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Warum sind Ideen, die den Schwachen die Schwächsten zum Opfer darbringen, so erfolgreich? Weil sie Angst nehmen? Möglich, aber vielmehr noch, weil sie die Person, die andere abwertet, in eine Position der Stärke bringt. Wir ermächtigen uns damit selbst, über andere zu verfügen. Es geht um die Kontrolle des sozialen Abstands zu den anderen. Das muss man verstehen, damit man nicht bloß moralisch korrekt, sondern auch gesellschaftlich wirkungsvoll auf Sündenbockpolitik reagiert.
Ich sehe drei Perspektiven:
1. Menschen in eine Position der Stärke bringen. Selbstwirksamkeit und Ermächtigungen ermöglichen, Handlungsspielräume ausweiten.
2. Nicht «Ängste und Sorgen» nachplappern und damit die ganze Gesellschaft noch weiter neurotisieren, sondern Wünsche, Begehren, Lust der Betroffenen freilegen, an den gefesselten Verwirklichungschancen, dem verbotenen Genuss ansetzen. Je schlimmer das eigene Sich-Versagen, desto härter die Absage an die Schwächeren. Wer nicht mehr genießen kann, nicht mehr genießen darf, wird ungenießbar.
3. Kränkungen wahr- und ernst nehmen und nicht zukleistern, nicht mit Ignoranz oder trügerischen Hoffnungen wegreden. Die soziale Disqualifizierung von Hunderttausenden von Menschen wird nicht wahrgenommen. Ihre Situation wird heruntergespielt, mit leeren Parolen zugedeckt. Die Ignoranz rächt sich spätestens dann, wenn in dieser Arena des Kampfes um Anerkennung, die Demagogen und Hetzer das alleinige große Wort führen
Dass mittlerweile auch breite Bevölkerungsschichten, zumindest zeitweilig, von sozialem Abstieg betroffen sein können, hat das Problembewusstsein verstärkt; gleichzeitig aber auch die Abwehrmechanismen mobilisiert, die das allzu Nahe weit weg rücken sollen. Im Unheimlichen äußert sich etwas, das «im Verborgenen hätte bleiben sollen und hervorgetreten ist», hat Sigmund Freud formuliert. Das Unheimliche ist gerade nicht jenes absolut Fremde, als das wir es gerade erleben. Es ist vielmehr das heimlich Vertraute. So rührt das Unheimliche an etwas in uns, das auf eine beunruhigende Weise schon vertraut ist.
Solidarität kann wachsen aus der Einsicht, dass es mir gut geht und es deshalb auch andere gut haben sollen. Oder dass mir das auch passieren kann, und ich dann auch gut behandelt werden will. Eine mit belastbarer Solidarität ausgestattete Gesellschaft ist Voraussetzung für den Schutz ihrer schwächsten Mitglieder. An die Arbeitsplatzbesitzer: Dass Erwerbslose nicht schikaniert werden, dass die, die Sozialleistungen beziehen, nicht gegen diejenigen ausgespielt werden, die sie womöglich bald brauchen werden, nützt auch euch: Es verhindert Lohndumping und den Abbau von sozialen Rechten. Und: Job verlieren geht mittlerweile schneller als gedacht.
Gerade jetzt geht es um eine Sozialpolitik, die nicht bevormundet, sondern Freiheitsmöglichkeiten und Autonomie vergrößert. Wie eine Gesellschaft mit den «Ausgegrenzten», den «Anderen» umgeht seien es Arme, Migrant_innen, Langzeitarbeitslose , ist eine Art Seismograph für ihren inneren Zustand, nicht zuletzt für ihre Neigung zum Autoritären und zu einer Sündenbock-Politik. Darum geht es im Engagement für Gerechtigkeit nicht bloß um sozialen Ausgleich, sondern gleichzeitig auch um das Maß an Freiheit in einem Land.