Gefangen – eine DorfgeschichteDichter Innenteil

Text: Eva Renner-Martin
Fotos: Nina Strasser

«zu lange an einem Ort macht die ­unsichtbaren Gitterstäbe sichtbar»

Ich sag’s gleich: es handelt sich um die geschichte von mir und dem dorf. Es ist hier wie im gefängnis, und je länger ich hier bin, desto besser verstehe ich die gefangenen. Ich komme einfach nicht mehr raus aus dem dorf. Und wenn, dann wird mir schwindlig. Also muss ich ins dorf zurück, ins haus.
Es ist ein teufelskreis. Hier im dorf ein paar häuser und ein paar nachbarn. Man kennt sich irgendwie, grüßt sich, das wärs dann schon. Es gibt keine dorfgemeinschaft. Leute, die man auf der straße treffen würde und ein paar worte wechseln, sich austauschen, wie es einem geht, hier im dorf, mit ihnen, miteinander. Aber es gibt hier kein miteinander. Es ist ein gefängnis, und das haus ist wie die einzelzelle. Freilich läuft noch die mutter im haus herum. Ein gescheitertes leben: mit 33 zurück zur mutter ins dorf, da es draußen alleine auch nicht ging. Es hat keine vorteile, das sehe ich, je länger ich hier bin. Es gibt nicht einmal ein gasthaus im dorf, auch keinen pferdehof, die sind alle weiter weg, pferde mag ich gern. Vom geliebten jazzclub ganz abgesehen. Es gibt hier einfach nichts, außer die häuser zum wohnen. Und jeder lebt für sich allein. Keine menschen. So gut wie keine menschen. Ob diese umgangsform hier im dorf ein zeichen der individualitätsgesellschaft von heute, 2021 ist? Das 21. Jahrhundert, nur egoismus. Jeder schaut auf sich selber. Sehne mich nach menschen, nach perspektive. Aber hier im dorf gibt’s keine per­spektive. Man kann wohnen, essen, sich anziehen, duschen, spazieren gehen und das licht genießen. Manchmal frage ich mich schon, ob ich mit diesem reduzierten lebensstil leben muss, bis ich sterbe? Ja, wir haben auch telefone und internet, einen fernseher. Nie ruft mich jemand an, außer alle 2 wochen die psychotherapeutin. Und die therapie brauche ich wirklich, zermürbt mich doch das dorf. Per­spektivlosigkeit. Auch im land, in den städten. Es ist kärnten, und hier fehlt mir vieles. Träume, nach klagenfurt zu gehen, weg vom dorf. Träume, nach wien zu gehen. Träume, nach zürich oder genf zu fliegen. Man erhofft sich doch etwas weltoffenheit von den menschen in den großstädten. Ob’s das bringt, alleine unterwegs zu sein? Gefangen hier im haus, im dorf. Immer nur spazierengehen. Immer die gleichen spazierwege. Es ist zum in die luft gehen, so eng ist es hier. Und die mutter ist auch kein offener mensch. Eine andere generation, erstens, und zweitens hat sie damals hier im dorf nicht einmal die 68er mitgekriegt und sich von ihnen deshalb auch nicht anstecken lassen. Vom gegenwind. Schon der urgroßvater lebte im dorf, aber er ging in der monarchie und wegen der arbeitslosigkeit damals wenigstens nach kanada goldschürfen. Nach dawson. Das drang in der kindheit noch zu uns kindern durch. Auch gab es besuch aus kanada, mary und mauty, und aus hamburg oder wien. Damals gab es hier noch ein gasthaus. Warum musste das enden, dieser natürliche, kulturelle ort des austauschs? Die großmutter, zwei onkel, und die mutter lebten immer schon im dorf. Das prägt die mentalität. Ich aber bin ein weltoffener mensch und halte es nicht aus im