Gefährliche Drohung aus Brüsseltun & lassen

Wer garantiert uns, dass das Wiener Wasser nicht verkauft wird?

Frage eine Wienerin, einen Wiener, was spitze ist in dieser Stadt. Die Wahrscheinlichkeit, dass das «beste Wasser der Welt» ganz oben auf der Liste des Schätzenswerten aufscheint, ist groß. Die Menschen lieben es, dass sie die Quellen der Rax, des Schneebergs und des Hochschwab quasi in ihren Wohnungen haben. Wenn überhaupt hier ein Aufstand vorstellbar sei, dann ab dem Moment, in dem die Hochquellenleitung an einen Privatkonzern verscherbelt wird, prognostizierte der Augustin vor ein paar Monaten augenzwinkernd. Inzwischen ist klar: Der Aufstand sollte vorbereitet werden.Denn es liegt eine gefährliche Drohung aus Brüssel vor. Dazu ein Zitat aus einer deutschen TV-Dokumentation (WDR monitor, 16. Dezember 2012): «Die wichtigsten politischen Veränderungen verbergen sich manchmal im Kleingedruckten. Klammheimlich, versteckt in einer Richtlinie, versucht die Europäische Kommission gerade ein Jahrhundertprojekt durchzusetzen. Es geht um nicht weniger als um die europaweite Privatisierung der Wasserversorgung. Wenn sich die EU-Kommission durchsetzt, dürfte aus einem Allgemeingut dann ein Spekulationsobjekt werden, mit dem sich Milliarden verdienen lassen. Es ist ein Sieg großer multinationaler Konzerne, die für diese Privatisierung jahrelang gekämpft haben. Die Folgen für uns Verbraucher könnten erheblich sein.» Die Idee der EU-Kommission: Wasserlizenzen müssen europaweit ausgeschrieben werden. Dann aber kommen die im Wasserbusineess tätigen Konzerne wie Nestlé, Veolia Water, Suez, Thames Water, United Utilities oder Bechtel Corporation zum Zug.

Beide Parteien, die im Wiener Rathaus regieren, die SPÖ und die Grünen, haben sich vehement gegen die Privatisierung der Trinkwasserversorgung ausgesprochen. Das klingt zunächst beruhigend. Martin Margulies, der Budgetsprecher der Wiener Grünen, fand klare Worte: «Solange Grüne regieren, wird das Wiener Wasser nicht verkauft.» Die sozialdemokratische Finanzstadträtin Renate Brauner betonte, klares Wasser in den Wiener Sammelbecken und dichte Leitungen gäbe es nur, wenn die Verantwortung in den Händen der Stadtverwaltung bleibe.

Das alles hört der gelernte Wiener, die gelernte Wienerin mit Skepsis. Die SPÖ gibt den «Sachzwängen» notorisch nach, und bei den Grünen scheint ein Konsens darüber, wann die neoliberale Entwicklung den Punkt erreicht hat, an dem grünes Mitregieren nicht mehr möglich ist, strukturell kaum erreichbar zu sein: Die traditionelle Dominanz der «Realos» über die systemkritischen Grüngeister verhindert ja auch, dass die drastischen Kürzungen der Kultursubventionen im nächsten Jahr oder die Aufrechterhaltung, eventuell sogar Verschärfung des Bettelverbots Anlass zur Regierungsbeteiligungsdebatte werden.

Die Wiener Volksbefragung

Unter den vier Fragen der für den kommenden März geplanten Volksbefragung befindet sich auch das Thema Privatisierung. Die Wiener_innen können ankreuzerln, ob sie für oder gegen die Privatisierung kommunaler Dienstleistungsbetriebe sind. Entscheidend ist, ob das Rathaus im Vorfeld ausreichend informiert, was die Folgen einer «Liberalisierung» der Trinkwasserversorgung wären. Eine breite kämpferische Bewegung von unten gegen die Privatisierungspläne scheint das einzige wirkliche Hindernis gegen den Vorstoß der EU-Kommission zu sein. Und die müsste sich schnell bilden, denn es ist mit einer starken Dynamik auf Seiten der EU-Machthaber im Jahr 2013 zu rechnen. Am 18. Jänner gab der Binnenmarktausschuss des EU-Parlaments grünes Licht, im April wird die erste Plenarabstimmung stattfinden; eine Mehrheit werde, so die Prognose des SPÖ-Europaabgeordneten Josef Weidenholzer, für die Liberalisierung stimmen.

