Die Indoktrination der Kinder
Am 31. Oktober werden alljährlich Raiffeisen-Mitarbeiter_innen auf Kinder losgelassen – aber nicht nur dann …Bereits in sehr jungen Jahren fieberte ich dem Oktoberende entgegen. Es nahte nämlich der Weltspartag, und da gab es Geschenke – von der Raika! Wie selbstverständlich betraten die Mitarbeiter_innen der Bank die Klassenräume und ergossen ihre Propaganda über die 6- bis 10-Jährigen: «Spare in der Zeit, so hast du in der Not» lautete die Devise. Und im lustigen Flügelschlagtakt der Sumsi-Biene wurden alljährlich hunderttausende Kinder in die Logik von Kapitalakkumulation und Bedürfnisaufschiebung eingeschult. So waren wir also schon ab Ende September emsig am Geldschnorren bei Verwandten und Bekannten, denn die Sumsi-Sparkassa sollte ja gut gefüllt in der Filiale abgegeben werden – um deren Not zu lindern, wohlgemerkt. Dass es eigentlich nicht selbstverständlich, sondern vielmehr ausnehmend skandalös ist, wenn private Geldinstitute Minderjährige mit ihrer aggressiven Propaganda traktieren, wurde mir erst viel später klar. Spätestens dann, als mir ein befreundeter Salzburger Lehrer erzählte, dass er in seiner Schule ernsthafte Probleme bekam, weil er sich dagegen wehrte, dass der allseits bekannte Schulsponsor in den Lehrplan eingreifen und seine Mitarbeiter_innen die Schulkinder über Schulden und Sparen unterrichten sollte. Die Direktorin sah darin kein Problem, weil´s ja der Hauptsponsor ist …
Bemerkenswert ist, dass sich die Ideologie des Weltspartags bis heute gehalten hat. Bekamen wir damals neben «Geschenken» in Form von Spardosen und Plastikklumpert wenigstens noch relativ ansehnliche Zinsen, so gibt es heute für das «Raiffeisen SUMSI Sparbuch» genau 0,125 Prozent, genaugenommen also NICHTS. Nicht zuletzt deshalb ist Raiffeisen wohl auch zu weit offensiveren Formen der «Nachwuchsförderung» übergegangen. Zwei besonders drastische Beispiele sollen hier vorgestellt werden.
«59.778 unterstützte Salzburger Schüler»
verlautbart www.salzburger-schulsponsoring.at. «Die Anforderungen an die Schüler werden immer größer, die öffentlichen Geldmittel leider immer knapper.» So leitet Günther Reibersdorfer auf der Homepage der Raiffeisenbank Salzburg seine Informationen über die jährlich rund 700.000 Euro ein, die Raiffeisen den Schulen zur Verfügung stellt, um – selbstverständlich «autonom» darüber zu verfügen und «Projektthemen selbst aus[zu]wählen und pädagogisch wertvolle Projekte [zu] verwirklichen».
Vom durch Raiffeisen mitfinanzierten Schulschitag bis zu den altbekannten Sumsi-Rucksäcken für die Jüngsten reicht die Palette der offensichtlich völlig autonom verfügten Zuwendungen. Das wirklich Erschütternde an diesem Modell ist nicht die aufdringliche Präsenz des Giebelkreuzes auf den Homepages der beteiligten Schulen, sondern die Selbstverständlichkeit, mit der die Privatisierung des Bildungssystems hingenommen, wenn nicht gar gutgeheißen wird. Interessant ist, dass die oben bereits angesprochene Unsitte der Propagandavorträge offenbar nicht mehr ganz so unhinterfragt ist: Die Schulsponsoring-Seite verlautbart jedenfalls, dass im Schuljahr 2013/14 keine Schulvorträge angeboten wurden, von aktuellen ist ebenfalls nichts zu lesen. Gab es zumindest in diesem Bereich ein Umdenken der Verantwortlichen? Eine andere, bundesweite, Kampagne von Raiffeisen lässt wenig Hoffnung aufkommen.
«Die Anleger von morgen»
Der «Raiffeisen School-Investor» soll, nomen est omen, nicht dazu beitragen, Schüler_innen zum kritischen Hinterfragen eines menschenverachtenden, ausschließlich profitorientierten Finanzsystems zu bewegen. Vielmehr sollen die Schüler_innen – richtig erraten! – «den Umgang mit Wertpapieren üben und den Börsenhandel näher kennenlernen». Dass dies in Form eines Wettbewerbs zu geschehen hat, ist klar: «Finanzielle Bildung für die Anleger von morgen» lautet die Devise. Angesichts der immer weiter auseinandergehenden Schere zwischen Arm und Reich, dem offensichtlichen Nicht-Funktionieren des finanzgetriebenen Krisen-Kapitalismus sowie der eigentlichen Aufgabe eines demokratischen Bildungswesens bleibt der/dem kritischen Leser_in schlicht die Spucke weg. Wenn´s nicht so traurig wäre, müsste mensch ja lachen über den Hauptpreis: ein Treffen mit dem CEO der nicht aus den Schlagzeilen kommenden Raiffeisen Bank International, Karl Sevelda. Vielleicht kann mensch Sevelda bei der Gelegenheit ja fragen, wie genau Putin «Ordnung in Wirtschaft und ins politische System gebracht hat» (Sevelda im «Standard»)? Aber auch das ist nicht notwendig, Sevelda hat es ohnehin schon offen ausgesprochen: «Für die Wirtschaft hat er ein Umfeld geschaffen, das westlichen Unternehmen Investitionen ermöglicht und in etlichen Bereichen liberaler ist als in einigen EU-Ländern.» Und da wollen wir doch alle hin, liebe Kinder. Oder? Bob Marleys letzte Worte waren übrigens: «Money can’t buy life.»