Gedanken zum «Wandertag»tun & lassen

Das Hanf-Verbot kann nicht funktionieren es sei denn, Ausschließung ist erwünscht

Drogenprohibition ist vermutlich das quantitativ erfolgreichste Instrument, um «zuverlässigen» Nachschub für den sozialen Rand zu sichern. Zehntausende Menschen mit Vorstrafen nach Drogendelikten wären noch unbescholten (und «am Markt» entsprechend chancenreicher), wenn der Drogenkonsum nicht zu den Verbrechen zählte. Einmal mehr versucht eine NGO, die für die Legalisierung von Cannabis eintritt, mit einem Wiener «Hanf-Wandertag» am 1. Oktober auf das seltsame Auseinanderdriften von Wissenschaft, Gesetzgebung, Politik und Rechtssprechung aufmerksam zu machen.

Das Auseinanderdriften erfolgt auf zwei Ebenen. Die erste Ebene: Man weiß über die Wirkung von Sanktionen so viel wie noch nie. Kriminologische Erkenntnisse werden von den Rechtsanwender_innen und der Gesetzgebung jedoch so wenig berücksichtigt wie nirgends sonst. Neue Straftatbestände oder Strafverschärfungen werden ohne Überprüfung ihrer Auswirkungen eingeführt. Die zweite Ebene: Man weiß, dass es keine medizinischen Gründe gibt, Hanf zu dämonisieren.

Trotz alledem sind die Gefängnisse voll von «Drogendelinquenz». Die Politik muss sich also die Frage gefallen lassen, ob ihr der gesellschaftliche Ausschluss der Drogenbenützer_innen wichtiger sei als ihre Integration in die «Mitte» der Gesellschaft. Doch warum könnte ihr die anhaltende Marginalisierung einer sozialen Gruppe ein Anliegen sein? Weil die «Randgruppen» eine wichtige Rolle zur Stabilisierung des Systems spielen?

Dass speziell das Haschisch-Verbot niemanden daran hindert, Haschisch zu genießen, dass also in diesem Fall die Prohibition nicht funktioniert, ist hierzulande denke ich allgemein bekannt. Ich versuche, die besondere Perfidität des massenhaften An-den-Rand-Drängens ertappter Haschisch-Konsument_innen zu veranschaulichen; dabei hilft der Bericht eines jungen, gebildeten, mit dem bürgerlichen Recht sonst durchaus im Einklang stehenden Mannes, der sich an den Augustin gewandt hatte, weil er der Gesellschaft das traumatische Erlebnis seiner Kriminalisierung mitzuteilen hatte; und weil er den Vorschlag zu unterbreiten hatte, Verbrechermacher_innen als solche kenntlich zu machen und ihre Verbrechenskonstruktionen zu entlarven.

«Du bist der Checker», schrie der Frontman

Die Frage, wie er seiner Neigung zu Haschisch gewahr wurde und ob er sich im Unrecht fühle, wenn er gegen das Haschischverbot verstoße, beantwortete unser anonym bleiben wollender «Legalyzer» so:

Obwohl ich bei den Kund_innen sowie Mitarbeiter_innen einschließlich der Chef-Etage beliebt war, meinen Job zur Zufriedenheit aller erfüllte, über eines wollten sie alle nicht hinwegsehen: Es war bekannt, dass ich nach einem anstrengenden Arbeitstag nicht wie viele andere Mitarbeiter zu einem kühlen Bier griff. Nein, ich bevorzugte einen guten Joint während eines gemütlichen Abendspaziergangs. Ich habe niemals irgendjemandem etwas getan. Nein, ich habe nur für mich selbst ein anderes Genussmittel gewählt als die meisten anderen. Sollte es nicht jedem frei stehen, zu entscheiden, was das Beste für ihn_sie ist? Die Wissenschaft ist sich seit Jahren darüber einig, dass Cannabis bei weitem nicht so gefährlich ist wie beispielsweise Alkohol oder Nikotin.