dorf. Gestern ist ein lidl-magazin gekommen. Reisen. Nach bali, irland oder auf safari nach kenia. Das tut heute eh jeder. Aber ich komme nicht raus aus dem dorf, da ich immer schwindelgefühle bekomme, sobald ich das dorf einmal verlasse. Verbrachte meine kindheit und jugend im dorf. Es ist immer noch gleich, nur dass manche nachbarn aus der kindheit mittlerweile gestorben sind. Man verliert bindungen. Und die neuen nachbarn reden nicht mit uns und isolieren sich und uns. So ist es, wenn man nicht aus dem mini-dorf rauskommt. Nicht einmal einen adeg gibt es hier. Die mutter fährt zum einkaufen mit dem auto. Ich aber kann das dorf nicht verlassen, da mir jedesmal draußen schwindlig wird. Draußen krieg ich schwindelanfälle, und hier im dorf nur belastungen mit der landenge, der perspektivlosigkeit, der sozialen isolation. Ich vegetiere hier herum und träume davon, dass es auch noch was andres gibt. Herzliche menschen, die einen nicht kritisisieren und mit einem schimpfen, so wie das die mutter tut. Es gibt noch andere menschen als die mutter. «only a fool is here to stay», hier bleibt nur ein narr und leidet. Ich leide wohl. Die gespräche mit der therapeutin über das dorf und das leben sind auch nur ein kleiner trost. Spüre eine unfähigkeit, mich an sie zu binden, gefühle zuzulassen, mich fallenzulassen in den gesprächen. Irgendwann enden die gespräche auch mal, dann bin ich wieder allein. Mit der mutter im dorf. Aber ich kann mich nicht mehr an sie binden. Diese zeiten sind vorbei. Zu lange war ich draußen, 15 jahre.
Früher in der kindheit war ich abhängig von der mutter. Man musste es ertragen als kleines kind, abgestraft zu werden. Die gefühle mussten es ertragen. Ich aber vertrage keine strafen mehr, seit ich draußen war aus dem dorf und weg von der mutter. Sie versucht wieder, mich zu bevormunden. Aber man kann sich nicht wie ein 14-jähriges kind bevormunden lassen. Das geht nicht mehr. Es ist ein kampf. Dann gehe ich eben raus in die natur spazieren, wenn’s mir zu viel wird mit der mutter.
Sonst übe ich keine kritik an ihr. Sie kann auch ein lieber mensch sein. In wirklichkeit ist sie zweiwertig, nett und strafend. Doch diese unterdrückung war früher mal. Und doch sehe ich noch andere menschen als die mutter. Die sich anders verhalten. Jedoch lebe ich hier im dorf, im haus mit der mutter. Wie schön wäre nicht bindungslosigkeit, freiheit. Immer die mutter um einen herum, sodass man wieder in eine abhängigkeit rutscht. Mit liebe des kindes hat das nichts mehr zu tun, und auch in der kindheit und jugend fiel es mir schwer die mutter zu lieben. Ich glaube, sie hat auch so ihre probleme. In der kindheit war wenigstens noch die großmutter hier im dorf, die einen liebte und nie strafte. Bis sie eben gestorben ist. Da war ich 19. In der kindheit hat man überhaupt von der enge hier im dorf nichts mitgekriegt. Rundherum war wald, die cousinen waren da, im gleichen alter, und man ging in den wald spielen nach der schule. Landvolksschule.
In kärnten. Es waren die 80er jahre. Dann die 90er im gymnasium in der kleinstadt. Ach, ich weiß heute, österreich ist nur klein. Kärnten klein und eng. Wäre da nicht die perspektive auf slowenien oder italien. Hier in kärnten drängen sich schon 500.000 menschen auf engem raum.
