Bogdan Bogdanovi und seine Flucht ins Surreale: Interview mit Reinhard Seiß
Dem Belgrader Architekten, Urbanisten, Literaten und Philosophen Bogdan Bogdanovi ist derzeit eine Ausstellung im Architekturzentrum Wien gewidmet. Der Wiener Raumplaner, Filmemacher und Fachpublizist Reinhard Seiß hat einen zweistündigen Dokumentarfilm über den nun in Wien lebenden großartigen Nonkonformisten gedreht, Roman Seidl, ebenfalls Raumplaner und Fotograf, sprach für den Augustin mit Seiß über den Film, über Bogdanovi und dessen Heimat aber auch über Wien.Im Mittelpunkt der Bogdanovi-Ausstellung im Architekturzentrum stehen Entwürfe, Zeichnungen und Fotos seiner mehr als 20 surrealistischen Denkmäler gegen Krieg und Gewalt, die er zwischen den 50er- und 80er-Jahren in Jugoslawien errichtet hat. Neben seinem architektonischen Hauptwerk faszinieren an Bogdanovi aber auch noch seine zahlreichen Bücher über das Wesen der Stadt oder auch des Krieges, seine Vergangenheit als kommunistischer Partisan, als unorthodoxer Hochschulprofessor, als Bürgermeister von Belgrad oder als Oppositioneller gegen das chauvinistische Miloevi-Regime. Dieses zwang ihn 1993 zur Flucht nach Wien, wo er seither mit seiner Frau lebt. Von all dem handelt Seiß Dokumentarfilm.
Ausgehend von den Denkmälern setzt Seiß Bogdanovis surrealistische Architektur in Beziehung zu dessen Literatur, zu seiner humanistischen Gedankenwelt sowie zur Geschichte und Gegenwart (Ex-)Jugoslawiens.
Roman Seidl: Bogdan Bogdanovi ist in Österreich ja nur sehr wenigen ein Begriff. Wie war dein erster Zugang zu ihm?
Reinhard Seiß: Ich wusste von ihm ursprünglich auch nur, dass er ein Architekt ist, der gescheite Bücher über die Stadt schreibt und in den 80er-Jahren auch einmal Bürgermeister von Belgrad war. Vor über drei Jahren sprach mich dann eine gemeinsame Bekannte auf Bogdanovi an, weil sie es unerträglich fand, dass sein Lebenswerk, nämlich seine Denkmäler, bis dahin in keiner Form dokumentiert waren. Bei einem gemeinsamen Besuch zeigte mir Bogdan Bogdanovi dann in seinem Wohnzimmer alte Dias von seinen Bauten und erzählte herrliche Anekdoten zu jedem Monument. Noch am selben Abend fragte ich ihn, ob es ihm recht sei, wenn ich einen Film über ihn und seine Denkmäler mache.
Wie konntest du einen Film über ein so spezielles Thema finanzieren?
Das geht nur mit öffentlichen Fördergeldern und einigen wenigen sehr engagierten Sponsoren. Trotzdem hat es über ein Jahr gedauert, bis ich das Budget beisammen hatte. Doch auch das hätte nicht gereicht, wenn ich nicht Mitarbeiter und Partner gehabt hätte, die mich nicht aus finanziellem, sondern aus inhaltlichem und künstlerischem Interesse unterstützt haben. Unter rein kommerziellen Bedingungen würde so ein Thema garantiert unter den Tisch fallen.
Deine bisherigen Texte und Filme behandeln vorwiegend urbanistische Themen. Nun sind die Denkmäler von Bogdan Bogdanovi ja eher ein Grenzbereich der Architektur, am Übergang zur bildenden Kunst.
Wie bei jeder Dokumentation habe ich natürlich auch für diesen Film lange Gespräche mit Experten geführt. Und glücklicher Weise sind sechs Bücher von Bogdanovi auch auf Deutsch erschienen, die mir halfen, in seine Gedankenwelt einzutauchen. Ich muss aber gestehen, dass die Denkmäler allein bei aller Faszination dafür zu wenig Motivation gewesen wären, um mich zwei, drei Jahre lang so intensiv Bogdanovi zu widmen. Ausschlaggebend war für mich die Komplexität des Themas, etwa die Bezüge zwischen seiner Architektur und seiner Literatur, die auch filmisch reizvolle Einbettung der Denkmäler in die umgebende Landschaft, seine spannende Biographie, in der sich acht Jahrzehnte jugoslawischer Geschichte spiegeln, und nicht zuletzt die politische und gesellschaftliche Dimension seiner Denkmäler, die bis herauf in die Zeit nach den Bürgerkriegen reicht. Ich sehe den Film also weniger als kunsthistorische denn als zeitgeschichtliche Dokumentation, in der auch Themen wie das Schicksal von kriegszerstörten Städten oder der Umgang mit Multikulturalität angesprochen werden.
