«Gegenseitig helfen»vorstadt

Lokalmatadorin

Klaudia Bachinger vermittelt zwischen Firmen und Pensionist_innen, die arbeiten möchten. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto).

Die Gegensätze in diesem großen Haus an der Marxergasse, das durchaus passend «Packhaus» genannt wird, sind offensichtlich: Wo sich junge Kreative austoben können, erzählt Klaudia Bachinger mit ruhiger Stimmen von den Bedürfnissen älterer Menschen. Während der offene Raum im Erdgeschoß durch sein buntes Durcheinander eine Zwischennutzung verrät, spricht die Start-up-Gründerin sehr strukturiert, sehr aufgeräumt.

Klaudia Bachinger hat im Internet eine Begegnungszone eingerichtet: für Firmen aller Art, die die Erfahrung älterer Mitarbeiter_innen benötigen, sowie für Pensionist_innen, die diese Erfahrung stunden- oder tageweise gegen Bezahlung zur Verfügung stellen möchten.

Auf ihrem Portal, das erst vor Kurzem online ging, können Arbeitgeber_innen Job-Angebote inserieren und Interessierte darauf reagieren. «Im Idealfall», so die Gründerin der Plattform WisR, «können sie sich gegenseitig helfen.»

Persönlich betroffen.

Ein Schicksalsschlag in ihrer Familie hat die 32-jährige Oberösterreicherin dazu motiviert, ihr Leben umzukrempeln und dieses Service einzurichten. Sie war eine gut ausgebildete und gut ausgelastete Cutterin und Redakteurin in einem Produktionsteam, das Dokumentarfilme drehte, als ihre Großmutter den Freitod wählte. «Die Oma war Bäuerin, sie wollte in ihrem Ruhestand noch etwas Sinnvolles machen, aber sie hat über all die Jahre für sich nichts Passendes gefunden.»

WisR sei keine arbeitsmarktpolitische Maßnahme, betont Bachinger. Sie zitiert dazu eine Frau, die vor ihrer Pensionierung in einer Bank gearbeitet hat und jetzt zwei Tage pro Woche die Online-Buchhaltung in einer Werbeagentur in Ordnung hält: «Das Honorar ist eine Anerkennung für meine Mitarbeit, ebenso wichtig ist mir die persönliche Wertschätzung und das Extra-Training für mein Gehirn.» Andere, speziell Frauen, berichten, dass ihr Zusatzverdienst auch hilft, der drohenden Altersarmut ein Stück zu entrücken.

Die Gründerin der Plattform spricht leise. Ihre Gespräche mit Menschen, die deutlich älter sind als sie, zeigen Wirkung. Sie nahm sich nach dem Tod ihrer Oma und dem Verlust ihres Arbeitsplatzes eine Aus-Zeit, um alleine von Norditalien nach Rom zu pilgern. In den vier Wochen unterwegs traf sie Wandersleute im Alter ihrer Großmutter. «Die haben mir alle erzählt, dass sie zwar super fit sind, aber nicht genau wissen, was sie mit ihrer Zeit in der Pension anfangen sollen.» So führte sie ihre Pilgerreise indirekt zu WisR.

Inzwischen haben namhafte Firmen (Banken, Versicherungen, Supermärkte, Möbelhäuser, Heimwerker_innenmärkte, Hotelbetreiber_innen) ihr Interesse an einer Kooperation bekundet. Das Geschäftsprinzip ist simpel: potenzielle Arbeitgeber_innen bekommen ausreichend Raum auf der Homepage, um ihre Job-Optionen kundzutun, dafür bezahlen sie eine Vermittlungsgebühr.

Für eine Pensionistin, die sich bereits öfters vermitteln ließ, ist das ein Balancieren auf einem schmalen Grat: «Nicht akzeptabel ist es natürlich, wenn die Firmen zuerst ihre älteren Mitarbeiter_innen rauswerfen und dann unser Wissen abzapfen wollen.»

Junge und Alte im Team.

Der Vermittlerin ist diese Gefahr durchaus bewusst. Doch Klaudia Bachinger hat anderes im Auge: «Ich möchte die Jungen und die Alten an einen Tisch bringen. Damit die Erfahrung nicht verloren geht. Und weil es erwiesen ist, dass generationenübergreifende Teams sehr gut funktionieren.»

Ein junger Geschäftsführer schwärmt über seine neue Mitarbeiterin: «Sie ist charmant, voller Energie und gleichzeitig wunderbar unaufgeregt. Sie ist eine moralische Autorität, eine unglaubliche Bereicherung für uns.» Die derart Gelobte sagt indes: «Ich fühle mich noch fit, ich wollte wieder unter Menschen sein, und all diese jungen Leute hier geben mir das Gefühl, dass ich auch noch etwas leisten kann.»

Klaudia Bachinger hat viel zum Thema soziale Isolation im Alter gelesen und kann daher eine nicht untypische Erfahrung zitieren: «Wenn du in der Pension plötzlich keine Arbeit mehr hast und dadurch einen wesentlichen Teil deiner Identität verlierst, wenn du nach der sogenannten Honeymoon-Phase allmählich eine innere Leere spürst, kann sich das nicht nur auf die Psyche, sondern auch auf den Körper auswirken.»

Interessent_innen müssen bei WisR kein professionelles Profil erstellen und keinen durchgestylten Lebenslauf abgeben. Wichtiger sind Antworten auf folgende Fragen: Welche Fähigkeiten besitzen Sie? Was würden Sie gerne arbeiten? «Seit März haben sich knapp 1000 Menschen bei uns angemeldet.» Erzählt Klaudia Bachinger. «Pro Woche kommen 25 Anmeldungen hinzu.»

Doch damit alleine kann sich WisR nicht über Wasser halten. «Ich weiß, dass ich ein großes finanzielles Risiko eingegangen bin. Aber wenn ich sehe, wie viel Cooles ältere Menschen leisten, schöpfe ich Mut. Ich muss einfach nur wie eine Marathonläuferin agieren.»

Nähere Infos unter: www.growwisr.com.

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