Aus dem Protokoll des traumatisierenden Erlebnisses, des im negativen Sinn aufregendsten seines bisherigen Lebens:

16. Dezember 2009. Meine Freundin und ich sind gerade am Fernsehen, als kurz vor dem Schlafengehen, fast exakt Mitternacht, jemand an meiner Wohnungstüre klingelt. Ich öffne die Tür einen kleinen Spalt. Im Gang stehen etwa zehn Männer, in Zivil gekleidet der «Frontman» hält mir sofort seine Polizeimarke vor die Nase und schreit meinen Namen aus. «Du bist der Checker, oder? Geh schon, mach auf die Tür!» Ich bin total eingeschüchtert, da die anderen neun Männer auch nicht gerade freundlich wirken. Alle schreien sie jetzt auf mich ein: Ich sei ein Dealer, ein Giftler etc. Nachdem mir der Beamte, der mir den wie ich leider erst nachher erfahre nicht unterschriebenen und somit eigentlich ungültigen Durchsuchungsbefehl zeigt, öffne ich meine Wohnungstür und lasse die Herren Ihres Amtes walten. Fast zwei Stunden muss ich in Socken im kalten Gang vor meiner Wohnung warten, während die Beamten diese auf den Kopf stellen und meine Freundin mit miesesten psychologischen Tricks einschüchtern. Natürlich finden die Beamten, was sie suchen das «verbotene Kraut». Ich habe damals etwa 160 Hanfpflanzen (40 verschiedene Sorten je 4 Stück) in meiner Wohnung gezogen. Während die Beamten meine «Plantage» niederschneiden und ich immer noch in Socken im kalten Gang sehe, drohen sie mir, ich werde nun bis Mai im Gefängnis sitzen und meine Freundin für mehrere Monate nicht sehen.     

Nach einer skandalös langen Untersuchungshaft kommt es ein halbes Jahr nach Haftantritt zum Prozess.

14. Juli 2010, erster Verhandlungstag. Schon einige Tage davor konnte ich wegen meiner Nervosität nicht gut schlafen. Als wir das Landesgericht betraten, konnte ich kaum mehr atmen. Meine Hände schwitzten wie nie zuvor, und ich begann fürchterlich zu weinen. Dann kam auch schon die Richterin, und nach einigen Minuten wurde ich in den Verhandlungssaal gerufen. Die Verhandlung dauerte nicht lange. Resultat: 14 Monate Freiheitsstrafe bedingt auf 3 Jahre Bewährung. Selbstverständlich konnte man so ein Urteil unmöglich akzeptieren, doch mein Anwalt klärte mich auf: Beim Obersten Gerichtshof hätte ich durchaus Chancen bloß würde mich das locker 250.000 Euro kosten bis dort hin

Und schon hat der junge Verurteilte die Erfahrung gemacht, dass «alle Welt» über seine Vorstrafe Bescheid weiß zumindest die Personalabteilung der Firma wusste es, als er hoffnungsvoll den neuen Job antreten wollte. Immerhin, sagt unser Freund des Cannabis, habe er im Häfen Zeit gehabt, um sich mit der Idee des Cannabis Social Clubs auseinanderzusetzen. Die CSCs sind nichtkommerzielle Vereine, welche den professionellen, kollektiven Anbau einer sehr limitierten Menge von Cannabis organisieren, gerade genug, um die persönlichen Bedürfnisse der Clubmitglieder zu decken. Anbau, Transport, Verteilung und Konsum müssen Sicherheitschecks und Qualitätskontrollen unterstehen, dies ohne Werbung, Ladenschild oder Schaufenster. Die Mitglieder_innen sichern die Finanzen des Systems durch Mitgliederbeiträge entsprechend ihren Bedürfnissen. Cannabishandel darf es keinen geben. Die Mitglieder_innen müssen sich dazu verpflichten, kein Cannabis zu verkaufen und nicht Dritte, vor allem Minderjährige zum Konsum zu ermuntern. Aktive CSCs existieren mittlerweile in Spanien, Belgien und den Niederlanden.