Die Verteidigung der öffentlichen Trinkwasserversorgung wird 2013 eines der wichtigsten Handlungsfelder der neuen sozialen Bewegungen und jener Politiker_innen sein, die diese unterstützen. In Graz ist die Bedeutung der «Wasserpolitik» besonders evident geworden: Die 20-Prozent-Partei KPÖ soll ausgegrenzt werden, weil Spitzenkandidatin Elke Kahr in diesem Punkt kompromisslos bleibt. Sie verweist auf internationale Beispiele, wo private Investoren jahrelang Gebühren erhöht und damit Gewinne erzielt haben, ohne jedoch in die Versorgungsinfrastruktur zu investieren. Die Folgen: desolate Leitungen, erforderliche Rekommunalisierung und Wiederherstellung auf Kosten der Allgemeinheit. Die kommende Stadtregierung müsse deshalb auch nur die geringste Möglichkeit der Privatisierung des Trinkwassers sowie anderer Bereiche der kommunalen Dienstleistungen verbindlich ausschließen, fordert Kahr. Die Grazer ÖVP, die vermutlich zum letzten Mal die Stimmenmehrheit erreichte, weigert sich, das auszuschließen.

Das Beispiel London

Kahr, Sensationsgewinnerin der Grazer Kommunalwahl, empfiehlt etwa, sich das Beispiel London anzuschauen. Dort wurde das Wasser Ende der 80er Jahre privatisiert. 1999 wurde die Firma Thames Water dem deutschen Energiekonzern RWE einverleibt. Sie versorgt im Großraum London rund 8 Millionen Menschen mit Trinkwasser und entsorgt für 15 Millionen das Abwasser. Da Private Gewinne machen wollen, wird nur das Nötigste in das Kanalnetz investiert. Die Folgen: Das Leitungsnetz verrottete zusehends. In einer Studie des Umweltkomitees der Londoner Stadtregierung aus dem Jahr 2005 wurde u. a. Folgendes festgestellt:

Seit 1999 haben sich die Wasserverluste aufgrund lecker Leitungen um 43 Prozent erhöht, das bedeutet, dass derzeit 40 Prozent des Wassers verloren geht. In dieser Studie heißt es wörtlich: Der Wasserverlust in der Hauptstadt durch Leitungsschäden ist der höchste im Land. Beinahe 1000 Millionen Liter Wasser gehen jeden Tag verloren, genug um 17 olympische Schwimmbecken jede Stunde zu füllen.

In den zu «Krisenländern» dressierten Staaten Portugal und Griechenland wird derzeit vorexerziert, was auch in Österreich möglich ist, wenn ihm von oben ein ähnlicher Sparzwang oktroyiert wird. Diese beiden Länder sind bereits gezwungen worden, Teile ihrer Wasserversorgung zu privatisieren. So soll möglichst schnell möglichst viel Geld in die maroden Staatshaushalte gespült werden. In beiden Ländern revoltieren die Menschen dagegen, denn sie haben Erfahrungen.

Zum Beispiel aus der portugiesischen Gemeinde Pacos de Ferreira. «Die Konsequenzen der Privatisierung des Trinkwassers hier waren verheerend», sagt ein NGO-Aktivist in der erwähnten Sendung. «Wir hatten 400 Prozent Preiserhöhung in wenigen Jahren. Und dann jedes Jahr noch mal 6 Prozent Preissteigerung. Das ist ein Desaster.» In Griechenland ist die Verscherbelung der großen Wasserwerke von Athen und Thessaloniki angesagt.

Eine europäische Bürger_inneninitiative

Eine konkrete Handlungsmöglichkeit für die Verteidiger_innen der öffentlichen Wasserversorgung ist die Unterstützung der «Europäischen Bürger_inneninitiative», die verhindern will, dass Wasser zur Handelsware wird. «Wir fordern die Europäische Kommission zur Vorlage eines Gesetzesvorschlags auf, der das Menschenrecht auf Wasser und sanitäre Grundversorgung entsprechend der Resolution der Vereinten Nationen durchsetzt und eine funktionierende Wasser- und Abwasserwirtschaft als existenzsichernde öffentliche Dienstleistung für alle Menschen fördert», heißt es auf der Website der Initiative www.right2water.eu. Ein Dutzend europäische Bürgermeister_innen aus Amsterdam, Brüssel, Kopenhagen, Neapel, Paris, Wien etc. haben ihre Unterstützung erklärt. Die «Europäische Bürger_inneninitiative» hat freilich einen Nachteil: Sie beschränkt sich auf den Online-Auftritt.

