Gemeinsam tuntun & lassen

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Singbegeisterte haben in Erlaa einen Grätzlchor ins Leben gerufen, der die Vielstimmigkeit vor Ort hörbar macht. «Es ist ein wunderbares Gefühl, die eigene Wohnumgebung wirklich als Nachbarschaft zu erleben. Das habe ich in Wien davor so nicht gekannt. Hier kann man die Aktivität der anderen spüren», sagt eine Bewohnerin. Das ist wirklich etwas Kraftvolles: gemeinsam tun. Dabei geht es darum, Menschen zusammenzubringen, die sich gegenseitig unterstützen.
Bettina Oschgan ist Sozialraumkoordinatorin in Kärnten. Der Bau ist teilweise abgeschlossen, einige Mieter_innen sind bereits eingezogen, an manchen Häusern wird noch gewerkt. «Aber ich bin nicht die Expertin, die sagt: ‹Aha, du hast dieses Problem. Dann brauchst du dies und das, und das erhältst du von mir.› Die Menschen wissen selbst, was sie brauchen. Von mir bekommen sie die Unterstützung, sich das zu organisieren – ohne eine vorgefertigte Lösung von mir übergestülpt zu bekommen.»
Auch beim Grätzlchor in Erlaa hat es ein wenig Unterstützung gegeben. Das ist einfach hilfreich. Und es könnte helfen, die blinden Flecken zu überwinden, die bei vielen solcher Wohn- und Grätzlinitiativen auftreten. Personen, die ihre materielle Absicherung für die Zukunft als schlecht einschätzen, sind da nämlich sehr viel seltener dabei als solche, die sich als gut materiell abgesichert wissen.
Wir brauchen eine gemeinsame Kraftanstrengung in Bund, Ländern und Gemeinden, um gute Nachbarschaft zu fördern und Isolation zu verringern. Möglich wäre ein vom Bund koordiniertes Maßnahmenpaket, das Grätzlinitiativen, sozialraumorientierte Projekte, Nachbarschaftshilfe und Communityarbeit gezielt fördert und finanziert. Das gibt es erfolgreich in anderen Ländern. Je autoritärer die Regierung, desto weniger. Und je neoliberaler, desto weniger. Es geht da ja auch immer um den öffentlichen Raum, und um Orte, an denen kein Konsumzwang besteht.
Neben guter Grätzlmusik können da Plaudertischerl entstehen, die Menschen zusammenbringen, die sich gern mit anderen unterhalten oder jemandem ein offenes Ohr schenken wollen: unabhängig von Alter, Herkunft oder finanziellen Möglichkeiten. In Salzburg habe ich die mobilen Bleib-Steh-Cafés gesehen. Anderswo entwickeln sich Alleinerzieherinnen-Netzwerke, die Kinderbetreuung organisieren oder eine Koordination von Einkaufshilfe für ältere Menschen auf die Füße stellen. «Im Widerspiel des Unmöglichen mit dem Möglichen erweitern wir unsere Möglichkeiten», ist auf einem dieser Flugblätter Ingeborg Bachmann zitiert.
Es geht da aber auch darum, Interessen zu organisieren. Besonders wenn was falsch läuft. Besonders wenn Leute übergangen werden. «Community Organizing» ist historisch eng mit zivilgesellschaftlichen sozialen Bewegungen verknüpft. Im Chicago der Zwischenkriegszeit organisierten sich Bewohner_innen, um für besser Arbeits- und Wohnbedingungen zu kämpfen. Community Organizing greift gezielt in Machtverhältnisse ein und versucht auf einer breiteren thematischen wie taktischen Ebene Gegendruck aufzubauen. Dabei bilden sich oft auch Allianzen zwischen auf den ersten Blick ganz gegensätzlichen Gruppen. Das Motto: Tue alles dafür, dass Menschen können, was sie gemeinsam tun wollen.