Aber irgendwo muss ich ja wohnen, und das leben allein draußen vom dorf endete nach 10 jahren in obdachlosigkeit, da mir keiner mehr zu einer wohnung verhalf. Auch solche erfahrungen, obdachlosigkeit. 5 jahre mit einem fuß auf der straße leben, ohne wohnung. Ganz sicher. Als ich von außerhalb und der welt wieder ins dorf kam, bin ich eh zusammengebrochen vor schwächung. Wahrscheinlich gefällt es mir deshalb nicht so gut hier. Da es nach dem zusammenbruch ist. Wie soll ich da nochmal raus in die welt, weg vom haus? Eine wohnung traue ich mir nicht zu. Ja mittlerweile, nach meinen erfahrungen mit der obdachlosigkeit in weltstädten wie wien oder paris, frage ich mich manchmal, wozu überhaupt wohnen?
Das ist das beengende am haus, hier angebunden, angehängt sein, nur um zu wohnen. Und dann eben diese schwindelgefühle, sobald ich das haus verlasse. Die kärntner kleinstädte geben mir nichts, zu lange in der gymnasiumsstadt gewesen, die zeiten sind vorbei. Nach wien will ich auch nicht mehr, zu viel stadtlärm, und ich kenne auch niemanden mehr dort. Es ist schwierig, im dorf bleiben zu müssen, unter den obengenannten umständen, und das auch zu wissen. Traurig. Früher war ich doch gewohnt, immer unter menschen gehen zu können, wenn ich wollte, und mich zurückziehen zu können in die stadtwohnung wann immer ich wollte. Solang ich eben die wohnung meiner mutter in wien benutzen durfte. Studentin war ich. Aber wie gesagt, nach 10 jahren wien wurde ich obdachlos.
Und jetzt diese perspektivlosigkeit im dorf. Keine menschen, die einen umgeben, wo man auch einmal jemanden zufällig kennenlernen kann.
«i am not old, i’m told but i am not young, and nothing can be done» (joni mitchell) und irgendeine soziale perspektive brauch ich ja auch. Träume von menschen, menschlichen kontakten, erleben und erfahrungen. Die männer sind eine eigene geschichte. Jetzt mit 40. Ob meine perspektive da generell schon schrumpft? Möchte auf immer kind bleiben, da ging’s mir am besten, und als kindlich-neugierige junge studentin in wien. Bis ich halt obdadchlos wurde, aber in einer schachtel habe ich nie gelebt. Gesehen habe ich sie, die auffälligen pappkartons in stiegenaufgängen, warmen nischen, auf dem weg zur wirtschaftsuni und zum biozentrum. Später, als ich in meiner eigenen obdachlosigkeit oft die nächte in der stadt auf den füßen und schlaflos verbrachte, kapierte ich dann, dass das die wohnungen der obdachlosen in wien waren. Nach so einer warmen nische sehnte ich mich nie. Weiß auch nicht, wo ich in meiner obdachlosigkeit hinwollte, ich war ein angetriebener mensch. Das körpergefühl zu der zeit werde ich nie vergessen. Die pure lebensenergie, wenn es nur noch ums überleben geht, einen schlafplatz zu finden, vielleicht in der s-bahn oder im nachtzug irgendwohin, oder am schwechater flughafen. Das waren so meine ideen. Aber ich war ja auch nur mit einem fuß auf der straße. Hätte jederzeit nach kärnten zurück können, zurück zur mutter. Aber das wollte ich nicht, und so lebte ich eben schlaflos in österreich, wien, oder auch in sarajevo, laibach, kopenhagen, marrakesch, toronto, paris, marseille oder zürich. Und jetzt das dorf. Erst 5 jahre bin ich wieder hier. 18 + 5 jahre, das wären 23 jahre dorfleben mit der unterbrechung von 15 jahren, wien, studentenleben, und dann obdachlos herumziehen in der welt. Ein gescheitertes leben wie gesagt, derzeit sieht’s wohl so aus. Hab mich eben den umständen gefügt und bin herumgezogen, als ich keine wohnung hatte. Und jetzt das dorf, das haus, und die schwindelgefühle beim draußen sein aus dem dorf. Keine ahnung warum, aber manches belastet mich wohl. Vielleicht ist es psychischer schwindel.
