Gatti wieder auf der Fluchttun & lassen

Journalist testete den Erfolg des Papst-Appells zur Flüchtlingshilfe

Jede Pfarrei oder religiöse Gemeinschaft in Europa solle zumindest eine Flüchtlingsfamilie bei sich aufnehmen. Dazu hat vor einigen Wochen Papst Franziskus aufgerufen. Als «Undercover-Immigrant» hat der italienische Journalist Fabrizio Gatti getestet, wie Europas katholische Pfarrer mit diesem Druck von oben umgehen. Elisabeth Malleier über den nicht sehr erfreulichen Befund.

Foto: http://donneuominiscalzi.blogspot.it

Vor ziemlich genau zehn Jahren war im Augustin schon einmal vom italienischen Journalisten Fabrizio Gatti zu lesen. In einer Reportage hatte er im italienischen Wochenmagazin «L‘ Espresso» unter dem Titel «Io, clandestino a Lampedusa» die skandalösen Zustände in den Auffanglagern für Flüchtlinge auf Lampedusa beschrieben. Gatti gab sich als irakischer Kurde auf der Flucht aus, als er vor Sizilien aus dem Meer gefischt und ins Aufnahmelager gebracht wurde, in das der Eintritt für Journalist_innen zum damaligen Zeitpunkt nicht erlaubt war. Sein Alter Ego war Bilal Ibrahim el Habib, diesen Namen behielt er auch in den folgenden Jahren für seine Recherchen als undercover immigrant bei, und diese veröffentlichte er 2008 in seinem Buch «Bilal». «Viaggare, Lavorare, Morire da Clandestini». (Das Buch wurde inzwischen in mehrere Sprachen übersetzt, u. a. 2011 ins Deutsche mit dem abgemilderten Titel «Bilal. Als Illegaler auf dem Weg nach Europa».)

Auf der Suche nach seinen auf der Flucht gewonnenen Freunden aus Ghana durchquert er die Wüste noch einmal in die entgegengesetzte Richtung und erfährt dabei von den gewaltsamen Vertreibungen schwarzafrikanischer Gastarbeiter_innen aus Libyen nach dem Sturz Gaddafis. Im Gegensatz zu den Flüchtlingen, mit denen er in Richtung Europa die Wüste durchquert hatte, konnte Gatti alias Bilal jedoch anstatt mit einem überfüllten Flüchtlingsboot mit einem Flugzeug nach Europa zurückkehren. Von den Menschen, die er unterwegs kennenlernte und zu denen er Kontakt hielt, schaffte es keiner nach Europa.

Jetzt hat Gatti, 1966 in Mailand geboren und mittlerweile mit zahlreichen nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet – zuletzt 2014 mit dem Menschenrechtspreis der deutschen Stiftung PRO ASYL – Bilal wieder auf eine Reise geschickt, diesmal in Europa. «Io, profugo, cacciato via dai preti» (Ich, Flüchtling, verjagt von den Priestern) heißt die Titelgeschichte, die Ende Oktober im «L’ Espresso» publiziert wurde. Als Flüchtling, der dem islamistischen Terrorstaat entkommen sei, versuchte er in einer dreiwöchigen Reise durch Italien, den Vatikan, Frankreich, Deutschland und der Schweiz Unterschlupf in kirchlichen Einrichtungen zu erlangen. Ausgangspunkt für Gatti war dabei der Aufruf von Papst Franziskus von Anfang September. Vor Zehntausenden auf dem Petersplatz forderte er: Jede katholische Gemeinde, jede geistliche Gemeinschaft, jedes Kloster und jeder Zufluchtsort solle eine Familie aufnehmen. Die Bischöfe, fügte er hinzu, müssten ihre Diözesen dazu drängen.

Die ablehnenden Reaktionen, die von Gatti mit versteckter Kamera aufgenommen wurden, reichten von einem wortlosen Schulterzucken oder der Entschuldigung, dass im Haus gerade kein Platz sei, bis hin zur Forderung einer polizeilichen Meldebestätigung, die ein Flüchtling in der Regel nicht vorweisen kann. Für Bilal und seine fiktive Familie (eine Frau und zwei kleine Kinder) öffneten sich die Türen auf seiner über 3000 Kilometer langen Reise und bei seinen insgesamt 23 Anfragen jedenfalls nur ein einziges Mal, und zwar in einer kleinen Pfarre im norditialienischen Aosta-Tal.

Barfußmarsch der Frauen und Männer

Am 15. Dezember startet die nächste Etappe des sog. Barfußmarsches, einer Soliinitiative in Italien, die sowohl an jene Orte führen soll, an denen Flüchtlinge willkommen sind, aber auch an jene, an denen sie nicht willkommen sind. Auch die oft entlegenen und schwer erreichbaren Orte, an denen Flüchtlinge untergebracht sind, sind Ziel des Marsches. Sinn dieser Mobilisierung im wahrsten Sinn des Wortes – dem Hinbringen des eigenen Körpers und des eigenen Lebens, wie es im Blog der Organisation heißt: Menschen nicht nur in der virtuellen, sondern auch in der realen Welt zusammenzubringen. Der erste Barfußmarsch fand am 11. September anlässlich des 72. Filmfestivals in Venedig statt. Inzwischen haben sich italienweit 61 Städte dieser Initiative angeschlossen. Die vier Forderungen der Initiative zur europäische Flucht- und Migrationspolitik sind:

1. Die Schaffung sicherer humanitärer Korridore für Opfer von Krieg, Katastrophen und Diktaturen.

2. Die würdige und respektvolle Aufnahme aller Flüchtlinge.

3. Schließung von Einrichtungen, in denen Flüchtlinge und Migrant_innen zwangsweise festgehalten werden.

4. Die Schaffung eines einheitlichen Asylsystems in Europa mit Überwindung des sog. Dublin-Abkommens.

Links:

http://www.meltingpot.org/

http://donneuominiscalzi.blogspot.it/