Je länger ich meinem Gesprächspartner zuhörte, desto erstaunlicher fand ich sein grundsätzliches Einvernehmen mit der Gesamt-Drogenpolitik. Da wurde einer von der widerlichsten aller Prohibitionsmaschinerien (sie schießt mit Kanonen auf Spatzen) zum Kriminellen gestempelt, der das ABC des Neoliberalismus vielleicht besser beherrscht als seine Verfolger_innen. «Weil das CSC-Konzept», meint er, «Menschen die Möglichkeit gibt, den Eigenbedarf an Cannabis selbst abzudecken, wird der Markt transparenter werden. Der Schwarzmarkt mit seinen damit verbundenen Problemen, wie Steigerung des THC-Gehalts, Verschnitt, hohe Preise, Gewalt, Verkauf an Minderjährige, das Elend offener Szenen, würde kleiner werden. Die Produktion von Cannabis und der kooperative Vertrieb würden direkt einige Voll-Teilzeit- oder Saisonstellen schaffen. Die Löhne und die Steuern dieses Marktes würden Milliarden von Euros in die offizielle Wirtschaft einbringen, was das Wirtschaftswachstum fördern würde.» Eine solche PR für Wirtschaftwachstum müsste doch belohnt werden; das Bekenntnis zum BIP, das es stetig zu steigern gelte, und sei es durch die Hereinnahme des Cannabis in die reguläre Zone der Wirtschaft, kommt in diesem Fall von einer Seite, von der man sich wenig Kopfzerbrechen über die kapitalismus-kompatible Form der Wiedergeburt des Hanfes erwartete.

FP will Hanfwandertag verbieten

Der Verein Legalize! Österreich gilt trotz seines systemimmanenten Ansatzes als rotes Tuch für die Entscheidungsträger_innen. Die Freiheitliche Partei hat sogar, unter Berufung auf die Marihuana-Demos, ein generelles Demonstrationsverbot für die Innere Mariahilfer Straße gefordert. Die diesem Artikel zugrunde legende These, dass unser Gesellschaftssystem bei Gefahr seines Taumelns die Ausgrenzung ohnmächtiger Gruppen betreibe, «rettet» sozusagen die Logik der Verfolgung der Hanfliebhaber_innen. Stellte sich die These als falsch heraus, könnte das rigorose Vorgehen des Staates gegen eine Kulturpflanze wohl nur imperialismuskritisch oder verschwörungstheoretisch erklärt werden, was bekanntlich nicht dasselbe ist. Tatsächlich ist die Kriminalisierung des Hanfs Anfang des 20. Jahrhunderts nicht aus gesundheitlichen, sondern vor allem wirtschaftlichen Interessen erfolgt. Die Cannabisfaser sollte als Konkurrent der neu entdeckten Kunstfaser ausgeschaltet werden. Noch immer ist deshalb der Anbau auch THC-losen Hanfs in weiten Teilen der USA verboten.

Beim Betrachten der amerikanischen Prohibitionspolitik rücken die Drogen zusammen, die von den meisten Cannabis-Legalisierungs-Initiativen gerne getrennt gedacht werden; die weitere Illegalisierung von Heroin ist kein Thema für viele Hanfgebraucher_innen. Befürworter_innen einer generellen Freigabe aller Drogen sprechen daher von der Borniertheit der Hanfszene. Als gesellschaftlich vollends akzeptierter Weintrinker würde ich niemals einen Keil zwischen die Opfer der Hanfverbotspolitik und die Opfer der Opiate-Prohibition treiben. Denn mit polizeilichen Mitteln ist kein gesellschaftliches Problem lösbar. Ergo ist ein Gefängnis voller Heroindealer_innen genauso obszön wie ein Häfen voller Hascher_innen.

 

Demo «Hanfwandertag»

Samstag, 1. 10. 2011

Treffpunkt: 13 Uhr, Europaplatz, Westbahnhof

 

«Allein in Österreich gibt es jährlich knapp 20.000 Anzeigen in Bezug auf Cannabis, etwa jede zehnte Anzeige endet mit einer Verurteilung. Existenzen und Familien werden zerstört, nicht auf Grund der Substanz, sondern aus politischem Unvermögen. Auch wenn eine Anzeige bei 90 Prozent der Fälle zurückgelegt wird, müssen die Beschuldigten mit Repressionen rechnen. Eltern werden beispielsweise die Kinder entrissen, und auch mit Problemen in Bezug auf den Erhalt von Arbeitsplatz und Führerschein ist zu rechnen. Behörden stellen oft sogar rechtswidrige Bescheide aus, die nur mit Hilfe von kompetenten Rechtsanwält_innen mühsam beeinsprucht werden können. Verurteilten Konsumenten droht eine Stigmatisierung wie Gewaltverbrecher_innen.»


Aus dem Demo-Aufruf

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