Geht’s mich was an: Jenseits einer Verbotslösungtun & lassen

Grundsätzlich spricht nichts gegen vorgegebene Anordnungen, wenn sie klare Orientierung bieten und damit Handlungsspielräume erweitern. Dies ist mit den aktuellen Bettelverboten nicht der Fall, da sie teilweise willkürlich interpretiert werden, sodass bettelnde Menschen nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen, um nicht bestraft zu werden.Es scheint, als können sie sich gar nicht richtig verhalten, weil aktuell eine ganz bestimmte Vertreibungspolitik herrscht, die sich über das Thema «Sicherheit im öffentlichen Raum» legitimiert.

Rechtlich ist das «stille Betteln» in Österreich erlaubt. Praktisch drohen aktuell vermehrt bettelnden Menschen, die ebenso EU-Bürger_innen sind, Ausweisungen und Aufenthaltsverbote, weil sie um einen Notgroschen betteln. So zum Beispiel Gabor (Name von der Redaktion geändert), der in Wien bettelte und dem nach einer Polizeikontrolle der Personalausweis abgenommen wurde. Er konnte diesen nur wieder zurückbekommen, nachdem er ein Rückfahrticket nach Ungarn vorzeigte. Laut dem Europäischen Gerichtshof muss für eine Ausweisung jedoch eine «tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung» vorliegen, die «ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt». In dem Fall scheint diese Praxis unverhältnismäßig und menschenverachtend.

Dies trifft auch auf die Geldsumme oder die Ersatzfreiheitsstrafe zu, die über Strafverfügungen eingefordert wird. «Pappbecher unter die Nase gehalten»: 800 Euro oder acht Tage Ersatzfreiheitsstrafe. Dabei sind die meisten dieser Strafen rechtswidrig. Die BettelLobby Wien bietet seit fünf Jahren Rechtshilfe für Menschen, die betteln müssen, an, und stellt fest, dass in den meisten Fällen, nachdem ein Einspruch erhoben wurde, von der Behörde das Verfahren eingestellt wird oder das Verwaltungsgericht dem/der Beschwerdeführer_in Recht gibt.

Bettelverbote, etwa in Bezug auf das organisierte Betteln, bedeuten in der Praxis, dass Bettler_innen keine Fahrgemeinschaften bilden, sich nicht gegenseitig unterstützen oder sich nicht absprechen, nicht einmal Blickkontakte haben dürfen. Dabei sind Bettler_innen auf ihre gegenseitige Hilfe und Unterstützung angewiesen, um trotz repressiver Maßnahmen der Stadt(-Politik) ihre prekäre Lebenssituation zu bewältigen. Aufeinander schauen, einander unterstützen und solidarisch sein wird kriminalisiert, dabei ist dies eine ganz bestimmte Fähigkeit von Armutsbetroffenen. Eine Fähigkeit, die wir immer mehr verlernen, gerade wenn wir gesellschaftlichen Missständen wie Armut mit solchen Verboten begegnen und als Sicherheitsprobleme abhandeln.

Martina Kempf-Giefing

BettelLbobby Wien

Rechtshilfetreffen: jeden 3. Montag im Monat um 19 Uhr im Amerlinghaus, 7., Stiftgasse 8, Galerie

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