«Ganz schön Wien»vorstadt

Lokalmatador

Hannes Steiner folgt einem Traum: Jede_r in dieser Stadt schreibt sein eigenes Buch.
Text: Uwe Mauch, Foto: Mario Lang

Er sitzt an einem schmalen Kaffeehaustisch beim Fenster, und tut das, was er am liebsten tut: Er schmökert in einem seiner Wiener Lieblingskaffeehäuser in einem der von ihm verlegten schmalen Bücher. «Ganz schön Wien» steht in gut lesbarer Schrift auf dem Buchcover, das einen Blick auf die Stadt erlaubt.
Warum wir uns erlauben, ihn vom Lesen abzuhalten? Weil wir wissen, dass Hannes Steiner auch wunderbar erzählen kann. Über das Lesen im Café Jelinek sagt er etwa: «Ich mag dieses gleichmäßige Gemurmel rundherum. Da kann ich für unbestimmte Zeit in Texte, in Gedanken eintauchen wie nirgendwo sonst.»

Nach Wien.

Der Sohn einer Salzburger Buchhandelsfamilie hat seit dem Abschluss seines Doktoratstudiums an der juridischen Fakultät in Innsbruck immer Bücher verkauft. Nicht weil ihn das Verkaufen so befriedigt, mehr aus Leidenschaft, wie er betont: «Ich kann mich für die Menschen hinter den Büchern begeistern.»
Woher das kommt? Er war gerade einmal sieben Jahre alt, als ihm der Journalist und Publizist Hugo Portisch nach einer Lesung, die seine Eltern in Salzburg organisiert hatten, eine Danksagung in sein Buch Österreich II geschrieben hat. «Weil ich für ihn ein Taschentuch besorgt hatte.»
Sieben Jahre lang konnte Hannes Steiner den Beruf des Buchhändlers im prosperierenden Betrieb seiner Familie erlernen. Zehn Jahre lang sorgte er dann mit dem von ihm gegründeten Ecowin-Verlag für mehrere Bestseller. Nach dem Verkauf des Verlags stellte er sein gutes Gespür für Lesestoff, der schnell zu allgemeinem Gesprächsstoff werden kann, viereinhalb Jahre lang einem großen Medienhaus zur Verfügung. Seit gut einem Jahr ist er wieder selbstständig tätig. Jetzt in Wien, erneut mit Ambition.
Keiner kann diese Ambition besser auf den Punkt bringen als er selbst. Nach einem kurzen Nippen an seiner Teetasse sagt er: «Ich habe als Verleger jeden Tag drei bis fünf Manuskripte auf meinen Tisch bekommen. Das war immer frustrierend, denn ich musste den allermeisten absagen. Dabei hätten so viele das Potenzial zum Schreiben eines Buchs gehabt.»
Steiner verweist darauf, dass nur 0,013 Prozent der Weltbevölkerung ihren Namen auf einem Buchdeckel lesen können. Das will er ändern: «Mein Ziel ist es, den Zugang zum Buch zu demokratisieren. Ich möchte, dass jeder Wiener, jede Wienerin aus seinem, ihrem eigenen Buch vorlesen kann.»

Halb Wien.

Der 47-jährige Mann der Provinz ist mit seiner Familie erst vor wenigen Monaten in die Hauptstadt übersiedelt. Wien ist für ihn liberaler, lebenswerter, leistbarer als Salzburg. Was ihm bei den Hiesigen nicht nur Sympathien einträgt.
Gemeinsam mit seinem Kollegen Martin Blank baut er dessen ungeachtet die Plattform story.one zu einem digitalen Sammelbecken für leidenschaftlich Schreibende auf. 1.500 Menschen haben dort bereits 10.000 Kurzgeschichten veröffentlicht, unter ihnen besagter Hugo Portisch oder der ehemalige Bundespräsident Heinz Fischer, aber auch einige junge Blogger_innen. 160 der 1.500 bei ihm Gestrandeten haben darüber hinaus ihre Kurzgeschichten-Sammlung als Buch mit eigener ISBN-Nummer herausgebracht. Das ist für die meisten finanziell machbar, weil sie dafür inklusive Porto weniger als 17 Euro pro gedrucktem Exemplar bezahlen.

Ganz Wien.

Kann es gelingen, dass alle in Wien ihr eigenes Buch schreiben, wo doch nicht jede/r in der deutschen Sprache zu Hause ist? Auf diese Frage antwortet Hannes Steiner vorbereitet: «Auch darüber haben wir nachgedacht, und sind zu folgender Idee gelangt: Wir könnten Interessierte dazu ermutigen, für andere Menschen deren Geschichten aufzuzeichnen.»
Langsam nähern wir uns im Jelinek Utopia, die Augen des Verlegers beginnen zu leuchten: «Und stellen wir uns doch bitte eine Stadt vor, in der die Fahrgäste in der U-Bahn nicht auf die giftigen Schlagzeilen in den Gratiszeitungen starren, sondern ihre eigenen Bücher lesen.»
Der etwas andere Verleger weiß selbst, dass er ein Optimist ist. Doch er hat mit seiner Überzeugung bisher immer Spaß und auch Erfolg gehabt. Auch die story.one-Community wächst flott: Sein Netzwerk zieht nicht nur die an, die das, was sie zu erzählen haben, öffentlich machen wollen. Zugleich werden die, die seine Initiative unterstützen möchten, mehr.
Jüngst hat Hannes Steiner abseits des traditionellen Verlagswesens im Café Jelinek einen Story-Slam organisiert, zu dem vierzig seiner Autor_innen kamen. «Was für ein Abend! Sie haben sich gegenseitig vorgelesen und zugehört. Und es wurde auch viel gelacht.» Alles zum Nachlesen im Netz: www.story.one