Gekommen, um zu bleiben?tun & lassen

Yasmineh Abu Hattab, 54 Jahre, lebt in Innsbruck (Foto: © Daniel Jarosch)

In ein anderes Land zu fliehen, ist mit Verlust verbunden, darüber hinweg- sowie anzukommen, nicht einfach. Zwei Syrer:innen erzählen über ihr Leben in Österreich, über Vorurteile, Jobsuche und Zukunftspläne.

 

Die Syrerin Yasmineh Abu Hattab kam im Herbst 2015 mit dem Zug in Wien an. In derselben Nacht ging es weiter nach Tirol, heute lebt sie mit ihrer Familie in Innsbruck. Wie Tausende ihrer Landsleute musste auch Yasmineh in Österreich ganz von vorne beginnen. «In Damaskus arbeitete ich als Archäologin, mein Mann war Fluglotse», sagt sie. Doch das war nun vorbei. Beide hofften, überhaupt irgendeinen Job zu finden. Die größte Herausforderung war es, die Sprache zu erlernen. «Für meine Töchter war das einfacher, aber mein Mann und ich sind nicht mehr so jung», sagt die 54-Jährige.
Wenn Yasmineh sich an die Ankunft in Österreich vor acht Jahren zurückerinnert, sagt sie, sei sie vor allem müde und traurig gewesen. Müde von den Strapazen der Flucht und traurig, dass ihr altes Leben in Damaskus ­unwiederbringlich verloren war. In den ersten Wochen und Monaten zeigten sich ­viele Österreicher:innen ­erstaunt, dass Yasmineh nicht froh war, angekommen zu sein und in Freiheit ­leben zu können. «Das waren wir auch», sagt sie. «Aber gleichzeitig hatten wir so viele Sorgen im Kopf, die uns das Fröhlichsein schwer machten.»

Neustart

Abdulkader Abdulrazzak kam im November 2014 mit seiner Mutter nach Wien. Hatte Yasmineh anfangs Sorgen und brauchte Zeit, um sich in der ­neuen Umgebung zurechtzufinden, ­stürzte Abdulkader in ein tiefes Loch. «In Aleppo war ich politisch engagiert», sagt er. Das brachte ihn ins ­Gefängnis, wo er gefoltert wurde. Er verlor Freund:innen, trotzdem gelang es ihm, damit umzugehen. Doch als er Syrien verließ, brachen die Erinnerungen an diese schlimmen Ereignisse wie eine Welle über ihn ­herein. «Ich war zwar physisch in Öster­reich, blieb mental aber in Syrien ­hängen», sagt er. Der damals 24-­jährige ­Abdulkader wurde schwer depressiv: «Ich sah die Welt als eine grundsätzlich ­ungerechte. Ich habe Jahre gebraucht, um das zu ­ändern.» 2018 fand er einen Job als Security. Danach begann es besser zu werden.
Yasmineh begann bald nach ihrer ­Ankunft in Innsbruck eine Arbeit zu ­suchen. Als Akademikerin bewarb sie sich an der Universität, in der Bibliothek, und als Zusagen ausblieben, schließlich überall. «Bei den zahlreichen Absagen spielte die Sprache sicher eine Rolle», sagt sie rückblickend. «Ich glaube, dass manchmal auch mein Kopftuch ein Problem war.» 2019 fand sie schließlich eine Anstellung im Kundenservice im Schloss Ambras, 2022 wechselte sie ins Museum der Hofburg Innsbruck.
Bei der Arbeitssuche tun sich vor allem zugewanderte Frauen schwer. Wie eine Erhebung der Statistik Austria zeigt, lag die Erwerbstätigenquote 2021 bei Männern, die aus Afghanistan, Irak und Syrien nach Österreich kamen, bei 54 Prozent. Die Beschäftigungsquote bei Frauen liegt mit 12,6 Prozent deutlich niedriger. «Bei Frauen aus dieser ­Gruppe gibt es eine große Polarisierung, was die Bildungsabschlüsse anbelangt», so Anna Magdalena Bentajou, ­Fachreferentin ­Integration, Migration und Asyl bei der Caritas. Es gebe viele Frauen mit niedriger Qualifikation und ebenso ­viele Hochqualifizierte, allerdings oft ohne Berufserfahrung; Frauen, die zwar studiert, aber nie in ihrem Fachgebiet gearbeitet haben. Das erschwere den ­Berufseinstieg. Ein weiterer Faktor sei, dass für die Betreu­ung von Kindern, aber auch älteren ­Familienangehörigen in erster Linie Frauen zuständig seien. Die Alternative wären Betreuungsplätze, doch die sind ­teuer. «Viele Familien haben vor allem in den Anfangsjahren finanziell zu kämpfen und können sich diese daher nicht leisten.»

