20 Jahre Augustin: Jahrgang 2001 – Augustin ist sieben
Braucht Augustin mehr Humor? War die «erste österreichische Boulevardzeitung» früher lustiger? Vielleicht. Mit dem Format «Briefe an Dr. Sommer» gab es jedenfalls über Jahre eine satirische Auseinandersetzung mit aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen auf hohem Niveau. Robert Sommer über Anfang und Ende der Serie und die Funktion von Satire im Augustin. Von Jenny Legenstein
«Interessant ist vielleicht, dass ich den Dr. Sommer nie gelesen habe», erzählt Robert Sommer. Denn Bravo-Leser war er keiner, trotzdem war ihm der Name des Sexualberaters im Teen-Magazin ein Begriff und die «Briefe an Dr. Sommer» im Augustin waren natürlich eine Anspielung darauf. Die Folge war sozusagen eine ad-hoc-Promotion, «viele Leute haben mich dann als Dr. Sommer angesprochen.» Nahezu alle der fiktiven Anfragen meist prominenter Personen des öffentlichen Lebens und die Antworten darauf hat Robert selbst verfasst. Eine recht aufwändige Arbeit, denn um den Sprachduktus der Briefschreiber_innen möglichst authentisch nachzuahmen, musste er ziemlich viel «Originalliteratur» der betreffenden Leute lesen. Naturgemäß finden sich vorwiegend Politiker_innen wie zum Beispiel Helene Partik-Pablé, Michael Häupl und Jörg Haider unter den persiflierten Schreibenden, aber auch Journalist_innen (etwa Presse-Chefredakteur Andreas Unterberger und Marga Swoboda) sowie Persönlichkeiten aus Wirtschaft (z. B. Jenewein GF Günther Tengel), Sport (Hannes Kartnig u. a.) und Entertainment (DJ Ötzi, …).
Robert verrät: «Die Idee war eigentlich vom titanic gestohlen. Da gab es eine Rubrik mit fingierten Briefen an den Herausgeber, wobei es völlig klar war, dass es satirisch war, während ich mich ja bemüht habe so zu schreiben, dass Leute, die es lesen, nicht auf den ersten Blick draufkommen, dass es Satire ist. Man hätte sich vorstellen können, dass die betreffende Person tatsächlich so schreibt.» Die Promi-Schreib-Mimikri gelang offenbar so perfekt, dass selbst ein Medien-Profi wie der Standard-Kolumnist Günther Traxler einen vermeintlich echten Brief der damaligen Opernball-Organisatorin Elisabeth Gürtler im «Blattsalat» zitierte. In der Online-Community der lachsrosa Zeitung hagelte es Kritik auf die Opernball-Mutter, die anscheinend gebeten hatte «in Hinkunft davon Abstand zu nehmen, Ihren Opferball in den zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang mit unserem Opernball zu stellen.» Die Augustin-Redaktion sah sich bemüßigt klarzustellen, dass die Kolumne als Satire konzipiert sei und der Inhalt des Briefs frei erfunden. In seinem Antwortbrief bezeichnet «Dr. Sommer» den Opernball übrigens als «sekundäres Ereignis» und als «mißratene Kopie des Opferballs», es gäbe nur eine Rettung für den Opernball:«Augustin-KolporteurInnen übernehmen die Oper.»
Auch ein Margaretener FP-Bezirksrat namens H. C. Strache konnte oder wollte den Witz der Sache nicht erkennen als er sich als ein bei Dr. Sommer Ratsuchender fand. Er klagte den Augustin. «Sein Rechtsanwalt hat gemeint, es sei nicht eindeutig als Satire erkennbar. Es hat, glaube ich, mit einem Vergleich geendet» erinnert sich Robert. Das werfe die Frage auf, dass es sehr zweischneidig sei, Ironie zu verwenden, «weil du sofort eine Trennung hast von Leuten, die es verstehen und denen, die es nicht verstehen. Und die es nicht verstehen, die sind in Gefahr als Idioten hingestellt zu werden» relativiert der Augustin-Mitbegründer den Erfolg der Kolumne. Das war dann auch der Grund sie nach ungefähr fünf Jahren einzustellen. «Warum ich aufgehört habe, war nicht, weil uns keine Themen mehr eingefallen wären, sondern dass wir ein bisschen schockiert waren wie leicht man hereinfallen kann. Es so zu schreiben, dass es ganz leicht als Satire erkennbar ist, hat mir nicht getaugt, das war keine Herausforderung. Es hat nur dann einen Sinn ironisch zu schreiben, wenn man diese Gratwanderung macht.»
Wichtig ist es Robert festzuhalten, dass sich Satire im Augustin immer gegen die «Oberen» richtet. Das sei auch der Unterschied etwa zu «Charlie Hebdo». «Ich teile deren Religionsfeindlichkeit. Aber wenn ich als Westler Mohammed lächerlich mache, muss ich verdrängen, dass er ein Symbol unterprivilegierter Schichten ist. Das hat Tucholsky sicher nicht gemeint als er sagte: Satire darf alles. Das wird oft zitiert. Außerdem hat er gesagt ‹darf› alles, nicht ‹muss› alles» erläutert Robert, und überhaupt: «Es ist eines der schwersten Geschäfte im Journalismus, gute Satire zu schreiben.»
Info:
2001 zahlen Frau und Herr Östereicher noch mit Schilling. Ein Augustin kostet 20 «Ösen», dem/der Verkäufer_in bleibt ein Zehner. Was Ferdinand Lacina von so einer Umsatzaufteilung hält wissen wir leider nicht. Im Augustin-Interview zerpflückte der Ex-Finanzminister ein bisschen das «Nulldefizit» der blauschwarzen Regierung und redete Privatisierungen schön. Eine Fotostory von Barbara Krobath erinnert an das damals schon längst nicht mehr existierende «Hotel Banane», wo sich Obdachlose in einer aufgelassenen Lagerhalle im 2. Bezirk selbst eine Unterkunft schufen bis Bagger Platz für Büroarchitektur machten. Auch das legendäre Männerheim in der Meldemannstraße ist mittlerweile Geschichte. Zwei Jahre vor dem endgültigen Aus der historischen Schlaf- und Wohnstatt im 20. brachte Augustin über die Institution eine Reportage, die bereits ein Nachruf war. Im Sinne des Slogans «Recht auf Stadt» und der Rückeroberung des Öffentlichen Raums (vgl. auch Kollege Schachner in Ausgabe 386) erklärte die Augustin-Crew die Gestade des Wienflusses zum Stadtstrand und Leserbriefschreiberin Isabelle Z. berichtet begeistert vom ersten permanent Breakfast in Schwechat und fragt, wann es ein solches auf der Mariahilfer Straße geben wird. Wir freuen uns 14 Jahre später endlich einen Termin dafür gefunden zu haben: Am 21.5. ab 10.30 gibt´s ein Augustin Breakfast auf der MaHü.