nehmen; die letzte umfassende Studie dazu wurde vor zehn Jahren in Auftrag gegeben. Dann wird sich ermessen lassen, wie sich die Politik der letzten Jahre und Monate – die Eingriffe in die Mindestsicherung, die Veränderungen im Betreuungssektor, der Familienbonus oder der Familienhärtefonds – auf die absolute und die relative Armut von Alleinerziehenden und Alleinerzogenen auswirkt. Vielleicht wird man dann sogar sehen, dass eine Umverteilung der finanziellen Mittel nötig ist. Nicht innerhalb der Familie, sondern innerhalb der Gesellschaft.

 

Zum Nachlesen & Nachschauen

Zur Unterhaltsgarantie schrieb Julia Grillmayer in AUGUSTIN Nr. 450:
augustin.or.at/kinder-kueche-knete

Über die Alleinerziehenden-Wohnprojekte von JUNO schrieb Ruth Weismann in AUGUSTIN Nr. 500:
augustin.or.at/allein-erziehen-gemeinsam-wohnen

Die mehrteilige Geschichte von Vera Vasiljković ist im AUGUSTIN-Archiv nachzulesen:
augustin.or.at/autor_innen/vera-vasilkovic

AUGUSTIN TV sendet regelmäßig zum Thema:
okto.tv/de/sendung/augustin

Alleinerziehende organisieren sich

Österreichische Plattform für Alleinerziehende
alleinerziehende.org

Zentrum für Getrennt- und Alleinerziehende
alleinerziehen-juno.at

Aufstand der Alleinerziehenden
facebook.com/Alleinerziehendenaufstand

AllescheckerInnen
allescheckerwien@gmail.com

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