«Geht do wos weiter?»vorstadt

Obwohl die Donaustadt ein stark wachsender Bezirk ist, pfeift die Stadt Wien auf eine S80-Station Lobau [Foto: (c) Nina Strasser]

Zwischen 1995 und 2014 kämpfte eine Bürger:inneninitiative um den Erhalt der S-Bahnstation Lobau. 2016 wurde sie abgerissen. Angefacht durch die Klimabewegung formiert sie sich nun neu.

Draußen scheint die Sonne, drinnen sorgt der Strahl des Filmprojektors für etwas Licht. Rund 25 Menschen, der Großteil älteren Semesters, haben sich in einem Siedlungsverein im 22. Bezirk auf Klappbänken verteilt. Hinter ihnen lehnt ein Transparent mit dem Schriftzug: «Wir brauchen unsere S80-Station Lobau!» Vor ihnen spricht Michael Palfinger scheinbar ohne Luft zu holen. An diesem Tag im Mai hat die Bürger:inneninitiative (BI) S80 Lobau zum informellen Treffen eingeladen. Der 59-Jährige seziert die Geschehnisse, die einst zum Ende der S-Bahnstation gleich um die Ecke führten. Seit 2014 hält dort der Zug nicht mehr, seit 2016 ist sie Geschichte. Vergessen ist sie nicht. Denn die BI will die Neuerrichtung erwirken. Der Protest von jungen Menschen gegen Stadtautobahn und Lobau-Tunnel hat den Veteran:innen neuen Kampfgeist eingehaucht. «Aktionismus», ruft jetzt im Vereinsgebäude ein weißhaariger Mann.

«Aktion Sprungtuch»

Einst machte die Schnellbahn S80, die Wien Hütteldorf mit Aspern verbindet, zwischen den Stationen Praterkai und Wien Stadlau an der neuen Donau halt. Menschen, die in der Umgebung wohnen, nahmen sie für den Weg zur Arbeit oder Schule. Im Sommer nutzten sie die Badegäste. Als man die Station 1995 im Zuge der Errichtung des Kraftwerks Freudenau erstmals schloss, taten sich Verärgerte zusammen. Unterschriften wurden gesammelt, Umzüge organisiert. Stadtpolitiker:innen wurden aktiv und verhandelten mit den ÖBB. Am Ende wurde die Station für rund 1,6 Millionen Euro (Quelle BI Lobau) neu erbaut und 1996 in Betrieb genommen. Die Augen der Kämpfer:innen der ersten Stunde, Gertrude Zampini, Heinz Mooss, Conny Wehr und Michael Palfinger leuchten, wenn sie an die damalige «Aktion Sprungtuch» erinnern. Aufnahmen, die jetzt im Vereinshaus flimmern, zeigen sie in ihren 28 Jahre jüngeren Versionen. Manch eine Mitstreiterin ist verstorben, zumindest einer taucht wieder auf. «Ich hab’ dich gar nicht mehr erkannt», wird später jemand zu ihm sagen, während der sich am Buffet den Bioaufstrich aufs Vollkornbrot schmiert.
Sieben S-Bahnstationen wurden seitdem in Wien aufgelassen: Strandbäder (2000), Zentralfriedhof Kledering (2001), Kahlenbergerdorf (2004), Breitenleer Straße (2010), Inzersdorf (2011), Lobau (2014) und Hausfeldstraße (2018). Der Widerstand war überschaubar, nicht so in der Lobau. Als 2010 die ÖBB erneut auf Schließung drängte, trat die BI wieder auf den Plan. Auf Youtube findet man den ORF-Bericht über die Aktion «Entkrautung» als die Aktionist:innen mit Helmen, Heckenscheren und Machete den Zugang zur Station von überhängendem Gestrüpp befreiten. Flugzettel verteilten, Unterschriften sammelten, Politiker:innenhände schüttelten. Das Resultat waren Mediationsgespräche mit der Stadt Wien und den ÖBB. Der Standpunkt der Bundesbahnen: Wegen der Hochlage, einer Kurve, des zu kurzen Bahnsteigs und fehlender Barrierefreiheit müsste man um 14 Millionen Euro die Station verlegen. Dafür wären die Fahrgastzahlen mit durchschnittlich 50 Menschen täglich bei einem Einstundentakt einfach zu gering. Die BI hält dagegen: 2010, als die Bahn noch im 30-Minutentakt fuhr, zählte sie 150 Menschen im Schnitt und gar 500 an einem Sommertag. Michael Palfinger, der BI-Verkehrsexperte, kennt Verordnungen und Zahlen, alles hat er überprüft und penibel nachgerechnet. Nachzulesen ist manches auf www.s80lobau.org – Ideen für eine neue Station Lobau gäbe es von der BI auf Anfrage noch obendrauf.