Gerade war ich spazieren unten am land. Immer die gleichen spazierwege. Aber da ich ja im dorf bis auf weiteres bleiben muss, bleibt mir nichts anderes übrig. Man müsste auch von hier wieder richtung welt kommen, denn die welt, die menschen, das ist hier nicht. Wenn mir nicht so leicht schwindlig werden würde. Was ich mir wohl von klagenfurt, wien, zürich oder genf erwarte, frage ich mich. Zum schluss wird mir bei einem städtetrip auch schwindlig dort, so allein. Die bindungen fehlen mir total, nirgends mehr, wo ich mich sicher fühle. Auch nicht im haus, im dorf. Ein entwurzelter mensch, wie eine entwurzelte pflanze, kein ort mehr, auf den man sich freut, habe nicht das gefühl, hier bleiben zu können, muss ich aber, im dorf. Was heißt hier bleiben, wir sterben einmal und das war’s dann mit bleiben. Weiß noch nicht, ob ich in meinen 40ern ein (wieder) reisendes , herumgetriebenes leben führen kann und will, oder ob ich hier im dorf bleibe, das haus nütze.
Irgendwie ist es schön hier, in diesem kärntner dorf, dem mini-dorf mit seinen kaum zwanzig häusern, aber es zieht mich schon noch hinaus in die welt. Und zu menschen zieht es mich auch. Bin keine einzelgängerin. Zu pro mente in spittal kann man ins caféhaus gehen. Das procafé für psychisch kranke und ihre freunde und familie. Das ist bis jetzt der einzige ort, den ich in meiner früheren gymnasiumsstadt gefunden habe, wo ich hingehen kann. Das belastet mich nicht, und dort gibt’s immer jemanden, der fragt wie’s einem geht und anteil nimmt, etwas zuwendung gibt. Und zuwendung, die brauche ich. Nach meiner vereinsamung in der psychiatrie. Leider war ich dort, im krankenhaus. In der irrenanstalt. Das beeinflusst mich schon, ist eine stigmatisierung auf lebenszeit. Und oft stehe ich so unter druck und kann mit meiner bisherigen lebensgeschichte nicht leben, dass ich am liebsten einen anderen namen hätte und untertauchen würde. Doch nach dem zusammenbruch bin ich geschwächt und kraftlos. Habe derzeit nicht die kraft für die welt.
Ein teufelskreis nr. 2. Die krankheit und die schwächung des körpers, der psyche. Hier im dorf sehe ich außer der mutter nur selten menschen. Wenn dann die nachbarn, wenn ich aus dem fenster schaue. Aber wie gesagt, man grüßt sich ja nur. Keiner, der hinter die oberfläche blickt. Bin ich überhaupt noch gemacht für menschliche Kontakte? Ich will die Hoffnung nicht aufgeben, doch noch einmal freundliche, aufgeschlossene menschen zu treffen und kennenzulernen. Hier im dorf geht das natürlich nicht. Auch bin ich ans haus gefesselt, das auch isoliert, eine gefangene. Abgetrennt von den menschen hier im haus. Gefällt mir nicht.