Als weitere Schwäche könnte die nur-europäische Perspektive dieser Kampagne gesehen werden. Aus Europa kam wenig Unterstützung, als im Jahr 2000 in der bolivianischen Stadt Cochambamba ein Krieg um den Ausverkauf des Wassers entbrannte. Die Trinkwasserversorgung war unter Druck der Weltbank einem US-Konzern übertragen worden. Die Indio-Bevölkerung musste über Nacht bis zu einem Viertel ihres Einkommens für Trinkwasser aufwenden. Sogar das Einsammeln von Regenwasser wurde unter Strafe gestellt. Nach blutigen Protesten wurde der Verkauf der Wasserrechte in Cochambamba wieder rückgängig gemacht.

Der Kampf der Maude Barlow

Maude Barlow vom Blue Planet Project und Trägerin des «Alternativen Nobelpreises» ist eine der global agierenden Gegner_innen des Ausverkaufs. «Wir leisten mit allen Mitteln Widerstand und haben die Privatisierungsspirale ein Stück weit aufhalten können. Aber die Weltbank und die Konzerne versuchen es immer wieder mit neuen Taktiken», sagte sie kürzlich in einem TV-Interview. Und nannte ein Beispiel aus ihrem Land, aus Kanada: Die Regierung gibt den Kommunen nur unter der Bedingung Geld für Infrastruktur, dass sie öffentlich-private Partnerschaften einführen. Barlow: «Andere Regierungen versuchen eine Zwangsprivatisierung durchzusetzen. Italien wollte das, aber die Bürger_innen haben in einer Volksabstimmung dagegen gestimmt. Leider kam dann die Europäische Zentralbank und hat gesagt, egal wofür ihr gestimmt habt, ihr müsst euer Wasser privatisieren.»

Mit Befriedigung habe sie wahrgenommen, dass Kommunen, die ausreichend Erfahrungen mit Privatisierungen sammeln konnten, die Konzerne loswerden wollen. «Und wir sind froh, dass viele Kommunen und Stadtverwaltungen das Steuer herumgerissen und die Wasserbetriebe wieder verstaatlicht haben.»

Um die katastrophalen Folgen der Aktivität dieser Firmen zu verdeutlichen, benutzt Maude Barlow den Begriff «Wasserminen», analog zu den Goldminen: «Eine Firma kommt daher und pumpt Wasser ab, bis nichts mehr kommt. Das schadet dem lokalen Wasserhaushalt und vernichtet Wasserquellen. In den Great Lakes in Nordamerika haben die Wasserfabriken durch ihr massives Abpumpen sogar die Strömung des Lake Michigan teilweise verändert. Sie entnehmen zwar weniger als andere Sektoren, tun das aber konzentriert in einem Gebiet. Ganz zu schweigen von den Flaschen: Etwa 250 Milliarden Flaschen pro Jahr. Was passiert damit? Die meisten werden nicht recycelt, sondern landen auf Mülldeponien.»

Sie habe gehört, wie ein Manager einer Getränkefirma sagte: «Wir werden es mit dem Flaschenwasser machen wie mit den Handys.» In einigen Ländern habe man nämlich das Festnetz einfach übersprungen und denen, die es sich leisten konnten, gleich Mobiltelefone verkauft. «Beim Wasser ist das Prinzip dasselbe. Man will keine Leitungen verlegen und Wasserwerke bauen. Das würde ja Geld kosten. Stattdessen sollen alle Wasser in Flaschen kaufen. Das ist einfach nur niederträchtig. Anstatt die Menschen, vor allem die armen, mit sauberem und gesundem Trinkwasser zu versorgen, will man sie vom Flaschenwasser abhängig machen. Das ist Ausbeutung, und ich finde das widerwärtig.»

Eine allgemeine Verbreitung solcher Informationen vorausgesetzt, braucht uns vor dem Resultat der Privatisierungs-Frage im Rahmen der kommenden Wiener Volksbefragung nicht allzu bange werden; damit aber die Informationen fließen, ist das Engagement besorgter Bürger_innen unabdingbar.