Geistige Selbstverteidigung 2tun & lassen

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Das Essensgeld ist noch immer nicht gezahlt. Sie kommen in der Früh hungrig in den Kindergarten. Im Winter stapfen sie mit Turnschuhen durch den Schnee. Das sind Kinder, die in knappen finanziellen Verhältnissen aufwachsen. Der Schulanfang macht große Probleme, wenn Zirkel, Hefte, Stifte, Einbände und Werksachen gekauft werden müssen. Die Eltern versuchen zuerst einmal sich selbst einzuschränken, um den Kindern weiter ein normales Leben zu ermöglichen. Das geht auch einige Zeit gut, aber nicht auf Dauer. Dann schlägt die angespannte finanzielle Situation in Armutshaushalten auch auf den Alltag der Kinder durch. Und auf ihre Zukunft.

­»Wo stehst du, wenn du 30 Jahre alt bist?«, wurden SchülerInnen in ganz Europa gefragt. Ergebnis: In Österreich trauen sich Kinder aus Familien mit geringem sozioökonomischen Status weniger zu als Kinder aus vergleichbaren Familien in Finnland oder Kanada. Die Vorstellungen der 15-Jährigen von ihrer Zukunft ist in jenen Ländern viel stärker von der sozioökonomischen Situation ihrer Eltern geprägt, in denen ein selektives Schulsystem Kinder bereits in sehr frühen Jahren verschiedenen Schultypen zuteilt. Man weiß, wer wohin gehört. Im Haus bleiben sie im unteren Stockwerk eingeschlossen. In Österreich erwarteten sich die 15-Jährigen, die bereits in Schulsparten nach ihrer vermeintlichen Leistungsfähigkeit zugewiesen wurden, deutlich weniger von ihrer Zukunft als in Ländern, in denen soziale Aufstiegschancen durch ein integrativeres Schulsystem besser gewährleistet werden. Ausschlaggebend ist besonders die Einkommenssituation knapp vor der Bildungsentscheidung.

»Leistung wird belohnt«, heißt es. Aber: Löhne ganzer Gruppen können fallen, ohne dass sich etwas an ihrer Leistung geändert hätte. Zwischen 1986 und 1999 sind in Deutschland die Unterscheide zwischen Reichen und Nicht-Reichen in Qualifikation und Arbeitszeit zurückgegangen, die Einkommensdifferenzen haben dagegen zugenommen. Die Lohnhöhe hat vor allem etwas mit der Verhandlungsmacht der Beschäftigten zu tun, mit der Nachfrage am Arbeitsmarkt, sozialen Normen, gesetzlichen Regelungen etc.

Und viele wirtschaftlich und gesellschaftlich notwendige Leistungen werden überhaupt massiv unterbezahlt erbracht: Abendessen kochen, Socken waschen, die Oma pflegen, kranke Kinder versorgen. Dass der Lohn für diese Arbeiten gleich null ist, liegt wohl weder an mangelnder Leistung der Betroffenen noch an mangelndem Bedarf für diese Tätigkeiten.

»Jeder kann gewinnen, wenn er nur will«, heißt es. Oder umgekehrt: Selber schuld, wer es nicht schafft. Diese Ideologie ist besonders wirkungsvoll, weil sie »Verlierer« beschämt und »Gewinner« bestätigt. Sie stützt die, die es geschafft haben, und hält die, die »unten« sind, still. An die »Verlierer« ergeht die Aufforderung, fair zu bleiben, die Niederlage mit einer Gratulation an den »Gewinner« hinzunehmen, sich schlussendlich mit dem »Gewinner« zu identifizieren. Das Leben ein olympischer Gedanke: »Dabei sein ist alles« aber bitte im unteren Stockwerk.

Martin Schenk

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