So viel zu sagen, dauernd drückt es in mir herum, und so schwer zu formulieren ist es. Es ist ein versuch. Eigentlich will ich hier nicht schon wieder auf die psychiatrie und die psychische krankheit eingehen. Es hat mit vereinsamung zu tun, das sicher. Freilich war die psychiatrie eine schlimme erfahrung, kurz muss ich noch darauf eingehen. Mit 26 nach dauerstress im studium in wien landete ich in der psychiatrie in klagenfurt. Das erste mal, dass ich eine psychiatrie sah. So geht es vielen, mag man meinen, und doch scheint meine geschichte etwas unvergleichliches zu haben. Auch ich bin ein individuum, und früher als studentin war ich sogar individualistin. Ich bin aus der schule mit dem gefühl rausgekommen, es nicht wie alle machen zu müssen, und auch nicht zu wollen. Also suchte ich mir meinen eigenen weg, getragen von musik als lebensbegleiter, in der pubertät schon brenda kahns outside the beauty salon und ani di franco, und später im studium wieder die beiden künstlerinnen, obendrein alte musik, schubertlieder, noir desir oder tania donelly. Eine zeitlang sinead o’connor, ja ihre klarheit auf i do not want what i haven’t got berührte mich mit zwanzig sehr. Und so viele weitere künstler und künstlerinnen, tori amos, lloyd cole, heather nova oder lou reed. Sie arbeiteten alle gegen unterdrückung von gefühlen und gedanken, waren subversiv. Getragen von kunst als lebensbegleiter, valie export und yves klein, die ich in der schule kennenlernte, später in wien dann anri sala, peter pongratz oder xenia hausner und jenny holzer. Gab mir viel, kunst. Und eigentlich wollte ich auch künstlerin werden. Etwas selber und frei schaffen. Mich ausdrücken. So versuche ich es eben jetzt, mit den mitteln der sprache. Schreiben tue ich schon lange, seit der schule schrieb ich immer wieder gedichte, gewann auch einen preis beim 1. kärntner jugendlyrikwettbewerb. Und schrieb auch während des studiums. Bis die naturwissenschaft, die biologie als studium kam, mit ihrer zu lernenden fachsprache, die viele meiner gefühle und ansichten leider verdrängte, so konnte ich mich nicht ausdrücken, mit den mitteln der wissenschaft. Las gerne als studentin in wien, bücher über tagträume, einsamkeit, die einsamkeit des schöpferischen menschen, nadine gordimer, kobo abe, friedrich dürrenmatt oder kathy reichs. Auch segelbücher von tania aebi oder bobby schenk, zwei menschen die ich bewunderte, und ich wollte auch so leben wie sie. Um die welt segeln nach dem biologiestudium, und insel-hopping. Ich war zufrieden mit meinem studentenleben als junger mensch, begleitet von musik , kunst, literatur, wissenschaft, einsamkeit und bewegung. Mit 26, vor fast 15 jahren, brach dann die psychische krankheit aus, es war eine übererregung der nerven, die ich auch lange jahre beibehielt. Vielleicht leide ich ja doch an der manischen depression? Wer weiß, die diagnose war jedenfalls wahnhafte störung und schizoaffektive störung. In einer manie würde ich mich schon wiederfinden, wegen meiner starken angetriebenheit und der intensiven positiven emotionen. Auch war mein handeln um die 30 nicht immer ganz realistisch, als ich ohne geld allein auf den balkan oder nach marokko fuhr. Ich dachte nicht viel, hauptsache, ich fuhr und kam weg von der mutter und vom dorf, weg von kärnten, das mir durch die psychiatrie nur schmerzen zufügte. Es war schlimm, ja, in einer psychiatrischen anstalt zu landen, schockte mich sehr, und es ist auch ein grund für meine weitere psychische krankheit, der riesige psychiatrie- und krankenhausschock. Diesen erlebte ich öfters. Einmal 2007/08 und dann zum beispiel 2010. Es verletzte mich. Es gibt noch andere umgangsformen mit erkrankten menschen als die oft grobe psychiatrie, in der schließlich doch auch die menschenrechte in frage gestellt werden. Liebe und zuwendung hätte ich gebraucht, als verunsicherter und wahnhaft gewordener