Geistige Selbstverteidigungtun & lassen

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Die Initiative »Neue soziale Marktwirtschaft« bezahlt Talkgäste in Fernsehrunden, um für weniger soziale Marktwirtschaft zu werben. Ein Witz? Nein, eine Kampagne, finanziert durch große Geldgeber in Deutschland, darunter neoliberale Think-Tanks und monetaristisch ideologisierte Interessensverbände. Dieselben »Experten«, die dann in den Talkshows hocken und Zeitungen Interviews geben, werden dann praktischerweise gleich von derselben Initiative »Neue soziale Marktwirtschaft« zu »Reformern des Jahres« gekürt. Geehrt wird man zum Beispiel für Aussagen wie: »Weniger Geld für Arbeitslose« oder »Sozialhilfe kürzen« aber am liebsten: »Weniger Steuern«.

»Die objektiven Daten bei der Abgabenquote stellen Deutschland ein gutes Zeugnis im Vergleich zu Österreich aus«, steht in der Zeitung, sagen sie in den Nachrichten. Die »Staatsquote betrage in Deutschland 37, in Österreich 43 Prozent«.

Warum ist das von vornherein »gut«, wenn die Abgabenquote 37 Prozent beträgt? Kommt ja darauf an, was damit finanziert wird und wer damit wen unterstützt. Wird damit Bildung für alle finanziert, Gesundheit und Soziales in den Risken des Lebens? Unterstützen die, die viel haben, die, die wenig haben, helfen die Gesunden den Kranken? Wenn das so ist, dann täte Deutschland vielleicht ein paar Prozent mehr gut. Und Österreich gebührte das gute Zeugnis, weil es den sozialen Ausgleich besser bewältigt.

»Aber das schadet der Wirtschaft«, steht in der Zeitung, sagen sie in den Nachrichten. Dann müsste Deutschland ja höheres Wirtschaftswachstum haben, wenn die höhere Abgabenquote der Wirtschaft schadet. Hat es aber nicht. Und was ist dann mit Dänemark, Schweden, Finnland, die mit ihrem Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf weit über dem EU-Durchschnitt und auch vor Deutschland liegen; ihre Abgabenquote liegt über 45 Prozent. Überhaupt fällt auf, dass Deutschland bei Armutsgefährdung, Wirtschaftswachstum, Arbeitslosigkeit mittelmäßig abschneidet. Da fragt man sich, warum sich Österreich immer mit durchschnittlichen EU-Ländern vergleichen muss und nicht mit den besten.

»Aber wir müssen die Sozialausgaben kürzen, damit wir wieder konkurrenzfähig sind«, steht in der Zeitung, sagen sie in den Nachrichten. Schweden, Dänemark, Österreich, Belgien und Niederlande liegen im europäischen Vergleich im obersten Drittel mit ihrem BIP pro Kopf. Die gleichen Länder finden sich auch bei den Sozialausgaben im obersten Drittel Europas. Dänemark zum Beispiel ist mit 27.000 Euro BIP pro Kopf unter den besten Dreien und bei den Sozialschutzausgaben mit 29,5 Prozent des BIP an vierter Stelle.

Angesichts der von der neoliberalen Einheitsfront propagierten ökonomischen Märchen ist ein ausgewogenes Maß an geistiger Selbstverteidigung in Wirtschaftsfragen nicht schlecht: Ein progressives Steuersystem schadet der Wirtschaft nicht. Länder mit hoher Steuerquote haben auch ein hohes Bruttoinlandsprodukt. Ein hoher sozialer Schutz hemmt die Wirtschaft nicht. Länder mit hohen Investitionen ins Soziale haben auch ein hohes Wirtschaftswachstum

Die Initiative »Neue soziale Marktwirtschaft« liefert übrigens auf Bestellung Daten. Die Experten machen daraus einen Artikel oder gleich eine Doppelseite wie in der Zeitung »Die Welt«. Kernaussage: Alle möglichen »harten Einschnitte« von denen sie allerdings selbst nie betroffen sind.

Martin Schenk

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