Sind die Denkmäler im Film also nur Mittel zum Zweck?
Keinesfalls. Die Denkmäler haben etwas Einzigartiges, und das zu zeigen war mein Hauptanliegen. Bogdanovi war der erste und wohl auch einzige bedeutende jugoslawische Künstler, der sich vom Dogma des sozialistischen Realismus löste und die Aufgabe von Denkmälern nicht darin sah, die Betrachter zu ermahnen, zu überzeugen oder gar zu erziehen. Einzigartig und das weit über Jugoslawien hinaus ist nicht nur seine zeitlose, archaische Formensprache, sondern vor allem sein metaphysischer, ja geradezu spiritueller Zugang zu Inhalten und Symbolen, der dabei nichts Religiöses oder Banal-Esoterisches hat. Mit diesem Tiefgang Friedrich Achleitner spricht von einem aufgeklärten Mystizismus hebt sich Bogdan Bogdanovi für mich wohltuend von der Eindeutigkeit, ja oft auch Einfältigkeit vieler im heutigen Kunstbetrieb ab. In seinen Büchern ergründet er die Tiefen der menschlichen Seele und die Denkmäler sind ein künstlerischer Ausfluss seiner psychoanalytischen oder, wie er selbst es nennt, anthropologischen Forschungsreisen in andere Bewusstseinswelten. Damit schließt er eigentlich an das vormoderne Selbstverständnis des Künstlers als Medium an, das Botschaften und Weisheiten wahrnimmt, die anderen verschlossen bleiben. Das Wort Inspiration drückt, finde ich, sehr gut aus, worum es bei Bogdanovi geht. Und dieser Spirit wird in Form seiner Denkmäler für viele Menschen greifbar nicht rational, sondern seelisch.
Ich habe die einzelnen Denkmäler im Film sehr unterschiedlich empfunden. Das Kapitel über die Gedenkstätte im ehemaligen Konzentrationslager Jasenovac etwa kam mir sehr dicht vor, weniger hingegen konnte ich mit Vukovar verbinden.
An Vukovar ist für mich das Besondere, dass sich dort die Irrationalität des Krieges in der Zerstörung der Altstadt und nicht zuletzt auch in der Zerstörung des Denkmals zeigt. Wenn jemand im Krieg einen Menschen tötet, könnte man nicht, dass ich das glaube vielleicht noch annehmen, er habe das als Selbstschutz getan. Aber ein Denkmal zu zerstören, zeigt unverkennbar, wie blind und dumm dieser Hass ist, der sich in jedem Krieg ausdrückt. Bogdanovis Gedenkstätte in Vukovar ist serbischen Zivilisten gewidmet, die an dieser Stelle im Zweiten Weltkrieg von den Faschisten hingerichtet worden waren. Trotzdem wurde sie im Bürgerkrieg Anfang der 90er-Jahre von serbischen Verbänden beschossen, paradoxerweise also von den Söhnen jener Opfer, derer hier gedacht wurde.
Nach welchen Kriterien hast du aus den über 20 Denkmälern die sieben im Film gezeigten ausgewählt?
Nachdem ich das reichhaltige Bildmaterial von Bodanovis Arbeiten im Architekturzentrum Wien sichten konnte, sind für mich zehn Monumente in die engere Wahl gekommen. Dabei war ich um eine möglichst große Varianz an Formen, Inhalten und geschichtlichen Bezugspunkten bemüht, um eine gewisse regionale Streuung der Standorte sowie um eine Vielfalt unterschiedlicher Baualter. Wichtig war mir etwa, Bodanovis erstes und letztes Denkmal zu zeigen, um seine gesamte Schaffensperiode von vier Jahrzehnten abzudecken. Genauso wollte ich die verschiedenen Kulturkreise bzw. Religionsgemeinschaften Jugoslawiens im Film präsent haben die katholische, die orthodoxe, die muslimische oder auch die jüdische , um die supranationale und suprakonfessionelle Dimension von Bogdanovis Memorialbauten zu verdeutlichen. Nicht zuletzt ging es natürlich auch um die Filmtauglichkeit der einzelnen Gedenkstätten sowie um die Anekdoten, die sich um sie herum erzählen lassen. Die zehn vorselektierten Denkmäler haben wir uns dann auf einer Recherchereise durch Kroatien, Serbien und Bosnien-Herzegowina genauer angesehen, lokale Interviewpartner ausfindig gemacht, ergänzendes Archivmaterial vor Ort ausgehoben und auch die dazugehörigen Städte nach Drehorten abgesucht. Übrig geblieben sind danach sieben Denkmäler, die wir schließlich auch gefilmt haben. Noch mehr zu zeigen wäre entweder zu Lasten der gebotenen Ausführlichkeit gegangen oder hätte jeglichen zeitlichen Rahmen gesprengt.