«Stationenklau!»

An einem Tag Anfang Juni entrollen die Mitglieder der BI ihr Transparent «Wir brauchen unsere S80-Station Lobau!» vor der U2-und S-Bahnstation Stadlau. Die Mitglieder tragen blaue T-Shirts. Schilder werden verteilt und Reden gehalten, um sich einzuschwören. Auch ein paar Klimaaktivist:innen sind gekommen. Die Handvoll junger Leute erfreut einen Pensionisten. In die Stadtautobahn werde investiert, beklagt eine Frau, nicht aber in die Station Lobau. Mit mehr als 1000 Flyern hat man auch versucht, Bewohner:innen zum Mitgehen zu bewegen. Am Ende versammeln sich rund 40 Menschen und zwei Polizeibusse. Heinz Mooss, BI-Mitglied der ersten Stunde, ruft durchs Megafon: «Halten Sie bitte durch!» Bei hochsommerlichen Temperaturen wird gemächlich zur Station Lobau marschiert. 20 Minuten würde der Fußweg schnellen Schrittes dauern. Mit der «Wanderung» will man zeigen, dass die von der Stadt Wien angepriesene Station Stadlau kein adäquater Ersatz sei. Die Rufe: «ÖBB-Stationenklau, wir brauchen die Station Lobau!» erreichen erst noch Fahrgäste, dann verhallen sie in der Natur.
Mit dem 2. Wiener Schieneninfrastrukturpaket, das 2019 zwischen ÖBB, Bund und Stadt Wien vereinbart wurde, sollen bis 2034 rund 2,4 Milliarden Euro in den S-Bahnausbau fließen. 144 Millionen Euro bezahlt davon die Stadt. Erste Baumaßnahmen starten heuer im Herbst. Eine Station Lobau, bestätigen die ÖBB, sei dabei nicht geplant. Die ÖBB zu überzeugen, scheint der BI fast unmöglich. Es gilt, wie in den glorreichen Tagen, die Stadtpolitiker:innen zu Verhandlungen und Investitionen zu bewegen. In den vergangenen 28 Jahren hat sich jede Partei schon einmal zur S-Bahnstation bekannt. Sie hilft, da ist man sich einig, vor allem den sozial schwachen Bewohner:innen. Das Engagement ist allerdings erstorben. Josef Taucher, Parteivorsitzender der SPÖ Donaustadt, sagt, die Causa «Station Lobau» sei allein Sache der ÖBB. Der SPÖ-Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy, der sich wie Taucher aus dem Urlaub meldet, erklärt, die Station sei ihm wichtig, er könne dennoch nichts mehr tun.

Pflänzchen sprießen

Am Goldnesselweg, dort wo der Zugang zur ehemaligen Station beginnt, trifft Michael Palfinger auf einen Donaustädter. Der schaut vom Bett aus durchs geöffnete Fenster: «Geht do wos weiter?», fragt er und erzählt von seinen Schulzeiten, als auch er die Bahn benutzte. An diesem Tag Anfang August lädt Palfinger zum Lokalaugenschein. Nur einige Bergaufschritte weiter ist der Bahnsteig abgesperrt. Pflänzchen sprießen durch die Risse im Asphalt, wo einst das Wartehäuschen stand. Er blickt auf die Uhr und sagt: «Vor sechseinhalb Minuten ist die Bahn in Simmering weggefahren, in 30 Sekunden ist sie hier.» Schon pfeift sie vorbei. Unten rollen unablässig Autos. Radfahrer:innen fädeln sich teils akrobatisch durchs Gelände des Bahnübergangs. Seit der Schließung entstanden laut Bezirksamt 250 Wohnungen. «Die Donaustadt», schreibt die Stadt Wien auf ihren Online-Seiten, «gehört zu den stark wachsenden Bezirken Wiens.» Palfinger könnte sich bis zu täglich 3000 Fahrgäste im Jahr 2025 vorstellen, würde die S-Bahn alle 15 Minuten fahren und würden begleitende Maßnahmen ergriffen werden.Jetzt parken überall die SUVs. Nur zwei Jugendliche laufen zur Bushaltestelle. 15 bis 20 Minuten länger, hat die BI errechnet, brauchen Anrainer:innen ohne S-Bahnhaltestelle, um öffentlich ans Ziel zu kommen. Doch Proteste organisieren, sei heute schwieriger als einst. «Damals», sagt Michael Palfinger, «wurde den Menschen etwas weggenommen.» Die neuzugezogenen Bürger:innen hätten den Komfort der S-Bahn nie genossen. Wie die Fans der Stadtautobahn gewinnen, ohne die Klimaaktivist:innen zu verlieren? Er feile, sagt er, noch an einer Strategie.

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