Diskriminierung

Seit Herbst 2022 ­studiert Abdulkader Informatik an der ­Johannes Kepler Universität, für das ­Studium zog er von Wien nach Linz. Seinen Bachelor hat er in der Tasche, in vier Semestern wird er seinen Masterabschluss machen. Eigentlich sollte er gute Aussichten auf ­einen Job haben. Doch als Zugewanderter sei das nicht immer einfach, sagt er. Dass seine syrische Herkunft eine Rolle spiele, bemerkt er im Alltag immer wieder.
«Wenn ich Leute kennenlerne, mich vorstelle und sage, dass ich aus Syrien bin, ­erlebe ich oft negative Reaktionen», so ­Abdulkader. Mit Syrien würden die Menschen eine Menge Stereotype verbinden, wie IS-Terroristen, Gewalt und Vergewaltigungen. So habe ihm seine Vermieterin beim ersten Treffen zu verstehen ­gegeben, dass Migrant:innen allgemein und Syrer:innen im Speziellen schlechte Menschen seien. «Wenn du so solche Dinge zu oft hörst, macht das etwas mit dir», sagt er. «Die Gesellschaft bringt mich dazu, mich für meine Herkunft zu schämen.»
Derzeit sucht Abdulkader einen Teilzeitjob, um sich neben dem Studium etwas ­dazuzuverdienen. Im Februar bewarb er sich bei einem internationalen Technologieunternehmen, das eine Halbtagsstelle in der Datenverarbeitung ausgeschrieben ­hatte. «Das erste Interview verlief gut und ich erhielt ein Jobangebot», sagt er. Doch dann kam überraschend die ­Absage: «Sie teilten mir mit, dass das Einstellungsverfahren aufgrund meiner Staatsangehörigkeit gestoppt wurde.» Konkret hieß es, ­syrischen Staatsbürger:innen sei der ­Zugang zu Daten untersagt, die mit US-Technologie zu tun haben. «Ich war schockiert», sagt er. Da Abdulkader sich diskriminiert fühlte, wandte er sich an die Gleichbehandlungsanwaltschaft. Diese forderte vom Unternehmen eine Klarstellung. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses lag noch kein Ergebnis vor.

Abdulkader Abdulrazzak, 33 Jahre, lebt in Linz (Foto: © Michael Bigus)

Zurück nach Syrien

Nach Damaskus ­zurückzugehen, daran denkt Yasmineh nicht. In Österreich fühlt sie sich ­zu ­Hause und abgesehen davon wäre eine Rückkehr für sie auch gar nicht möglich. Zwölf ­Jahre nach dem Beginn des ­Bürgerkriegs ist ­Bashar al-Assad nach wie vor an der Macht. Seitdem benachbarte arabische Staaten wieder diplomatische Beziehungen mit Damaskus aufnahmen, scheint sich ­seine Position weiter zu festigen. «Mein Mann und ich sind gegen dieses Regime», sagt sie. «Unsere Namen sind notiert, wir würden bei Ankunft in Syrien sofort verhaftet werden.» Hinzu komme, dass ihre Töchter inzwischen hierzulande verwurzelt seien; sie machen Ausbildungen oder studieren. «Zurückzugehen wäre sehr schwer», sagt sie.
Abdulkader denkt oft über eine Rückkehr nach Syrien nach, aber derzeit sei das keine Option für ihn: Unter der Herrschaft von ­Assad will er nicht leben. «Assad ist verantwortlich für Tod und Folter von Millionen, auch von Menschen, die ich kannte», sagt er. Abgesehen davon würde er als ehemals politisch Aktiver binnen kürzester Zeit verhaftet werden. Doch selbst wenn Assad abdanken würde, bliebe die ökonomische Krise in Syrien; die Wirtschaft liegt am Boden, die Bevölkerung ist verarmt: «Ich würde vielleicht einen Job finden, aber sicher keinen, der meiner Ausbildung entspricht.» Doch in Österreich bleiben, will Abdulkader auch nicht. «Ich habe es satt, gegen Vorurteile anzukämpfen», sagt er. Seinen ursprünglichen Plan, zunächst ein paar Jahre in Österreich zu ­arbeiten, um der Gesellschaft zurückzugeben, was sie ihm gab, hat er verworfen. «Ich will so bald wie möglich weg», sagt er. «Kanada wäre eine Möglichkeit, mit meinen Qualifikationen sollte das klappen.»
Syrien ist schon lange aus den Schlagzeilen westlicher Medien verschwunden, doch ein Ende der Katastrophe, die sich dort seit 2011 abspielt, ist vorerst nicht in Sicht. Immer noch befinden sich Millionen Syrer:innen auf der Flucht. Im Jahr 2021 haben rund 16.000 von ihnen in Österreich um Asyl angesucht.
Auch wenn Zuwanderung eine Herausforderung für beide Seiten darstellt, kann sie gelingen, wenn die Menschen einander zuhören, ist Yasmineh überzeugt. «Unverständnis macht Angst», sagt sie. Auf beiden Seiten. «Wenn wir uns erst einmal besser kennenlernen, wird diese Angst allmählich verschwinden.»

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