Auch so ist der Film mit über zwei Stunden ziemlich lang geworden
Mein ursprüngliches Ziel waren 90 Minuten und auf keinen Fall mehr. Wenn man aber beim Textschreiben und erst recht am Schnittplatz nach vier von sieben Denkmälern bemerkt, dass man bereits bei 70 Minuten ist und einem diese 70 Minuten gut gefallen, ist es verdammt schwer zu sagen: Ab jetzt kürze ich radikal. Das wäre auch ein Bruch im Film, weil sich ja bis dahin ein bestimmter Rhythmus aufgebaut hat. So müsste man eigentlich wieder von vorne beginnen und auf vieles bereits Gestaltete verzichten. Damit hätte ich mir aber selbst das Herz aus der Brust gerissen. Bei einem Projekt wie diesem, das ich nur mir gegenüber zu verantworten habe, wollte ich mir das keinesfalls antun und mir weiter alle Freiheiten lassen, um all das zu vermitteln, was mir interessant und wichtig erschien. Meine Sorge war bis zur Premiere aber durchaus, dass der Film viel zu lang ist. Umso schöner war es dann, dass von den 650 Interessierten, die ins Gartenbaukino kamen, fast alle bis zum Schluss geblieben sind.
Ist so ein Format auch im Fernsehen, für ein breiteres Publikum denkbar?
Bei 125 Minuten sehen die meisten TV-Stationen wohl die Umschaltgefahr als zu groß an. Jemand, der mit Bogdanovi wenig anfangen kann, würde aber auch schon nach fünf Minuten switchen. Erfreulicher Weise aber hat der ORF Interesse an eine 45-Minuten-Version, die ich im Frühjahr erstellen möchte. Die Langfassung werde ich weiter in Programmkinos, Kulturinstituten oder auch Architekturhäusern auf Leinwand präsentieren und mit dem Publikum diskutieren im deutschsprachigen Raum, aber auch in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens.
Worin liegt für dich als Stadtplaner die Relevanz des Urbanologen Bogdan Bogdanovi?
Ich schätze an seinen urbanologischen Texten, dass es darin um viel mehr geht als um die absolute Versachlichung der Stadt wie sie auch in Wien und in den meisten anderen österreichischen Städten betrieben wird. Versachlichung in dem Sinn, dass alles nur rein rationalistisch beurteilt wird, noch dazu nach der eigenwilligen Rationalität der Politik, der Immobilienwirtschaft oder der großen Handelsketten. Trotzdem oder gerade deshalb folgt die faktische Stadtentwicklung am Ende doch recht unsachlichen Kriterien. Unsachlich in sozialer, kultureller, ökologischer oder auch volkswirtschaftlicher Hinsicht. Daher müsste man richtigerweise nicht von einer übertriebenen Versachlichung, sondern von einer Banalisierung der Stadt bzw. der Stadtentwicklungspolitik sprechen. Dem stellt Bogdanovi einen inspirierenden philosophischen Zugang entgegen, der keine lineare, praktische Anwendbarkeit hat, aber Sensibilität für die vielschichtigen Aspekte unserer Städte, unserer Lebensumwelt erzeugt.
Der politische Kontext von Bogdanovis Arbeit ist ja ein anderer als unser heutiger. Wäre sein Werk auch hier und jetzt vorstellbar, oder ist es mit seiner Zeit und seinem Land verknüpft?
Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Bogdanovis Leben und Werk anders aussehen würden, wenn Jugoslawien ein westlich-demokratisches Land gewesen wäre aber das ist rein spekulativ. Ich weiß von zahlreichen Gesprächen mit Bürgern aus osteuropäischen bzw. mittelosteuropäischen Ländern, dass ein paranoides Zwangsregime mit einer verordneten Scheinrealität über vierzig Jahre hinweg für einen vernünftigen Menschen nicht auszuhalten ist geschweige denn für einen hochintelligenten und sensiblen Mann wie Bogdan Bogdanovi. Seine Flucht in eine surrealistische Welt war vermutlich eine Notwenigkeit, um zumindest im geistigen Sinn zu überleben. Wenn ich mir allerdings ansehe, was uns die Regierenden auch hierzulande an Pseudorealität und Polittheater vorsetzen zum Glück ohne Zwang und wie weit sich unsere Massenmedien immer wieder von der Wirklichkeit entfernen, kann ich es auch hier und heute nachvollziehen, wenn jemand auf anderen Bewusstseinsebenen sein Glück sucht.
Info:
Architekturzentrum Wien: Bogdan Bogdanovi. Der verdammte Baumeister Ausstellung bis 2. 6. 2009, MuseumsQuartier Wien, www.azw.at
Am 27. 5. zeigt das AzW um 19 Uhr nochmals den Film von Reinhard Seiß. Reinhard Seiß: Architektur der Erinnerung. Die Denkmäler des Bogdan Bogdanovi, DVD, 125 min, 29,, Verlag Anton Pustet, www.verlag-anton-pustet.at