mensch, und jemanden, der mir die krankheit erklärt und eine gute begründung für seine erklärungen findet. Ruhe. So war es aber nicht. Im psychiatrischen krankenhaus war ich nicht lang genug. Es kam gar nicht zur aussprache. Hinein, und schwupps hinaus ins leben, ins alte studentenleben. In wien fragte ich mich oft, warum muss ich alles alleine machen? Das tat weh, aber so war es, ich bestritt mein leben weitgehend allein, vorlesungen, seminare, professoren, kollegen, prüfungen, wenn man freie zeit hatte, bummeln, turnübungen für den körper in der wohnung, spaziergänge im park schönbrunn, lebensmittel einkaufen. Ich vereinsamte wohl in wien in meiner studentenzeit, war ein nachdenklicher mensch, und es spitzte sich eben zu, sodass die natürliche wachsamkeit, die man empfindet, wenn man allein als junge frau in der großstadt unterwegs ist, zu überwachsamkeit und dann zu wahnstimmungen wurde. Der studiumsabschluss belastete mich sehr, und auch die dauernden prüfungen über 7 jahre und das dauernde lernen waren eine kleine dauerbelastung und dauerstress. Es verlief ungünstig und meine mutter und ein onkel brachten mich eben mit 26 in die psychiatrie nach klagenfurt. Ich heilte dort nicht, nein, holte mir eine handfeste störung, die bis heute mit 40 noch anhält. Bin ich unheilbar krank? Hoffentlich nicht! Ja ich hoffe nach wie vor auf besserung und normalisierung. Denn als psychisch erkrankter mensch ist man plötzlich nicht mehr so belastbar und nicht mehr so leistungsfähig. Das will ich aber sein. Normal fürs leben belastbar. Das bin ich aber momentan nicht, weshalb ich über das vegetieren im dorf auch einen roman schreiben könnte. Mir fallen da zusammenhänge auf, die meine mutter, mit der ich im haus lebe, einfach nicht so empfindet. Sie hat ja immer im dorf gelebt, seit ihrer kindheit, und bis auf einen kurzen ausflug in die pädak nach klagenfurt ist sie auch nie wieder von hier weg. Ich bin aber entwurzelt. Gefällt mir auch nicht, und ich hätte wieder gerne die alten, freundschaftlichen bindungen an das dorfleben. So ist es nicht. Ich bin irgendwo in der bindungslosigkeit gelandet, leider. Durch mein vieles herumreisen jahrelang, und durch das immer wieder vom haus aus ins krankenhaus manövriert werden. Anders kann ich es mir nicht erklären, aber ich war ja hin und hergerissen zwischen verschiedenen orten. Das krankenhaus ist mir in keiner guten erinnerung – dorthin abgeschoben werden?
Und jetzt die einsamkeit hier im kleinen dorf, mit allem erlebten und den erfahrungen. Es ist noch schlimmer als psychisch erkrankter mensch im dorf, als wenn man gesund wäre. Gesundheit des körpers und des geistes wären anzustreben. Es gibt doch einige bücher zu obdachlosen und ganz viele zu psychiatrie und psychischen erkrankungen … zum beispiel obdachlos und psychisch krank, was mich ja betrifft oder betroffen hat, oder auf die straße entlassen, was mich auch schon betraf.
Es war eine unruhige, wilde zeit, zwischen 26 und 33, für mich, 7, 8 jahre. Und jetzt die 6 jahre bei der mutter im dorf, im haus zu leben. Es ist wie oben beschrieben. Soziale isolation und dann noch randgruppe der «gesellschaft» zu sein! Will wieder mehr unter menschen, es muss mir doch auch von hier aus gelingen, vom mini-dorf aus …

Eva Renner-Martin (*1981 in Villach/Österreich) hat 1997 den Würdigungspreis beim 1. Kärntner Jugendlyrikpreis gewonnen. Ihr Leben als «bürgerliche» Biologiestudentin wurde durch psychische Erkrankung und Wohnungsverlust erschüttert. In ihren Jahren auf der Straße ist sie viel herumgekommen – von Marrakesch bis Toronto –, weil sie nirgends mehr zuhause war.
Sie schreibt auch fürs Megaphon in Graz und publiziert im united p.c. Verlag. Bücher, die erschienen, sind u. a. gedankensammlung mit schwarzer katze, OBDACH-LOS, in dieser spießbürgerlichen welt (2021).

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