«Geistreisen» in der Hegelgassevorstadt

Sollten Sie diesen Sommer nicht verreisen, dann besuchen Sie wenigstens den Kunstraum das weisse haus. Dort wurde als Corona-Sommerprogramm ein «Travel Apparatus» eingerichtet.

Text: Reinhold Schachner

Sogenannte Geistreisen könnten ein Gebot der Stunde werden, falls eine zweite Coronawelle einsetzt und die Grenzen wieder dicht gemacht werden. Als Erfinder der Geistreise gilt Quirinus Kuhlmann (1651–1689). Der deutsche Mystiker und selbsternannte «Kühlprophet» – weil gegen die Höllenhitze des Teufels anschreibend – versuchte, die Welt zu «entkohlen», sprich zu missionieren. Seine Schriften, die er persönlich zwischen Paris, London und Jerusalem verteilte bzw. verteilen wollte, brachten ihn mitunter wegen Ketzerei in den Kerker. Aus dieser Not machte er die Tugend, seinen Geist weiterreisen zu lassen, etwa nach Jerusalem, während sein Körper in Genf im Gefängnis saß: «Was leiblich unerfüllet / erlanget seine Geistliche (sic!) Erfüllung», richtete der Kühlprophet in seinem Pariserschreiben an Johannes Rothe aus.
In unserer Epoche bieten audiovisuelle Medien eine gute Unterstützung für Geistreisen. Per Taste, Klick oder Wisch wird die Welt in die eigenen vier Wände geholt. Covid-19 liefert einen zusätzlichen Anschub. Alexandra Grausam, die Leiterin des Kunstraums das weisse haus, erklärt, das Konzept zur Ausstellung Travel Apparatus sei grundsätzlich an das Videoschauen zuhause angelehnt. Darüber hinaus werde noch ein «begleitendes Erlebnis» angeboten.
Wir befinden uns, den Lockerungen sei Dank, mittlerweile in einer Art Reiseagentur, genauer im Souterrain des Gymnasiums in der Hegelgasse, benannt nach dem deutschen Idealisten (eines seiner Hauptwerke trägt übrigens den Titel Die Phänomenologie des Geistes). Die Besucher_innen werden in ein Wartezimmer geführt. Für sie stehen mit gebotenem Abstand vier Stühle plus Beistelltische bereit. An die Frontwand wird per Endlosschleife das Video Centro di Permanenza Temporanea (2007) des albanischen Künstlers Adrian Paci projiziert. Dicht gedrängt betreten überwiegend Männer – ihrer Kleidung nach zu schließen alles andere als Tourist_innen oder Geschäftsreisende, sie führen auch kein Handgepäck mit sich – eine Gangway am Rollfeld. An sich schon eine irritierende Szene, die sich noch steigern wird, denn die Gangway führt zu keinem Flugzeug, sondern in die Leere. Man kann sich angenehmere Berieselungen vorstellen, während man aus einer Filmliste mit 34 Zielländern bzw. -regionen bis zu drei ankreuzen darf. Diese persönliche Auswahl wird anschließend in einem weiteren und mittels Leinwänden unterteilten Raum exklusiv vorgeführt.

Gut geölte Maschine.

Auch ohne Covid-19, also in einer normalen Urlaubsaison wäre diese im weissen haus inszenierte Maschinerie zum Verreisen wie geschmiert gelaufen, denn Mobilitätsthemen wie (Massen-)Tourismus oder (Arbeits-)Migration werfen per se genug Grundlagenstoff ab. Die Pandemie trägt zu einem konzeptionellen Mehrwert bei.
Im Sommer wäre eine Ausstellungspause, wie auch die Jahre zuvor, geplant gewesen, erzählt Alexandra Grausam. Doch mit einem Team im Rücken, dessen Stärke die Spontanität sei, lässt sich auch auf die Schnelle eine Ausstellung unter schwierigen Bedingungen auf die Beine stellen. Neben Grausam arbeiten noch Enar de Dios Rodríguez, Aline Lenzhofer und Katja Stecher im Kernteam, das beim Travel Apparatus zugleich auch als Kurator_innenquartett fungiert.
Bei der Auswahl der Filme wurde auf eine «internationale Mischung» geachtet, die sich zwischen «politisch harter Kost» und Umweltthemen bewege, so Katja Stecher. Auch Soziales bleibt nicht ausgeblendet, möchte der AUGUSTIN-Rezensent hier ergänzen. Er musste, seinem Arbeitgeber geschuldet, gerade bei Slowenien sein Kreuzerl machen, denn einer der Protagonisten im Film IN-VISIBLE von Kamen Stoyanov ist Taubi, ein ehemaliger Obdachloser, der jetzt als Guide durch Ljubljana führt. In seiner 24-Stunden-Tour steht etwa, wie er es selber unfreiwillig praktizieren musste, Sichverköstigen bei der Armenausspeisung und Übernachten im öffentlichen Raum auf dem Programm.
Nicht gerade die Komfortzone, aber im Vergleich zum Schicksal von Quirinus Kuhlmann harmlos. Seine letzte physisch aufgesuchte Destination war Moskau, wo über ihn das Todesurteil verhängt und besonders grausam vollzogen worden ist. Der Kühlprophet wurde in eine Art Rauchhütte gesteckt, um zu ersticken und zu verbrennen.

Bis zum 20. August jeden Donnerstag von 12 bis 21 Uhr.
Der AUGUSTIN ist Medienpartner dieser Ausstellung.
www.dasweissehaus.at

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