Gegen die Londonisierung WiensArtistin

Mehr Wissen für die «Recht auf Stadt»-Engagierten denn der Gegner ist gerissen

Was uns abging: eine Informationsquelle, die uns in gebündelter Form zum Wissen über Stadtentwicklung führt. In so vielen Fragen teilen wir die Unsicherheit der stadt- und wohnpolitisch Engagierten: Hat es Sinn, sich auf sogenannte Bürgerbeteiligungsverfahren einzulassen? Ist es realistisch, von der Stadt die Wiederaufnahme des kommunalen Wohnbaus zu verlangen? Ohne Zweifel müssen wir kompetenter werden. Ein neues Wissensvermittlungsprojekt urbaniZm.net wird uns dabei unter die Arme greifen.

Endlich ein echt kritischer Stadtplanungsblog mit Wien-Schlagseite! Zwar ist urbaniZm.net erst im Aufbau begriffen. Aber: relevanter Inhalt, sehr brauchbar für alle, die dahinter kommen wollen, welche Kräfte am Werk sind, die unsere Wienerstadt genauso wie die anderen Städte in eine Richtung treiben, die von den Bedürfnissen der 99 Prozent wegführt, in die Höhenrichtung etwa: Wer ist für den Wettbewerb der Phallussymbole, der uns Wolkenkratzer voller Büroräume beschert, für die es null Nachfrage gibt? Sehr brauchbar auch für alle, die für unser aller Recht auf die Stadt kämpfen, von den Hausbesetzer_innen bis zu den Bürger_inneninitiativen, die gegen Gentrifizierung kämpfen.

 

urbaniZm.net schaut sich auch in der Welt um, schaut sich Städte an, die blöderweise zum Vorbild für das offizielle Wien wurden, wie das durch Olympia veränderte London. urbaniZm.net verlinkt uns mit einer «Spiegel»-Reportage über Stratford, ein bisher eher als Arbeiter_innenviertel wahrgenommener Stadtteil in London. Die Olympischen Spiele fanden gleich ums Eck statt, das heißt: Mega-Investments wie z. B. in Shopping Malls finden nur ein paar Straßen weiter statt. «Die Eröffnung des größten Einkaufszentrums Europas im zweitärmsten Bezirk Englands hat die lokale Ökonomie durcheinander gewirbelt. Der Morgenhandel ist komplett weg gebrochen, klagt Obsthändler Reggie Metcalfe. Er baut seinen Stand jeden Tag um sieben Uhr auf, doch das Zentrum öffnet erst um zehn Uhr und die Leute richten sich danach. Sein Umsatz sei um 30 Prozent zurückgegangen, sagt er. Dabei liegt sein Stand noch am nächsten dran an dem neuen Gravitationszentrum der Nachbarschaft.»

 

Ein Thema von urbaniZm.net ist die strukturelle Feindseligkeit Wiens gegenüber allen Formen selbstbestimmten und alternativen Wohnens. Wegen der steigenden Grundstückspreise, der laufenden Privatisierung öffentlichen Grundes und des enormen Einflusses der Monopolbaukonzerne und der Mega-Investoren auf das Baugeschehen bleibt den selbstgewählten Nachbarschaften kaum Platz zur Entfaltung. Immerhin lässt die Rathausspitze nun eine Nische zu. Fünf unterschiedliche Baugruppen können auf dem Gelände des ehemaligen Flugfelds Aspern ihre Ideen von gemeinschaftlichem Bauen und Wohnen realisieren die Baugruppen B.R.O.T., LiSA, Seestern, Pegasus und JAspern. Letztere verdient wohl den Sozial-Spott, den urbaniZm.net für sie bereithält: Von den 12 auf der JAspern-Homepage angegebenen Proponent_innen sind drei deklarierte Doktor_innen, sieben nur Akademiker_innen, und bei zwei ist es gar möglich, dass sie über keinen akademischen Grad verfügen. Einer der Proponent_innen ist gar Kurt Hofstätter seines Zeichens Stadtplaner und Mitarbeiter der Wien 3420 AG , also jener Gesellschaft, die die «Seestadt», wie das Stadterweiterungsprojekt im 22. Bezirk großspurig betitelt wird, entwickelt.

 

Der Platz des gebrochenen Herzens

 

Wenn das Experiment, neue Wohn- und Lebensformen zu praktizieren, ins Subkulturelle geht, ist es aus mit der neuen Wiener Toleranz gegenüber Experimenten. Auch davon berichtet der neue Blog. Das «Seestadt Aspern»-Management verweigert, wie auch der Augustin berichtete, einer auf Rädern lebenden Gruppe sie nennt sich «Wiener Gänseblümchen» oder auch «Wagenplatz Ausschussware» alias «Trailer Park Broken Heart» die temporäre Benutzung des Parkstreifens im Westen der künftigen Seestadt Aspern. Und zwar wegen «Sicherheitsbedenken» und nicht, weil der Platz für sofortige Bebauung gebraucht wird; wird er nämlich nicht!

 

Der Gruppe nimmt an, dass die Vorurteile, die ihr entgegenschlagen, auf verwurzelte Ressentiments gegenüber nicht-sesshaften Lebensweisen zurückzuführen sind: «Während jeder sesshafte Bauer, jede sesshafte Bäuerin ohne Beanstandung abgerissene bzw. marode Schuppen benutzt, werden bei den Wagenbewohner_innen alte Wagen zu Dreckskübeln stilisiert, Brennholzhaufen als chaotische Zustände beschrieben und gelagertes Baumaterial und zugehörige Baustellen als untragbar bezeichnet», heißt es in einem «Gänseblümchen»-Manifest.

 

Wien könnte leicht in den Ruf einer zum Avantgardismus neigenden Stadt geraten, wenn es etwa eine magistratische Stelle zur Koordinierung der «Second Hand Spaces» einrichten würde. Second Hand Spaces sind Räume, die ihre ursprüngliche Nutzung verloren haben und nun offen sind für neue Ideen und Experimente. Sie sind geprägt von den Spuren ihrer vorherigen Nutzung und der Unklarheit ihrer Zukunft. Zwischennutzungen recyceln diese Räume auf Zeit und erfüllen dabei zentrale Aspekte von Nachhaltigkeit. urbaniZm.net berichtet über eine internationale Zwischen-Nutzungs-Konferenz, die im Juni in Deutschland stattfand. Mensch staunt, was anderswo möglich ist, selbst unter denselben neoliberalen Diktaten.

 

Genug der Propaganda, benützen Sie nun selbst die Adresse http://urbanizm.net